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Wir zeigen euch was

■ „The Black Rider - The Casting of the Magic Bullets“ von Robert Wilson, Tom Waits und William Burroughs frei nach Webers „Freischütz“ hatte am Samstag Premiere im Thalia-Theater Hamburg

Lore Kleinert

Noch vor dem Black Rider der Auftritt der Black Box: ein schwarzer Sargkasten schwebt auf die Bühne, setzt sich, richtet sich auf. Ein Stöckelschuh kommt hervor und mit ihm dann der Schwarze, der Teufel und Verführer als Conferencier aus Cabaret, langer Zopf und kalkweißes Vampirgesicht, die spitzen Schöße seines Fracks zugleich Schweif, Spielzeug und Peitsche. Mit ihr treibt er alle, die mit ihm Schau -spielen, aus dem schwarzen Kasten heraus und befördert sie unsanft ins Bühnenleben.

Am Ende, gut zweieinhalb Stunden später, werden sie alle wieder dort verschwinden. Das Teufelchen, auch Pegleg oder Stelzfuß geheißen, dehnt die Zeit, bis auch er wieder im schwarzen Kasten landet, mit einem Liedchen fürs Publikum, I'll be back on some lucky day, dann endet die Premiere von Robert Wilsons Freischütz-Version im Jubel der nichtendenwollenden Sorte. Schwer fiel der Abschied von dem, was die Black Box freigab, nachdem sie zu Beginn wie durch Zauberhand wuchs, bis sie die ganze Bühne einzunehmen schien. Der kluge Zaubertrick, die Black Box zu zeigen und zu öffnen, schuf gleich zu Beginn wohltuenden Abstand zur Überfülle der Bilder, Töne, Farben, Gesten, Songs und Einfälle: „Seht her“, wurde das Publikum eingeladen, „wir zeigen euch etwas“ - ganz einfach und doch das, was Theater am schwersten einlösen kann, ohne schal, langweilig, altmodisch, unkritisch oder missionarisch zu werden.

Zu sehen und zu hören war die ganze Geschichte und das winzige Detail. Eine grüne Schlange aus Licht kriecht über die Gemälde, die den Bühnenhintergrund bisweilen mit Zeichen bedecken, ohne Absicht und Grund. Sie kriecht einfach. Immer stehen Tische und Stühle auf der Bühne, mal winzig, mal riesig, stilisiert wie schwarze Scherenschnitte vor wechselndem Licht, Teil einer Szenerie wie aus expressionistischen Stummfilmen. Erst im je eigenen Kopf formen sich die Bilder eines künstlichen Waldes, der Bürgerwohnstube, des Kreuzweges, je nachdem, welcher Fundus an Filmen, Designkenntnissen, Märchen und Sagen sich dort schon befindet.

Regisseur und Bühnenbildner Robert Wilson, gefeiertes Regiewunderkind der siebziger Jahre, Rockmusiker und -poet Tom Waits und das inzwischen 76 Jahre alte Idol der Beat -Generation, der Schriftsteller William Burroughs, haben sich von Webers Freischütz, genauer gesagt der ihr zugrunde liegenden Schauergeschichte des Johann August Apel berühren lassen und etwas völlig Neues daraus gemacht: ein Musical, strukturiert durch zwölf Songs von Tom Waits, einen Bühnenzauber, in dem sich Film- und Sehnsuchtsbilder der alten und der neuen Welt nahtlos mischen. Die Geschichte gehörte früher zur Grundausstattung schulischen Musikunterrichts: Um die Försterstochter, hier Käthchen, heiraten zu können, muß der Schreiber Wilhelm schießen lernen, und zwar gut. „Feder weg und Flinte her, leicht gesagt und ist doch schwer“ - mit Kinderversen oder Sinnsprüchen aus dem Poesiealbum veralbert Burroughs‘ Textmontage die bedeutungsschwer und opernhaft pathetisch gestikulierenden Menschlein, Frida Parmeggianis faltenreiche Kostüme verstärken den Eindruck, in einen alten Stummfilm geraten zu sein, lassen sie kleiner, überbreit oder in die Länge verzerrt und künstlich wirken - den Förstervater mit zu Berge stehenden grauen Haaren, den Schreiber in zu kurzen weiten Hosen, die Frauen, rund wie altmodische Kaffeewärmer. Wenn Wilhelm und sein Käthchen sich begegnen, entschweben sie unter den Bühnenhimmel. Ein Gazevorhang läßt sie fliegend tanzen wie in einem Aquarium, bis ein Neonleuchtengewehr vom Himmel fällt und Wilhelm an seine Aufgabe mahnt; nur wer schießt, ist ein Mann. Der deutsche Försterwald - ein schwarzer Scherenschnittbaum vor blutrotem Hintergrund; hier verhilft der unheilige Teufels -Conferencier dem verzweifelt zuckenden Schreiber mit Zauberkugeln zur Treffsicherheit - auf quer über die Bühnendecke gespannte Schießbudenreihe, mit einem Gewehr, das immer wieder wie ein Blindenstock aussieht. Der deutsche Wald, auch magischer Urwald, in den Wilson wie aus Bildern von Max Ernst heraus vogelköpfige und geflügelte Fabelwesen hext. Zeitlupenhaft langsam ziehen sie durch den Raum und stoßen sonderbare Laute aus, und jeder Laut, jede Bewegung wird zum Rätselzeichen eines Traum-Tanzes.

Wilson schüttelt das Kaleidoskop, Bild für Bild, und sprengt die Grenzen von Kino, Theater, Rockoper und Malerei. Mit der Akribie, die ihn berühmt gemacht hat, bringt er wieder einmal einen gewaltigen Apparat zum Tanzen, doch dieses Mal gelingt, was z.B. in der Bearbeitung des Gilgamesch-Epos The Forest, zusammmen mit David Byrne, in tempelhafter Weihe erstarrte und sich zu Tode zelebrierte: Wilson verzichtet auf seine Aura und ist so komisch wie nie zuvor. Dazu tragen kleine Gags wie des Teufels rot aufleuchtende Segelohren ebenso bei wie Tom Waits wunderbar kitschige Ohrwurm-Songs: I'll shoot the moon right out of the sky for you baby. William Burroughs‘ Texte unterstreichen den Aspekt des Lonesome American Cowboy, der von der Droge des Schießerfolgs nicht mehr runterkommt, bis er immer mehr zum traurigen weißen Pierrot wird. Auf dem Neonkreuzweg in der mit durchscheinenden Eisblumen ausgestatteten Wolfsschlucht balanciert er um sein Leben und bekommt die letzten fatalen Erfolgskugeln.

Beiläufig und ironisch bringen Waits, Burrougs und Wilson die unterirdischen Verbindungen ins Spiel, die zwischen den schwarzen Märchen der deutschen Romantik und den Kinoträumen von Amerikas Einwanderern bestehen. Ein Spiel, das für Momente tödlichen Ernst aufscheinen läßt: Wenn die Braut im roten Gewand auf der mit formlosen, blutigen Kadavern vollgestopften Bühne munter plappert, ihr Willi könne jetzt jagen, erscheint das deutsche Försterhaus in anderem, düsterem Licht. Die „Reise in ein anderes Land“, auf die Wilson sein Publikum mitnehmen will, spart den Blick in deutsche und andere Abgründe nicht aus.

Verfechter des üblichen didaktischen Moraltheaters werden ihm dennoch weiterhin Formalismus und Beliebigkeit vorwerfen. Die Tradition, zugunsten ideologischer Gewißheiten auf Erfahrung zu verzichten, sitzt nicht nur am Theater tief. Robert Wilson hält dagegen, sein Theater sei nicht aggressiv, sondern öffne einen Raum fürs Publikum: „Aber wir verlangen nicht, daß es das sieht, was wir sehen, oder das denkt, was wir denken.“ Diese Position ist nicht so unpolitisch, wie man ihr gern unterstellt, und The Black Rider am Hamburger Thalia-Theater zeigt: sie öffnet den Raum für seltenes und kostbares Theatervergnügen.

Lore Kleinert

Regie und Bühne: Robert Wilson; Musik und Lyrics: Tom Waits; Texte: William Burroughs;

Kostüme: Frida Parmeggiani;

mit Sona Cervena, Susi Eisenkolb, Jörg Holm, Dominique Horwitz, Gerd Kunath, Stefan Kurth, Annette Paulmann, Klaus Schreiber, Jan Moritz Steffen, Monika Tahal, Angelika Thomas, Heinz Vossbrink.

Weitere Aufführungen: 4.-8. und 13.-15.4. sowie 29. und 30.4

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