: Feige Morde zum „Schutz der Republik“
Vor 70 Jahren wurden im thüringischen Bad Thal 15 Arbeiter von Mitgliedern des Studentenkorps Marburg ermordet / Marburger Korporierte haben sich bis heute nicht von den Mördern aus ihren eigenen Reigen distanziert / Geschichtswerkstatt fordert Aufarbeitung des Verbrechens / Demonstrative Gedenkveranstaltung vor Ort ■ Aus Marburg Markus Bauer
Am frühen Morgen des 25.März 1920 um 5 Uhr 45 sollte ein 23 Mann starkes Bewachungskommando, das am Ende einer größeren militärischen Formation marschierte, vom thüringischen Bad Thal bei Eisenach aus 15 Verhaftete nach Gotha bringen. Die Bewacher waren durchweg korporierte Angehörige einer studentischen Freiwilligeneinheit aus Marburg - dem „Studentenkorps Marburg“ (StuKoMa) -, die nach dem Zusammenbrechen des Kapp-Putsches durch einen Generalstreik nach Thüringen zog, um dort die Errichtung der Räteherrschaft zu verhindern. Ihre Gefangenen waren Arbeiter aus Bad Thal, die zur Abwehr des Kapp-Putsches wenige Tage vorher an der Beschlagnahme von in Privatbesitz befindlichen Waffen teilgenommen hatten und durch den Ortsgendarmen, den Bürgermeister und den Amtsrichter denunziert worden waren. Als die Gruppe um 8 Uhr Mechterstädt passierte, erschossen die Bewacher ihre Gefangenen - „auf der Flucht“, wie die Koportierten später vor Gericht aussagen sollten.
Den 70.Jahrestag dieses Geschehens nahm die Geschichtswerkstatt Marburg zum Anlaß, genauer zu untersuchen, was hinter den Prahlereien der „Alten Herren“ in den Villen der Verbindungen unterhalb des Landgrafenschlosses steckte, die noch in den 70er Jahren von ihrem „Einsatz gegen die Spartakisten in Thüringen“ schwadronierten. Die Verwicklung der Korportationen in die Morde von Mechterstädt und ihr heutiges Traditionsverständnis trifft auf den Versuch einiger der „Männerbünde“, ihr Image als touristisch verwertbare Universitätsfolklore abzustreifen und im aktuellen politischen Klima den über Jahrzehnte bewahrten Hang zum nationalen Chauvinismus offen zu propagieren. Der Einsatz gegen Links einigte schon 1920 die eher zerstrittenen Verbindungen und „galt ihnen als vorbildlich und zukunftsweisend“, wie Michael Lemling von der Geschichtswerkstatt betont.
„Vaterland in Gefahr“
Im März 1920 unterstützten die Marburger Korporationen den Kapp-Putsch. Das bereits im September 1919 aufgestellte, 1.200 Studenten umfassende StuKoMa ermöglichte es den Verbindungen, von der Reichswehr erhaltene Waffen in ihren Häusern zu lagern. Nach dem Bekanntwerden des Putsches in Berlin entwarfen sie unter Führung des Fregattenkapitäns a.D. und Studenten Bogislav v.Selchow einen Plan zur Besetzung Marburgs: „Die Burschenschaft Arminia sollte den Hauptbahnhof besetzen und die Straße nach Wehrda absperren... Das Korps Teutonia sollte einen zweiten beweglichen Stoßtrupp bilden. Durch einen weiteren Geheimbefehl waren eine Anzahl Studenten abgeteilt, die alle öffentlichen Gelder zu beschlagnahmen und die jüdischen Banken zu besetzen hatten.“
Durch den schnellen Zusammenbruch des Kapp-Putsches kam es nicht zur Ausführung des Plans. Die verhinderten Putschisten konnten ihre Kräfte nun zum „Schutz der Republik“ vor der „roten Rätediktatur“ einsetzen. Nachrichten aus Thüringen meldeten schwere Kämpfe und Aufruhr. Die bislang gegenüber Kapp passive Reichswehr befand nun plötzlich „das Vaterland in Gefahr“. Am 20.März wurde die Universität geschlossen, weil die Studenten die Reichswehr als Zeitfreiwillige unterstützen sollten.
Ein Student notierte damals in seinem Tagebuch: „Die Studentenkompagnien sind nur nach einer Seite zuverlässig, nach links. Im innersten Herzen sympathisieren sie mit Kapp und Genossen. Es ist traurig, daß diese Menschen sich wieder brüsten sollen, die Republik gerettet zu haben.“ Dieser Student war Gustav Heinemann, der mit seinen Kommilitonen Wilhelm Röpke und Ernst Lemmer - später Minister im Kabinett Adenauers -, die wie er der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehörten, innerhalb der StuKoMa eine Kompanie von Nichtkorporierten, Arbeitern und Sozialisten organisierte die „Volkskompagnie Marburg“.
Hatten die demokratischen Studenten und Professoren vergeblich versucht, die Bewaffnung der Korporierten zu verhindern, so entschlossen sie sich nun unter der Führung des Theologieprofessors Heinrich Hermelink zur Teilnahme am StuKoMa mit klarer Absicht: „Die Regierung soll endlich einmal durch und durch republikanische Kerntruppen in die Hand bekommen.“
Die Volkskompagnie erreichte zwei Tage nach den Morden von Mechterstädt die Gegend von Bad Thal und begann - von der erregten Bevölkerung unterrichtet - sofort mit der Aufklärung der Tat. Ernst Lemmer informierte in Berlin seine Parteifreunde, die in der Nationalversammlung darüber berichteten.
Damit fruchteten alle Vertuschungsversuche der Militärs nicht mehr. Es kam zu einem Prozeß vor dem Marburger Kriegsgericht. Allerdings wurde den 14 angeklagten Verbindungsstudenten (sechs „Hasso-Nassovia“, drei „Germania“, zwei „Teutonia“, zwei „Alemannia“, ein „Rhenania“) lediglich vorgeworfen, „unter rechtswidrigem Waffengebrauch... vorsätzlich Menschen getötet zu haben, ohne daß die Tötung mit Überlegung ausgeführt worden war“. Ihr Verteidiger Dr.Luetgebrune profilierte sich in dem Verfahren für zukünftige Aufgaben: Er vertrat später Kapp und Lüttwitz, die Mörder von Erzberger und Rathenau, Mörder aus der SA vor Gericht und wurde Oberster Rechtsberater der SA.
Der Marbuger Prozeß erwies sich als Farce: Die Täter wurden selbst von dem gemilderten Vorwurf freigesprochen. Ein Berufungsgericht in Kassel bestätigte im Herbst desselben Jahres dieses Urteil.
Während eine empörte Öffentlichkeit die Marburger Studenten als Inbegriff finsterster Reaktion identifizierte, reagierte die Universität stramm national. Ihr Rektor, der Historiker Wilhelm Busch, der beim Abmarsch des StuKoMa gefordert hatte: „Der Geist, der Euch beseelt, soll der Geist des neuen Deutschland werden“, erklärte nach den Prozessen: „Wir sind stolz darauf, daß sich die Marburger Studenten in so großer Zahl freiwllig dem Vaterland zur Erhaltung von Ruhe und Ordnung zur Verfügung gestellt haben.“ 1933 ließ die Philipps-Universität dann auf eigene Kosten an dem auf dem Friedhof von Bad Thal errichteten Mahnmal den Hinweis auf die Marburger Studenten als Täter entfernen. Bogislav v.Selchow, Führer des 1.Bataillons des StuKoMa, der mit seiner in einem Marburger Verlag gedruckten „Kriegslyrik“ einigen Erfolg verzeichnete, wurde unter den Nazis Ehrensenator der Universität.
Das heutige Selbstverständnis zahlreicher Marburger Verbindungen demonstrierte das Corps „Hasso-Nassovia“ im Juni vergangenen Jahres bei ihrem 150.Stiftungsfest. Während Mitglied Dr.Jürgen Helle, Präsident des Landgerichts Oldenburg, forderte, nicht dem traditionsfeindlichen Zeitgeist nachzugeben und sich „freudig zu den Farben der Hasso-Nassovia zu bekennen“, sollen die Korporierten nach der Meinung des „Alten Herren“ Dr.Hartmut Fischer sich an die Ehemaligen erinnern, „um ihrer Taten für die Verbindung gerecht zu werden“. Das wollten Asta und Geschichtswerkstatt so nicht im Raum stehen lassen. Ihre VertreterInnen wiesen unmißverständlich auf die Beteiligung von Mitgliedern der „Hasso-Nassovia“ bei den Erschießungen von Mechterstädt hin und fragten nach der Auseinandersetzung mit dieser Tradition. Der Vorsitzende des Altherrenverbandes hielt eine Stellungnahme aber „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ für „wenig sinnvoll“. Immerhin wollte er aber die Studienvertreter und Historiker „im nächsten Semester auf unser Haus einladen und dort mit ihnen über alle Fragen diskutieren“. Bislang ist daraus jedoch noch nichts geworden.
Uni bezieht bis heute
keine Position
Möglicherweise trug zum Ausbleiben der Einladungen ein Fackelzug der Burschenschaften „Germania“ und „Rheinfranken“ im November letzten Jahres bei, der unter dem Motto „Einheit jetzt“ 80 Verbindungsstudenten zu einer ihrer seltenen öffentlichen Kundgebungen aktivierte. Als sich ihnen eine doppelt so große Anzahl schnell mobilisierter GegendemonstrantInnen entgegenstellte, kam es, um den studentischen Rechtsaußen eine Gasse zu bahnen, „zu einem für Marburg in den letzten Jahren einmalig brutalen Polizeieinsatz“, wie die Marburger Stadtzeitung 'Express‘ beobachtete. Mitglieder der „Germania“ hatten sich bereits im Sommer vergangenen Jahres besonders aktiv bei der Gründung eines Hochschulverbandes der Reps in Marburg hervorgetan und stellen inzwischen auch aus ihren Reihen ein Mitglied für den Kreisvorstand der Partei.
Zum 70.Jahrestag organisierten der zu zwei Dritteln von den Jusos gestellte Asta, Geschichtswerkstatt und DGB Vorträge und einen „historischen Spaziergang“ von Bad Thal nach Mechterstädt. Durch die im Vorfeld entstandenen Diskussionen sahen sich auch die Philipps-Universität und der rot-grüne Magistrat der Stadt, der seit zwei Jahren eine Partnerschaft mit dem thüringischen Eisenach pflegt, veranlaßt, erstmals das Geschehen zu bewerten. Universitätspräsident Dietrich Simon gedachte in einem offenen Brief an den Rat der Gemeinde Thal der Erschießung von 15 ihrer Bürger durch Studenten der Universität „mit Trauer und Betroffenheit“. Allerdings vermöge, „was die Geschichtswissenschaft anhand der ihr bisher zur Verfügung stehenden Quellen ermitteln konnte, die Vorfälle nicht völlig zu klären“. Die vom Asta angemahnte Niederlegung eines Kranzes am Denkmal lehnte Simon ab. Sein Verhalten rief bei den Studentenvertretern Bestürzung hervor, hatte der Präsident doch beim Stiftungsfest der „Hasso-Nassovia“ 1989 noch dazu aufgerufen, „ein eisernes Kartell zwischen der Universität und dem Corps“ zu schließen und die Beziehungen wieder öffentlich zu pflegen. Asta-Vorsitzender Bernhard Schröder ist entsetzt, daß der Unichef dies mit einem Corps wünsche, „von dem bis heute keine Distanzierung von den Mördern aus den eigenen Reihen erfolgt ist“.
In einem Vortrag der Geschichtswerkstatt über das StuKoMa wies Michael Lemling auch auf die antisemitische und republikfeindliche Orientierung der Verbindungen während der Weimarer Republik hin, die sich im konservativen Marburg als Steigbügelhalter nationalsozialistischer Studentenorganisationen betätigten. „Die Studenten gehörten zu den aktivsten Kräften der Reaktion. Ihr Engagement in den (para-)militärischen Formationen der ersten Nachkriegsjahre entsprach ihren Vorstellungen, die Ergebnisse der Revolution zu bekämpfen.“
Am letzten Märzsonntag fuhren dann 50 StudentInnen und GewerkschafterInnen nach Bad Thal, um von dort aus einen „historischen Spaziergang“ nach Mechterstädt zu unternehmen. Auf dem Friedhof von Thal legten sie am Denkmal Kränze für die Ermordeten nieder. In der aktuellen Situation der DDR zog dieses Gedenken nach den früher von der SED angeordneten Ritualen für die „Märzgefallenen“ nur wenige Einheimische an. Unter ihnen befanden sich zwei Töchter und ein Neffe der ermordeten Arbeiter. Beklommen hören die MarburgerInnen, wie die Tochter von Karl Füldner von den Demütigungen erzählt, die sie nach dem Tod ihres Vaters erleben mußte. Sie verlor nicht nur ihren Vater, auch zwei Brüder ihres Vaters wurden bei Mechterstädt ermordet. Ein Vertreter des DGB wünschte in seiner Ansprache, „die eigentlichen Erben der mörderischen Tradition stünden auch hier. Aber die werden sich wohl demnächst in voller Wichs auf der Wartburg versammeln, um aus ihrer Sicht Deutschland, einig Vaterland zu feiern.“
Zurück in Marburg konnten die TeilnehmerInnen am nächsten Morgen der Lokalzeitung entnehmen, daß der Magistrat der Stadt in Person von OB Hanno Drechsler und SPD-Vertreter bereits am Vortag des Jahrestags in Thal und Mechterstädt Kränze niedergelegt hatten, um nicht mit den StudentInnen „identifiziert zu werden“, da deren Veranstaltung möglicherweise „erheblich von kommunistischen Kräften aus Marburg und Eisenach mitbestimmt werden würde“.
Nur wenig später trafen sich dann - wie vorausgesagt - am 31.März 150 Burschenschaften aus der BRD und Österreich auf der Wartburg, nachdem der Rat der Stadt Eisenach vergeblich versucht hatte, das Treffen zu verhindern. Ein Sprecher der Korporierten erklärte, die Nachkriegsordnung von Jalta sei beendet und plädierte ungeniert für ein vereinigtes Deutschland in den Grenzen von 1937. Und auch nur in dieser Hinsicht distanzierte er sich von den auf der Wartburg von Verbindungsstudenten verteilten Flugblättern, die über ein „Deutsches Vaterland“ in den Grenzen von 1937 hinaus die Einbeziehung Österreichs und des Sudetenlandes forderten: in den Grenzen vom 1.September 1939!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen