: Wer soll Lohn löhnen?
DDR-Gewerkschafterin: Kohl soll nicht, Betriebe können nicht ■ N o C o m m e n t
Mit „solchen Tricks“ hat sie „nicht gerechnet“, klagte Helga Mausch, neue Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes der DDR, FDGB, kürzlich in einem Interview. Aber so trickreich ist er eben, unser Bundeskanzler Helmut Kohl: Erst 1:1 bei der Lohnumstellung auf die D-Mark versprechen und dann nicht einhalten. Das könnte er laut Mausch jetzt auch nicht mehr damit gutmachen, daß er etwa bei einer Halbierung der Löhne durch eine 2:1-Umstellung Ausgleichszahlungen auf die Bezüge anböte: „Soweit sind wir also gekommen, daß man uns zu Almosenempfängern degradiert. Die Wahlversprechen von Herrn Kohl sahen anders aus.“ Das klingt kämpferisch.
Ein angemessener Lohn für angemessene Arbeit ist natürlich erstrebenswert. Aber wer soll denn für das Arbeitsentgeld aufkommen, wenn Mausch im selben Interview realistischerweise feststellt, daß die Betriebsdirektoren „unsere Tarifforderungen wahrscheinlich nicht erfüllen“ können? Die konkurrenzunfähigen Betriebe können nicht, und Bundeskanzler Kohl soll nicht. Hat Bundeskanzler Kohl etwa versprochen, daß er persönlich und sofort die DDR-Betriebe ökonomisch in die Lage versetzt, die vollen Löhne in D-Mark auszahlen zu können?
Diese augenscheinliche Verwirrnis ist die denkbar schlechteste Ausgangsposition der DDR-Gewerkschaften für die anstehenden Verhandlungen um den Geldumtausch und vor allem die gleichzeitig einsetzenden Tarifverhandlungen: Wer soll überhaupt dafür in die Verantwortung genommen werden, daß in der DDR ein angemessenes Einkommensniveau bei möglichst geringem Aufkommen von Unternehmenspleiten und ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird? Eine Antwort auf diese Frage ist zehnmal wichtiger als die gar nicht zu beantwortende nach dem richtigen Konversionskurs bei der Lohnumstellung. Die ist zweitrangig, weil die D-Mark-Potenz der meisten Betriebe aus dem Stand sowieso nicht für 1:1 ausreicht. Nach Lage der Dinge sind Ausgleichszahlungen welcher Art auch immer aus den öffentlichen Haushalten gar nicht zu umgehen. Wer von vornherein auf solche „Almosen“ verzichtet, entläßt Bundeskanzler Kohl und seine DDR -Wahlkampfmannschaft völlig unnötigerweise aus ihren Versprechungen. Wann kommen die ersten Forderungen auf den Tisch? Die Währungsunion kann schon am nächsten Wochenende erfolgen.
Ulli Kulke
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