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Neu im Kino: „Roger and Me“ von Michael Moore

■ Nach der Ausbeutung

Bei einem Dokumentarfilm einfach die Kamera draufzuhalten und dröge Fakten zu photographieren reicht nicht, da hat Michael Moore völlig recht. Mr. Moore ist Journalist, Jungfilmer und Bürger des Städtchens Flint im Bundesstaat Michigan. Hier entwickelte General Motors sein Imperium, hier wurde die erste amerikanische Industriegewerkschaft gegründet und hier fand 1937 der Sitzstreik statt, mit dem der erste Tarifvertrag Amerikas erkämpft wurde.

1987 ist alles anders. Die Rattenpopulation ist um 50.000 höher als die der Menschen. 30.000 ArbeiterInnen verloren ihre Arbeit, weil GM die Fabriken schloß, um sie im Billiglohnland Mexiko neu zu eröffnen. Flint, Mi., befindet sich im Zustand der Agonie. Nicht so Michael Moore. Er ist Me. Er hatte es satt, die Schönfärbereien der authorities hinzunehmen und er hat einen der Hauptverantwortlichen ausgemacht: Roger, genauer, Roger B. Smith, Vorstandsvorsitzender von GM. Ihm und seiner Ausbeutungspolitik gibt er die Schuld an der extremen Arbeitslosenquote, an den Geschäftsschließungen und an der um sich greifenden Armut.

„Wouldn't it be nice“, tönt es aus dem Autoradio und ein GM -Arbeiter, der soeben seine allerletzte Schicht im LKW-Werk heruntergerissen hat, tickt aus. Schnitt. „Flint hat tolle Sachen zu bieten“, sagt eine Frau auf einer Gartenparty, bei der arbeitslose Menschen als lebende Statuen das Partydekor ersetzen. „Schließlich haben wir ein Ballett und auch Hockey.“ Schnitt. Der Deputy Sheriff nimmt soeben eine Zwangsräumung vor. Die Leute sind zunächst überrascht, dann wie gelähmt. Es ist kurz vor Weihnachten und es schneit.

Roger and Me ist der von Beginn an aussichtslose Versuch, Roger Smith nach Flint zu bringen, um ihn mit der fatalen Situation vor Ort zu konfrontieren. Auf den Spuren des Tycoons begegnet Filmemacher Moore in exklusiven Klubs arroganten Kellnern, dullen Sicherheitsbeamten und einer Mauer aus Ablehnung. An Roger wird er sich die Zähne ausbeißen, das merkt er bald. Also zurück nach Flint.

Dort werden Ex-GM-Arbeiter zu Gefängniswärtern umgeschult und bewachen nun ihre früheren Kollegen. Flint hat mittlerweile die höchste Kriminalitätsrate in den USA. Im neuerbauten fünfstöckigen Gefängnis sind Doppelzimmer für 100 Dollar zu mieten. 50% der Einwohner erhalten staatliche Unterstützung, während Roger das eigene Gehalt auf 2 Millionen Dollar aufstockt. Jede Pointe sitzt bei Michael dort, wo sie hingehört. Sie steckt im Hals fest. Jürgen Franck

Atlantis, 18 u. 20.30 Uhr

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