: MAGENTA AUF DER SONNENBANK
■ Der Körper als Sujet: „Wege zu Kraft und Schönheit“ im FSK
Mühsam und beschwerlich, voller Hemm- und Hindernisse sind sie, die Wege zu Kraft und Schönheit, und manch einem oder einer sind sie - wie man es den mitleidlos-sachlichen Schilderungen der Gesundheitsliteratur entnehmen kann - ganz verbaut; z.B. den Stinknasen: „Der furchtbare Geruch aus der Nase machte die Kranken ihrer Umgebung unerträglich; andererseits empfinden dieselben die Stinknase als ein Übel, das sie in Gesellschaft unmöglich macht und bisweilen bei ihnen zur tiefen Gemütsverstimmung und Melancholie führen kann.“ Freuen darf man sich mit den Hühnerbrust -Geschädigten, denn deren Leiden körperlicher Makel ist „durch gutes orthopädisches Turnen und durch Atemgymnastik zu bessern“, während gegen die Sommersprossen kein Kraut gewachsen ist, obwohl als Geheimtip „Paschlas empfohlene Gesichtspomade“ sehr gut wirken soll.
Wege zu Kraft und Schönheit ist das Motto einer Filmreihe, in deren Mittelpunkt der menschliche Körper in seinen verschiedensten Facetten steht: nackt und tätowiert, seziert und geschminkt, für schön, attraktiv und preiswürdig befunden, von Krankheit und Siechtum gezeichnet, künstlich geschaffen und als Kulturgut verkauft.
Wege zu Kraft und Schönheit hieß 1922 ein von der UFA produzierter sogenannter Kultur-Film, der damals zum Publikumsrenner wurde, weil zum ersten Mal an der sittenstrengen Zensur vorbei nackte Frauen- und Männerkörper über die Leinwand turnten. „Es besteht kein Zweifel, daß vielen in der Menge die ganze Körperkultur Hekuba ist und sie nichts sahen und sehen wollten als eben nackte Männer und Frauen. Daß sie, auch in den in schöner Rhythmik schwingenden Mädchenkörpern, statt den entzückenden Reiz der Linienharmonie zu empfinden, nichts als Nuditäten erblicken, ist ein Manko ihrer Psyche und darf dem Film nicht zum Vorwurf gemacht werden“, bemängelte da ein Kritiker die niederen Instinkte der Kinogucker, ganz hin und weg von der Erkenntnis des Films, “... daß die körperliche Ertüchtigung der Bürger die Bürgschaft für eine sichere Zukunft des Staates sei“. Daß ein Jahrzehnt später die Nazis freie Bahn hatten, ihr rassistisches Wunschbild vom deutschen Übermenschen, dem Arier, gnadenlos zu inszenieren, gibt diesem Film eine ganz andere Bedeutung als die einer obskuren, nudistischen Anekdote der Filmgeschichte.
Den Körper des Menschen in und durch ein System gefügig zu machen, ihn durch einen Staat, eine Gemeinschaft oder Gesellschaft zu absorbieren, ist die perfideste Art, einen manipulierbaren Menschen zu schaffen, gegen den die uralten Träume und Vorstellungen vom künstlich geschaffenen menschlichen Lebewesen wie alchemistische Kinderspielereien wirken. Mary Shelleys Frankenstein ist das Produkt einer regen Phantasie und nicht das Ergebnis gentechnologischer Laborversuche gewesen; der Mythos vom künstlichen Menschen war immer mit der Imagination verbunden, das Unmögliche zu denken, um es bei Gefahr und zu hohem Risiko zu verhindern.
Wie fließend inzwischen die Grenzen zwischen Künstlichkeit und Wirklichkeit menschlicher Körper sind, versucht Monika Funke-Stern in ihrem Videofilm Frankensteins Scheidung aufzuzeigen. Der Traum, ein synthetisches Wesen zu kreieren, ist längst überholt worden vom propagierten Ideal der ewigen Schönheit, die mit allen möglichen chirurgischen und kosmetischen Mitteln künstlich gestreckt wird. Die Sonnenbank oder der Schönheitssalon finden ihre Entsprechungen in dem Operationstisch, auf dem Frankenstein und später noch seine Braut zusammengeflickt werden oder in den gigantischen elektrischen Apparaturen, mit denen ihnen Leben „eingeflößt“ wird.
Daß ausgerechnet Frauen mehr oder weniger direkt drangsaliert werden, immer neue „Wege zur Schönheit“ zu gehen, verwundert da wohl kaum, denn sie tragen ihre Haut auf den Schönheitsmarkt, werden dafür bezahlt und prämiert, zu einem meist lächerlichen Preis im Vergleich zu ihrer psychischen und physischen Ausbeutung. Drastisch dokumentieren das Andras Der und Laszlo Hartai in ihrem Film Schönheiten, der einen Blick hinter die Kulissen des ersten Schönheitswettbewerbes in Ungarn seit 50 Jahren wirft. Der aus Fernsehbildern und späteren Interviews montierte Film zeigt den blanken Zynismus derjenigen, für die die Mädchen nichts weiter als eine austauschbare Ware sind, mit der Mann auf dem freien Frauenfleischmarkt hökern gehen kann. In „Schönheiten“ bleibt es nicht bei Heulereien und Nervenzusammenbrüchen: die Siegerin der Miß-Wahl, ein 16jähriges Mädchen, verübte nach einem halben Jahr nach dem Wettbewerb Selbstmord.
Daß jede Körper-Kultur falsch und verlogen ist, wenn sie Liebe und Erotik, Schmerz, Krankheit und Tod tabuisiert, beweisen auf sehr unterschiedliche Art und Weise der japanische Film Irezumi - Die tätowierte Frau und Werner Schroeters Der Rosenkönig. In „Irezumi“ geht wortwörtlich die Liebe und Lust unter die Haut, die Tätowierkunst wird zu einem komplexen Zeremoniell, das auf einer seltsamen, ineinanderfließenden Mischung von Schmerz und Erotik beruht; die schmerzhafte Tätowierung wird zu einem Liebesritus.
Die Sucht nach der Perfektion des Schönen, der Veredelung eines Körpers und eine Liebe, die dem Wahnsinn verfällt, sind der richtige Stoff für Werner Schroeter, einen Film zu drehen, der fast abzusaufen droht in seinen Bild- und Tonfluten. „Der Rosenkönig“ ist Magdalena Montezuma gewidmet. Es ist ihr letzter Film, sie starb kurz nach den Dreharbeiten an Krebs. Ihre von schwerer Krankheit geprägte physische Präsenz gibt dem Film eine ganz eigenständige Identität. Der deutlich sichtbare Verfall eines Menschen und seines Körpers gerät dadurch zu einer bösen Attacke auf die blinde Verehrung körperlicher Schönheit und Gesundheit.
DOA
„Wege zu Kraft und Schönheit“ ab heute im FSK. Termine siehe Berlin Total.
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