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Für die ersatzlose Steichung des §218 StGB - jetzt!

Aufruf zu einer bundesweiten Protestaktion gegen den §218 und für das ungeteilte Selbstbestimmungsrecht der Frauen, am 16.Juni in Bonn  ■ D O K U M E N T A T I O N

Jetzt - 14 Jahre, nachdem der §218 unter dem Druck machtvoller Demonstrationen und spektakulärer Aktionen der Frauenbewegung ein Stück weit „liberalisiert“ wurde - rufen wir wieder zu einer bundesweiten Protestaktion gegen den §218 auf.

Nach wie vor schreibt der §218 fest, daß ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar und nur nach Zwangsberatung in Ausnahmefällen strafrechtlich nicht verfolgt wird. Doch damit nicht genug.

Seit der Verabschiedung des „reformierten“ §218 versuchen rechte AbtreibungsgegnerInnen die Abtreibungspraxis zu verschlechtern. In den letzten Jahren wurde durch massive Angriffe auf allen Ebenen der Schwangerschaftsabbruch erneut zu einem politisch hart umkämpften Thema. Die Hexenprozesse in Memmingen und das Verfahren gegen den Frauenarzt in Neuwied sind Beispiele dafür, wie Frauen und ÄrztInnen aktuell unter Druck gesetzt und kriminalisiert werden. (...) Das geplante Bundesberatungsgesetz, die Klage Bayerns beim Verfassungsgericht gegen die Notlageindikation und den Abbruch auf Krankenschein, die ersten Verweigerungen der Krankenkassenfinanzierung zeigen, daß es den AbtreibungsgegnerInnen darum geht, letztlich jeden legalen Abbruch nach der Notlagenindikation zu verhindern. Schon heute werden Frauen, die sich zu ihrem Schwangerschaftsabbruch bekennen, öffentlich als „Mörderinnen“ gebrandmarkt und kriminalisiert.

Wir wollen über unser zukünftiges Leben - ob mit oder ohne Kinder - selbst bestimmen, ohne strafrechtlich verfolgt oder moralisch oder ökonomisch unter Druck gesetzt zu werden. Wir wollen ein Ende der Hexenjagd.

Der §218 verweigert Frauen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.

Wir Frauen wollen nicht länger über uns verfügen lassen. Wir wollen uns nicht zu dem mit Schwangerschaft und Geburt eines Kindes verbundenen Verzicht und zur Übernahme der „natürlichen“ mütterlichen Pflichten „verurteilen“ lassen. Das Gesetz legt die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch in die Hände von ÄrztInnen und BeraterInnen. Darüber hinaus maßen sich zunehmend Richter und Staatsanwälte die Entscheidungsbefugnis über das Leben von Frauen an. (...)

Der §218 verletzt die Gesundheit der Frauen!

Durch die Suche nach indikationsstellenden ÄrztInnen und den Hürdenlauf durch die Instanzen wird der Zeitpunkt des Abbruchs hinausgezögert und das gesundheitliche Risiko für die Frau unnötig erhöht. Das Verbot ambulanter Abbrüche in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen macht einen Krankenhausaufenthalt erforderlich, der Frauen oftmals psychisch und physisch stärker belastet. Dies gilt ebenfalls für die ungenügenden ambulanten Abbruchmöglichkeiten in den anderen Bundesländern. In den von Unionsparteien regierten Bundesländern sind Frauen zusätzlich benachteiligt. Da es in manchen Regionen kaum noch möglich ist, einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen, müssen sie in benachbarte Bundesländer oder ins Ausland reise.

Wir wollen eine gute medizinische Versorgung ohne Schikanen. In jeder Stadt und in jedem Landkreis muß es die Möglichkeit geben, eien Abbruch ambulant, mit der schonendsten Methode und in vertrauensvoller Atmosphäre vornehmen zu lassen. Die Finanzierung durch die Krankenkassen muß auf jeden Fall gewährleistet sein. Für Frauen, die eine Beratung wünschen, soll sie selbstverständlich kostenlos sein. Beratungsstellen der Pro Familia, sowie Frauengesundheitszentren müssen ausreichend finanziert werden. Die Sexualaufkärung an den Schulen muß verbessert werden.

Der §218 ist ein Instrument der Bevölkerungspolitik.

Nicht allein ungewollt schwangere Frauen sollen zum Kinderkriegen gezwungen werden, sondern es geht offenbar auch darum, bevölkerungspolitisch „unerwünschten“ Nachwuchs zu verhindern. Die Notlagenindikation, zunehmend zur „sozialen“ Indikation umgebogen, wird leichter sozial „auffälligen“ Frauen oder ausländischen Frauen gewährt. Behinderte Frauen, zu „Risikoschwangeren“ erklärte Frauen und zum Beispiel auch Sucht- oder Aidskranke werden über humangenetische Beratungsstellen und die eugenische Indikation zum Abbruch auch einer gewollten Schwangerschaft gedrängt nach dem Motto: „Wenn schon weniger Kinder, dann gesunde, leistungsstarke, deutsche.“ (...)

Wir fordern die ersatzlose Streichung des §218 StGB auch wegen der eugenischen Indikation. Wir fordern das Recht für jede Frau, allein darüber zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austragen will oder nicht. Gleichzeitig fordern wir gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, repressionsfrei und mit aller nötigten Unterstützung mit behinderten wie nichtbehinderten Kindern zu leben.

Der §218 ist kein isoliertes bundesdeutsche Problem!

In vielen Ländern hat die Frauenbewegung mehr oder weniger große Erfolge im Kampf für die Freiheit beim Schwangerschaftsabbruch erzielen können und sich damit ein wesentliches Stück mehr Freiraum für Emanzipation erkämpft. Als Reaktion darauf haben kirchliche und weltliche „Lebensschützer“ eine organsierte Kampagne im gesamten Raum christlich-abendländischer Tradition gestartet. In Italien mußte die Frauenbewegung im vergangenen Jahr mit riesigen Massendemonstrationen gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes auf die Straße gehen. Darüberhinaus gibt es auch heute in Europa Länder wie zum Beispiel Irland, in denen ein fast totales Abtreibungsverbot herrscht. In Polen hat vor allem die katholische Kirche für die reale Gefahr gesorgt, daß der Schwangerschaftsabbruch dort generell verboten und mit Gefängnisstrafen zwischen drei und fünf Jahren bestraft werden soll. Die BRD, die durch wirtschaftliche Macht die Möglichkeit hat, in die politischen Entscheidungen anderer Länder hineinzuwirken, nutzt dies gegen die Interessen der Frauen aus. So gibt es heute bereits in der DDR Tendenzen, die relativ große Freiheit beim Schwangerschaftsabbruch einzuschränken und das DDR-Recht in diesem Punkte dem bundesdeutschen Recht anzugleichen.

Wir wollen dem internationalen Druck der Moralisten und Bevölkerungsstrategen den gemeinsamen Widerstand der Frauen entgegensetzen. Wir fordern das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht für alle Frauen.

Es wird Zeit, den Frauenwiderstand aufleben zu lassen und den nötigen politischen Druck für unsere Ziele zu erzeugen! Gerade im Hinblick auf die bevorstehenden Bundestagswahlen im Herbst müssen wir die Forderung nach ersatzloser Streichung des §218 StGB wieder auf den Tisch und in die Köpfe der PolitikerInnen bringen!

Deshalb rufen wir auf: Kommt zur bundesweiten Protestaktion am 16.Juni nach Bonn! Gemeinsam fordern wir die ersatzlose Streichung des §218 StGB - jetzt!

InitiatorInnen:

Frauen gegen §218 (Bundesweite Koordination); Verena Krieger, Bundesvorstandssprecherin Die Grünen; Bundesvorstand der JungsozialistInnen in der SPD, Ulrike Loida; Fraueninitiative 6. Oktober; ASF-Landesverband Niedersachsen ASF-Bezirk Hannover, Monika Ganseforth; Renate Sadrozinski für den Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie; Uschi Pausch-Gruber, Landesvorsitzende ASF Bayern; MdL, Steffi Wulfert, Sozialistischer Hochschulbund (SHB); Bayerisches Landesfrauenbündnis; Demokratische Fraueninitiative (DFI); Ute Brugmann, Frauenreferentin des ASTA der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Ludwigshafen; Deutsche Kommunistische Partei (DKP); Frauen aus dem Kommunistischen Bund; Claudia Walter, Frauengruppe der Juso-HSG & friends, Aachen; Vereinigte Deutsche StudentInnenschaften (VDSf); Vereinigte Sozialistische Partei (VSP).

Die Demo beginnt um 14 Uhr in der Graurheindorferstraße (Bonn). Ab 14 Uhr dann eine Kulturveranstaltung unter anderem mit Anne Haigis und der Frauenrockband „Medusa“ auf dem Münsterplatz.

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