piwik no script img

Mafia bietet Drogen gegen Stockfisch

Es gibt kein Geld mehr in Brasilien: Notizen aus dem Alltag / 40 Prozent der Hausangestellten verloren in den letzten Wochen ihren Job  ■  Von N. Hellenkemper und M. Ramao

Fausto Wolf, 49 Jahre alt, seit 30 Jahren Journalist, wurde über Nacht zum armen Mann. Von seinen rund 10.000 DM Sparguthaben ließ ihm der Plano Collor 2.000 DM, um offene Rechnungen zu bezahlen, seine restlichen Cruzados wurden eingefroren. Was ihm davon in 18 Monaten noch bleibt, ist fraglich. Schließlich änderte „Indiana“ Collor, wie der brasilianische Staatspräsident frei nach Indiana-Jones genannt wird, bei seinem Amtsantritt am 15.März auch die Währung. Und der alte Cruzado wird gegenüber dem neuen Cruzeiro täglich abgewertet. Fausto Wolfs Arbeitgeber, die große Fernsehstation Bandeirantes, hat auch kein Geld mehr. Sie bat ihren Angestellten, doch einen zweimonatigen unbezahlten Urlaub zu nehmen.

Die Kollegen beim 'Journal do Brasil‘, einer in Aufmachung und Einfluß der 'Süddeutschen Zeitung‘ vergleichbaren Tageszeitung, mußten erstmalig mit einem taz-ähnlichen Einheitslohn zufrieden sein. Die Seitenzahl der Zeitung ist auf die Hälfte geschrumpft, ein Anzeigenteil existiert praktisch nicht mehr.

Die Schlangen von den Banken haben sich verdreifacht. Keiner läßt seinen Lohn auch nur einen Tag mehr auf der Bank aus Angst vor neuen Regierungsmaßnahmen. Der Schock sitzt tief. Denn der Plano Collor vergriff sich auch am Sparbuch des kleinen Mannes, etwas, was selbst in 30 Jahren Militärdiktatur nicht geschehen war.

Die Kinder zu den weit entfernten Schulen bringen, stundenlang in den Supermärkten Schlange stehen, Essen kochen, Wäsche, Haushaltsreinigung, all das wurde selbst in den ärmeren Mittelschichtsfamilien von Hausangestellten erledigt. Nach ersten Schätzungen verloren an die 40 Prozent dieser Frauen in den letzten Wochen ihren Arbeitsplatz. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es in Brasilien nicht.

Ohne Geld für Restaurant, Kino oder Ausflüge mit den Kindern werden die Wochenenden für viele Brasilianer zu einer Art häuslichem Inferno. Die „delegacias das mulheres“ (mit Frauen besetzte Polizeiwachen), die sich speziell mit Gewalt gegen Frauen befassen, klagen über eine Verdreifachung ihres Arbeitsaufkommens. Die meisten Anzeigen richten sich gegen die Gewalttätigkeit von Ehemännern, viele seit kurzem arbeitslos oder ohne Lohn.

Die brasilianische Glücksspielmafia, die nicht nur mit dem „jogo de bicho“, eine illegale Lotterie, ihr Geld verdient, sondern auch in so unterschiedlichen Geschäftszweigen wie dem Karneval, dem Handel mit geraubten Autos, der organisierten Prostitution, dem Drogenhandel und den Todesschwadronen tätig ist, hatte einen Großteil ihres Geldes auf der Bank. Die „banqueiros de bicho“, die Banker, wie sich die Machtspitze der Mafia nennt, leiden unter Liquiditätsmangel und haben Schwierigkeiten, ihre Angestellten ordnungsgemäßt zu bezahlen.

Einzelne Drogenhändler wichen schon auf andere Lösungen aus. Sie organisieren von den von ihnen kontrollierten Favelas Supermarktplünderungen. Drogen gibt es nun gegen Whisky, Zigaretten oder auch gegen Stockfisch.

Auch die Polizei wird sich bald etwas Neues einfallen lassen. Die teuren Wagen, die in jedem Polizeiquartier zu Dutzenden stehen, obwohl ihre Besitzer bei der Polizei nur umgerechnet 300 DM im Monat verdienen, stehen nur noch rum. Das Polizistengehalt reicht nicht, um das Benzin zu bezahlen. Und die Mafia hat ihre Zahlungen vorübergehend suspendiert.

Abend für Abend dürfen die brasilianischen Massen am Fernsehschirm den Herzinfarkt eines weiteren brasilianischen Unternehmers miterleben, dessen Unternehmen völlig zusammenbrach. Dank einer hervorragenden Medienarbeit ist Collors Popularität noch kaum gebrochen.

Der kleine Mann leidet zwar, aber zum ersten Mal leiden die Reichen mit. (Und die Frauen zählen - wie immer - sowieso nicht! d.Äzzerin) Und das reicht ihm schon als Wähler, ihm, (!sic! d.Ä.) der immer hilflos dem Machtmißbrauch und protzig präsentierten Reichtum der Unternehmer und Politiker mitansehen mußte.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen