: „Lauschangriff“ mit Meldepflicht
Hessische Landesregierung legt neues Verfassungsschutzgesetz vor / Keine Binnendifferenzierung beim Geheimdienst ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Die Verfassung ist derzeit nicht bedroht. Dies sei den Landesämtern für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln zu verdanken. Die nämlich schützen die freiheitlich-demokratische Grundordnung „präventiv“, „ohne exekutive Befugnisse“. Sie setzen „die zuständigen Stellen in die Lage, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu treffen“. Das verkündete am Montag vor der Landespressekonferenz der hessische Innenminister Gottfried Milde (CDU), als er den am 12.April vom hessischen Kabinett verabschiedeten „Entwurf eines Gesetzes über das Landesamt für Verfassungsschutz“ vorstellte. Damit das hessische Landesamt dieser komplexen Aufgabenstellung auch gerecht werden kann, hat die Landesregierung das getan, was sie nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts schon im vergangenen Jahr hätte tun müssen. Das dem Landtag vorgelegte neue Gesetz soll das Regelwerk aus dem Jahre 1951 ablösen, nach dessen Vorschriften aus der Zeit des „Kalten Krieges“ das Landesamt für Verfassungsschutz bislang die „Gefahrenabwehr“ in Hessen organisierte.
Das neue Gesetz bewege sich dagegen zwischen den „verfassungsrechtlich vorgegebenen Koordinaten“ eines effektiven Schutzes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Individualinteresses der Bürger am Schutz persönlicher Daten. Und deshalb darf in Zukunft etwa ein Lauschangriff auf eine Wohnung nur dann in Szene gesetzt werden, wenn er nach Meinung der Verfassungsschützer „unerläßlich“ ist. Wann ein „Lauschangriff“ unerläßlich ist, entscheidet das Landesamt für Verfassungsschutz selbst. Die Bürgerrechte bleiben, so Milde, dennoch gewahrt, denn „nach dem 'Lauschangriff‘ müssen die Betroffenen benachrichtigt werden“.
Neu in den Entwurf aufgenommen wurde der Begriff der „Prüfphase“. Im Vorfeld der eigentlichen Observation können die in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit geratenen Personen oder Organisationen jetzt in der vorgeschalteten „Prüfphase“ über „allgemein zugängliche Quellen“ auf ihre verfassungsfeindliche Einstellung hin abgeklopft werden. In dieser Phase der Ermittlungen dürften keine nachrichtendienstlichen Mittel angewandt werden. Als Beispiel für die längst gängige Praxis der Vorfeldermittlungen nannte der Innenminister die noch laufende Prüfaktion gegen die „Republikaner“. Ob die Reps demnächst „richtiges Beobachtungsobjekt“ der Landesämter für Verfassungsschutz werden, entscheide sich in den nächsten Monaten.
Obgleich die Landesregierung nach eigenen Angaben „Rücksicht auf die Belange des Datenschutzes“ genommen habe, kam vom hessischen Datenschutzbeauftragten Spiros Simitis Kritik am Entwurf. Zwar sei die organisatorische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz auch in dem neuen Gesetz festgeschrieben worden, doch mangele es dem Entwurf an Bestimmungen für die organisatorische Trennung der einzelnen Abteilungen im Landesamt selbst. Hier habe die Landesregierung von Schleswig-Holstein Zeichen gesetzt und dem ungebremsten Datenfluß zwischen den Abteilungen einen Riegel vorgeschoben. Milde räumte denn auch ein, sich mit seinem Entwurf am Verfassungsschutzgesetz Bayerns orientiert zu haben, das dem Verfassungsschutz bundesweit die bislang größten Freiräume für die Ermittlungsarbeit offenhält.
Die Grünen im hessischen Landtag halten sich dagegen nicht lange mit Detailkritik am Entwurf auf. Nach Auffassung des rechtspolitischen Sprechers der Fraktion, Rupert von Plottnitz, gehört das Landesamt für Verfassungsschutz ersatzlos aufgelöst: „Wo es um ernsthafte Gefahren und Bedrohungen der Demokratie geht, schützen das Strafrecht, die Polizei und die zuständigen Strafverfolgungsbehörden.“ Eine „politische Gedankenpolizei“ sei insbesondere nach all den Veränderungen im Ostblock „so überflüssig wie ein Kropf“.
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