Die Müllunion steht bevor

■ DDR-Regierung setzt auf Müllverbrennungsanlagen nach westlichem Vorbild, um der Müllschwemme Herr zu werden / Grüne und Bündnis 90 wollen Verbot für umweltbelastende Verpackungen

Ost-Berlin. Die DDR will ihr Abfallentsorgungsproblem künftig nach westlichem Vorbild mit der Errichtung von Müllverbrennungsanlagen (MVA) lösen. Dies erklärte gestern auf einer Pressekonferenz des Umweltministeriums in Ost -Berlin der Leiter der Abteilung Umweltüberwachung, Alfons Hesse.

Bisher gibt es in der DDR neben einigen wenigen MVAs zirka 13.000, zum großen Teil „wilde“ Deponien, die nicht ordnungsgemäß bewirtschaftet werden und internationalen Bestimmungen nicht entsprechen. Auf ihnen werden von zirka 100 Millionen Tonnen Abfall jährlich 50 Millionen gelagert. Der Rest wird verbrannt oder als Sekundärrohstoff wiederverwertet. Ein Notstand bestehe allerdings für Sondermüll, so Hesses Kollege Dr. Mensch.

Noch nicht genügend gelernt hat man nach Auskunft Hesses in Hinsicht auf die Sekundärrohstoffverwertung (SERO). Niemand habe „geahnt, daß SERO zusammenbricht“. Dieses DDR-weite Sammelsystem von Altglas, Papier und Plastik führte der Wirtschaft fast zwei Millionen Tonnen wiederverwertbarer Materialien zu - weltweit sei dies ein Spitzenwert. Der staatliche Betrieb hatte im April die Ankaufpreise gesenkt, was fast zum Zusammenbruch führte. Derzeit lagern in den Annahmestellen unter anderem 30.000 Tonnen Papier, eine Folge billigerer Angebote aus dem Ausland. Da jedoch einer Tonne Altpapier etwa 3 bis 5 Kubikmeter Faserholz entsprechen, habe sich das Ministerium aus Umweltschutzgründen entschlossen, das alte Preisgefüge für das Jahr 1990 weiter zu subventionieren, um das Recyclingsystem bis zu einer marktwirtschaftlich rentablen Privatbewirtschaftung zu retten.

Um eine „ökologische Marktwirtschaft“ zu organisieren, wolle man der drohenden Zunahme von Abfall durch Pfandsysteme, Besteuerung und Kapitalisierung von Ressourcen begegnen. Auch die Preise für Abfallentsorgung seien „skandalös niedrig“. An ein Verbot von Einwegverpackungen denke man jedoch nicht, denn „freie Marktwirtschaft und ein bißchen Dirigismus“ entspreche nicht dem Wählerwillen. „Boykottaufrufe sind jedoch denkbar“, so Hesse, womit er bei der internationalen Presse Gelächter erntete, hatte er doch im gleichen Atemzug von einer Schwemme von Bier- und Cola -Dosen in der Landschaft berichtet. Die Zeiten, in denen ein DDR-Bürger ein Drittel des Hausmülls produzierte wie sein Westnachbar, sind damit offenbar endgültig vorbei.

Im alternativen Spektrum Ost-Berlins gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie dem Müllproblem beizukommen ist. Während sich auf der Pressekonferenz des Ministeriums ein Sprecher der Grünen Partei für ein „radikales Verbot umweltbelastender Verpackungen“ aussprach, wollte man auf der anschließenden Pressekonferenz von Bündnis 90 und Grünen Parteien den „Umweltschutz als Ware“ innerhalb des kapitalistischen Systems verkauft wissen.

Auch hier plädiert man, wie im Ministerium, für Müllvermeidung und Wiederverwertung durch Steuer- und Preispolitik. Deutlich unterscheiden sich die Grünen jedoch im Hinblick auf Müllverbrennungsanlagen, die für sie „der falsche Weg“ sind. Sie fordern die Stillegung der „verschlissenen Anlage Lichtenberg“ und die Verhinderung weiterer geplanter MVAs in Werneuchen, Güterfelde und Lehnitz.

Sigrid Bellack