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„Brasilien muß weg von der internationalen Anklagebank“

■ Der neue brasilianische Umwelt-Staatssekretär Jose Lutzenberger soll das geschädigte Image Brasiliens durch ein Regenwald-Rettungsprogramm wieder aufpolieren Das heikelste politische Problem Lutzenbergers sind die Ansprüche des Militärs auf die Amazonasregion / Wird der Regenwald unter der Obhut der Militärs „gerettet“?

Rio de Janeiro (taz) - Fast 40 Tage nach seiner Nominierung durch Präsident Fernando Collor ist Jose Lutzenberger der Ex -Pestizide-Manager von BASF, dann erleuchtete und wütend gegen die „Pestizide-Mafia“ weltweit agitierende Umweltschützer, seit 1988 Träger des Alternativen Nobelpreises, immer noch sehr traurig über seinen Entschluß, dem Ruf nach Brasilia ins Amt des Umwelt-Staatssekretärs gefolgt zu sein. „Ich konnte mich doch dieser historischen Aufgabe nicht entziehen, aber in Porto Alegre, da ist mein eigentliches Arbeitsfeld. Ich habe hier heute 160 Angestellte und dann die Stiftung GAIA - ich dreh hier doch durch, ich mach mich hier kaputt!“, seufzt er.

Mühevoll hatte sich Lutzenberger in Südbrasilien eine bescheidene Öko-Consulting-Firma (Tecnologia Convival) aufgebaut. Die Aufmerksamkeit der Unternehmerwelt weckte er, als es ihm gelang, schon Mitte der achtziger Jahre die Schadstoffemissionen der Zellstoff- und Papierfabrik RioCell von Porto Alegre auf praktisch Null zu reduzieren und einen Großteil ihrer Abfallprodukte zu recyclen. Fundamentalistische Strömungen der brasilianischen Ökoszene gingen damals zur Attacke gegen Lutzenberger über, er wurde des „Handlangertums für den Öko-Kapitalismus“ bezichtigt. Niemals fragte die Szene jedoch danach, ob es sinnvoller und empfehlenswerter sei, weiterhin von diesen Betrieben verseucht zu werden oder ob die ökosozialistische Utopie nicht mit der Verbesserung der Lebensqualität unter kapitalistischen Prämissen einhergehen könne.

Niemals hatte sich Lutzenberger einer ökosozialistischen Perspektive verpflichtet gefühlt. Ebensowenig hält er eine Agrarreform für notwendig. Doch gerade die wird von den BewohnerInnen der „letzten Wildnis“ (Lutzenberger) gefordert, damit der soziale Druck der in Südbrasilien landlos gewordenen Kleinbauern auf den Regenwald gestoppt wird.

„Jetzt meinen alle, ich hätte mich 'verkauft'“, reagiert Lutzenberger irritiert. Seine Loyalität zu Präsident Collor zwingt ihm Schweigen über seine Umweltpläne ab, und die sozialen Bewegungen im Lande beargwöhnen gerade den bis zum Exzeß kultivierten Stil der Verschwiegenheit - ein Markenzeichen der Collor-Regierung.

„Brasilien muß weg von der internationalen Anklagebank“, beschwört Lutzenberger die ihm von Präsident Collor aufgetragene Mission, das weltweit geschädigte Image durch ein Regenwaldrettungsprogramm wieder aufzupolieren. Noch vor wenigen Monaten war Lutzenberger in der nördlichen Hemispäre als Zeuge der Anklage gegen die Sarney-Umweltpolitik aufgetreten. Nun sieht er es „als Privileg, daß wir den Schutz dieses großartigen und so wichtigen Systems des Regenwaldes in unserer Hand haben. Das ist eine unglaubliche Verantwortung, und der müssen wir gerecht werden.“

Rücktrittsdrohung

Wie ernst, fragen sich Verbündete von Lutzenberger, sind die Absichten Collors wirklich? Als Vorbedingung für seine Nominierung hatte Lutzenberger dem Präsidenten ein Vier -Punkte-Programm genannt, das dieser beherzigt haben soll: Achtung der Menschenrechte der Regenwaldbewohner, Biologische Regenerierung der von Rodung und Bränden geschädigten Regenwaldflächen, Besteuerung der landwirtschaftlichen Aktivitäten und Subventionsentzug für Amazonasprojekte, um damit den Zustrom und den ökonomischen Druck auf den Regenwald zu stoppen.

Ganz sicher scheint er sich des guten Willens Collors jedoch nicht zu sein. Letzte Woche drohte er öffentlich seinen Rücktritt an, falls der Plan zum Bau von 19 Stahlwerken im Amazonasgebiet nicht rückgängig gemacht wird. „Mein Verbleib in der Regierung hängt von der Lösung dieses Problems ab“, stellte Lutzenberger klar. Die 19 Stahlwerke sind Teil des gigantischen Entwicklungsprojekts „Grande Carajas“ zur Verarbeitung von Eisenerz. 45.500 Hektar Urwald würden in den mit Holzkohle befeuerten Stahlwerken pro Jahr verheizt werden.

Der Schutz des Regenwaldes steht im Mittelpunkt des Mandats des neuen Staatssekretärs. Er stellt eine Konzession an die weltweiten Erwartungen dar. Umgekehrt sucht Lutzenberger die erforderliche politische Unterstützung in der internationalen Szene, um seine Pläne im Inland effektiv durchsetzen zu können. Dazu gehört sein Wunsch, auch die Verwaltung der Indianerstiftung FUNAI zu übernehmen und somit Umwelt- und Indianerpolitik mit den Hauptinteressenten und Betroffenen (Indianern, Gummisammlern, Flußuferbewohnern) abzusprechen. Dieser Plan erfordert wiederum zähe Verhandlungen mit den Militärs.

Tatsächlich sind die Militärs die historisch Verantwortlichen dafür, daß die Amazonasregion zu einem internationalen Dauerkonflikt für die brasilianische Regierung geworden ist. Sie hatten in den siebziger Jahren die Erschließungs- und Industrialisierungsstrategien entwickelt, die auf die Auslöschung der indianischen Territorien und der extraktivistischen Regenwaldökonomien zielten und die Militarisierung von Teilen der Amazonasregion einschlossen.

Olivgrüner Regenwaldschutz?

1988 lief die internationale Kritik an der rasanten Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes auf Hochtouren. Sie veranlaßte die Regierung Sarney zur eiligen Verabschiedung des Regenwaldschutzprogramms Nossa Natureza (Unsere Natur). Zur praktischen Umsetzung dieses Programms wurde 1988 das IBAMA (Brasilianisches Institut für Umweltpolitik und natürliche Ressourcen) gegründet und per Regierungsdekret zusammen mit der Indianerstiftung FUNAI der politischen Kontrolle des von General Bayma Denis koordinierten SADEN (Staatsekretäriat für die Beratung der Nationalen Verteidigung) unterstellt.

Lutzenberger unterstreicht seinen „außerordentlichen guten Dialog mit den Militärs“ und spannt seine ZuhörerInnen auf die Folter, wenn er fast flüsternd hinzufügt, das militärische Regenwaldprojekt Calha Norte, das Sarney mit den Militärs geschaffen hatte, „wird jetzt umfunktioniert“. Wie dies geschehen solle, darüber möchte und darf Lutzenberger nicht sprechen.

Das brasilianische Wochenmagazin 'ISTOE‘ gab zu bedenken, „Umweltschützer und Militärs gleichzeitig zufriedenzustellen, wenn das Thema Calha Norte heißt, dürfte wohl eine wenig beneidenswerte Mission sein“, und der österreiche Bischof Kräutler vom Indianermissionsrat der katholischen Kirche erinnerte daran, daß die „Nominierung Lutzenbergers sicherlich als Teil der Strategie zu beurteilen ist, die die Sympathie der nationalen und internationen öffentlichen Meinung - und dadurch das Wohlwollen internationaler Kreditgeber gewinnen will“.

Dieses politische Junktim ist Lutzenberger sicherlich klar, vor allem die Tatsache, daß die Collor-Regierung geradezu euphorisch das debt-for-nature-swaps-Modell umarmt, das den Erlaß von Auslandsschulden im Gegenzug für Umweltschutzprogramme vorsieht. Lutzenberger hat die dazu erforderlichen internationalen Kontakte.

Da diese politischen Formeln allesamt mit der militärischen Hierarchie abgesprochen werden, ist davon auszugehen, daß die brasilianischen Militärs keinen Einwand haben. Eine fatale Folge wäre allerdings ein durch Schuldentausch und internationale Kooperation „geretteter“ Regenwald unter der politischen Obhut der Militärs. Wenn die internationale Regenwaldschutz-Bewegung mehr nicht verlangt als einen im Sinne der Erhaltung der Erdatmosphäre „gesicherten“ Amazonas, dann ist wahrscheinlich auch für Lutzenberger bald der Zeitpunkt erreicht, von einer oliv-grünen Regenwaldpolitik Abschied zu nehmen.

Frederico Füllgraf/si

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