System nach französischem Vorbild

■ Rumänien hat für das erste Jahr eine Präsidialverfassung

Den 16,8 Millionen Wahlberechtigten steht am Sonntag in der Wahlkabine Schwerarbeit bevor. Sie müssen sich zuerst durch eine 24seitige Wahlliste für das Parlament fressen, auf der sich die 82 zur Wahl antretenden Parteien und Organisationen mit jeweils bis zu 14 Kandidaten vorstellen, dann folgen 13 Seiten für die Senatswahl. Erleichterung bringt die Präsidentenwahl. Nur drei Bewerber kandidieren. Zur Belohnung erhält der Wähler einen Stempel, den er allerdings exakt in den Kasten neben der Partei bzw. dem Kandidaten setzen muß - sonst ist die Stimme ungültig. Nicht wenige der demokratisch engagierten Intellektuellen befürchten, daß insbesondere die bäuerliche Bevölkerung vor dem dicken Wahlwälzer kapituliert und lieber gleich den Stempel neben das Symbol der Rose setzt - das Signet der Rettungsfront des Präsidentschaftskandidaten Iliescu. Um diese Furcht zu zerstreuen, hat die Regierung mehrfach zur Abendstunde einen Videoclip im Fernsehen ausgestrahlt, der zeigt, „wie man's macht“. Ob allerdings viele Lernbegierige Nachhilfeunterricht nehmen werden, ist zweifelhaft.

Gewählt werden der Staatspräsident, das Parlament und der Senat, eine Art zweiter Kammer mit Initiativ- und Kontrollrechten, wie sie in der Zwischenkriegszeit in den ostmitteleuropäischen Ländern bestand und jetzt wieder in Polen eingerichtet wurde. Die Befugnisse des Staatspräsidenten sind irgendwo zwischen dem französischen und dem sowjetischen Vorbild angesiedelt. Der Präsident kann die Regierung ernennen und entlassen sowie das Parlament auflösen. Er hat auch eine Reihe von Notstandsbefugnissen. Allerdings handelt es sich hierbei nur um vorläufige Festlegungen. Die alte Verfassung Ceausescus gilt nicht mehr. Das jetzt zu wählende Parlament soll sich in erster Linie als Constituante begreifen, das heißt die neue Verfassung ausarbeiten. Seine Laufzeit ist auf ein Jahr begrenzt. Diese Frist ist, wie es von Regierungsseite her heißt, auch deshalb gewählt worden, um den neu gebildeten Parteien nach einer Konsolidierungsphase erneut eine Chance zu geben.

Die Wahlen zu den beiden Kammern werden nach reinem Verhältniswahlrecht erfolgen, was kleineren Parteien, soweit sie mit einer nationalen Liste antreten, günstigere Voraussetzungen schafft. Für die Räte der Kommunen beziehungsweise Kreise und Bezirke wird erst in ein paar Wochen gewählt werden. Unter Abkehr vom unitaristisch -zentralistischen Staatsaufbau sollen die Kommunen und Bezirke ein weitgehendes Selbstverwaltungsrecht erhalten.

Mit Ergebnissen der Wahlen ist nicht vor dem 25.Mai zu rechnen. Infas wird die Rumänen allerdings schon am Morgen nach der Wahl mit Hochrechnungen aus der quälenden Ungewißheit befreien.

Christian Semler