MieterInnen mit schweren Zukunftssorgen

„Mieterbund der DDR“ hatte Gründungskongreß / Verfassungsgemäßes Recht auf Wohnen und soziale Absicherung gefordert / Anlage IX des Staatsvertrages sieht weitgehende Änderungen des Eigentumsrechts vor / Vertrag und Tempo der Einheit im Zentrum der Debatte  ■  Aus Berlin Beate Seel

„Ich werde mehr Unruhe als Hoffnung aus dieser Versammlung mit nach Hause tragen.“ Dieses Resümee zog einer der Anwesenden am Samstag abend gegen Ende des Gründungskongresses des „Mieterbundes der DDR“. Damit traf er die Stimmungslage der großen Mehrheit der gut 150 Angereisten aus allen Teilen der Republik und der Hauptstadt, auch wenn Vertreter der Regierung sich redlich bemühten, den Anwesenden Beruhigungspillen zu verabreichen.

Die Sorgen gestandener BürgerInnen um ihren Wohnraum - sei es als MieterIn, als EigentümerIn oder als InhaberIn von „Überlassungsverträgen“ - hatte bereits im Februar eine entsprechende Initiative ins Leben gerufen, um die Interessen der MieterInnen in den Vereinigungsprozeß einzubringen. Kein Wunder also, daß eine kostenlos verteilte Mieterfibel des Deutschen Mieterbundes (DMB) mit Sitz in Köln im Foyer des Kongreßzentrums am Märkischen Ufer reißenden Absatz fand.

Ganz oben auf der Forderungsliste des neuen DDR-Verbandes stand denn auch das verfassungsmäßige Recht auf Wohnen. Der Mieterbund will darauf drängen, daß es in den künftigen Länderverfassungen verankert wird, und tritt darüber hinaus für eine Volksabstimmung über den Verfassungsentwurf des Runden Tisches ein. Dort werden die Rechte der EigentümerInnen und NutznießerInnen von Grundstücken und Wohnungen festgeschrieben.

Der Zivilrechtsprofessor Joachim Döhring, der zum Vorsitzenden des Mieterbundes gewählt wurde, verlangte außerdem die Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse und Lebenshaltungskosten bei zu erwartenden Mietsteigerungen, die Zahlung eines Wohngeldes und einen weitgehenden Kündigungsschutz mit Modellcharakter auch für die Bundesrepublik. Döhring sprach sich weiter für eine Mietpreisbindung und die Wohnraumvergabe auf kommunaler Ebene aus.

Daß Mieterhöhungen bevorstehen, dafür hatten auch die anwesenden AktivistInnen Verständnis. Wie ein Sprecher des Finanzministeriums mitteilte, wird der 1. Januar 1991 der Tag X sein. Eine Verdoppelung der Mieten müßte in der ersten Stufe ins Auge gefaßt werden - „auch wenn das nicht attraktiv ist“. Gleichzeitig soll ein Wohngeld zur sozialen Abfederung eingeführt werden.

Doch vor dem Hintergrund des gerade unterzeichneten Staatsvertrags äußerten viele RednerInnen ihre Befürchtung, es könne bereits am 2. Juli zu einschneidenden Änderungen kommen. Hier verabreichte ein Sprecher des Justizministeriums eine besonders hohe Dosis an Beruhigungsmitteln: „Im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag wird es keine Änderung am Wohnungs- und Mietrecht der DDR geben“, beteuerte er. Dafür heimst er lebhaften Beifall ein, mit Ausnahme eines Zwischenrufs: „Wie lange?“

Doch die klare Zusicherung des Justizministeriums wurde im nächsten Redebeitrag gleich wieder relativiert. Dr. Wolfgang Ullmann vom Bündnis 90 wies darauf hin, daß mit der am Donnerstag abend verabschiedeten Anlage IX des Staatsvertrages durchaus eine wichtige Vorentscheidung über die künftigen Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden gefallen sei. Dieser Passus sieht vor, daß die Kommunen verpflichtet werden, Gewerbegrundstücke und auch Grundstücke innerhalb des Stadtgebiets für Investoren aus dem Ausland zur Verfügung zu stellen. „Zur Verwirklichung dieses Ziels (der Investitionen, d. Red.) wird die Deutsche Demokratische Republik Vorschriften ihrer Rechtsordnung ändern oder außer Kraft setzen, die dem entgegenstehen“, heißt es in Anlage IX.

Den Hoffnungen, daß sich zunächst erst einmal gar nichts ändert, erteilte Ullmann sogleich noch eine weitere Absage: Er berichtete von einem Fall, bei dem die Streichung der Mietzulagen für kinderreiche Familien bereits angekündigt wurde. „Die Dinge kommen schon in Bewegung und werden noch ganz anders in Bewegung kommen“, folgerte er. Und: „Der soziale Friede ist wirklich gefährdet.“ Ullmann wandte sich dagegen, daß die Lebensfragen der Bevölkerung in Expertenrunden delegiert werden, deren Ergebnisse für den einzelnen Bürger schwer verständlich seien. Das Publikum, das eben noch die Äußerungen aus dem Justizministerium so hoffnungsvoll beklatscht hatte, quittierte Ullmanns Ausführungen mit schier endlosem Beifall.

Als nach verschiedenen Grußadressen - darunter Gerhard Jahn vom DMB - und den Ansprachen der Regierungsvertreter endlich die Basis zu Wort kam, waren es schnell der Staatsvertrag und die Geschwindigkeit der Vereinigung, die zum eigentlichen Thema der Debatte wurden. Die Zukunftsängste und das zum Teil schon fast verzweifelte Bemühen, doch noch etwas geradezurücken, mündete in hilflos anmutenden Vorschlägen: es müsse neue Verhandlungen über den bereits unterzeichneten Staatsvertrag geben, bei denen die MieterInnen selbst Gehör finden, der neue Vorsitzende müsse unbedingt noch vor der Volkskammerdebatte über den Vertrag am heutigen Montag wenigstens noch den eigenen Forderungskatalog dem Ministerpräsidenten unterbreiten. An die Freunde aus der BRD erging das Ansinnen, Druck auszuüben, damit die Verfassungsdebatte doch noch in Gang kommt.

Zum Thema der „Geschwindigkeit“ mußte der Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Moritz (CDU), Rede und Antwort stehen. Die Regierung habe gerade durch das Volk den Auftrag erhalten, den Ruf nach der DM und der Einheit zuwege zu bringen - „Aber nicht so schnell!“ bemängelte ein Zwischenrufer unter Zustimmung der Umsitzenden. Die Regierungsvertreter hatten auf diesem Gründungskongreß keinen leichten Stand. Damit die Forderungen der Mieterbundes nach diesem Wochenende auch nicht gleich wieder in Vergessenheit geraten, ruft der Mieterbund für den 26. Mai zu einer Kundgebung auf dem Alexanderplatz auf. Motto: „Nur gemeinsam sind wir stark“.