"Die Partnerschaft ist ein Verdienst der Revolution"

■ Corintos Ex-Bürgermeister Ramon Garache auf Bremen-Besuch / Die Sandinisten haben den Schock der Wahlniederlage überwunden

Die Sandinisten haben den Schock der Wahlniederlage

überwunden

Mit 34 Prozent mußten die Sandinisten in Bremens nicaraguanischer Partnerstadt Corinto eine der schwersten Niederlagen des ganzen Landes einstecken - national erreichten sie 41 Prozent. Ramon Garache war nach der Revolution als Bürgermeister von Corinto eingesetzt worden. Im vergangenen Jahr hat er zusammen mit Bürgermeister Wedemeier die Städtepartnerschaft geschlossen. Jetzt ist er der einzige Vertreter der FSLN im 10köpfigen Stadtrat von Corinto. Das sandinistische Wahlgesetz be

günstigt deutlich die jeweils stärkste Partei am Ort.

Seit Mitte Mai ist Garache auf Europa-Reise. Die Solidaritätsgruppen aus Rotterdam, Liverpool, Aalborg, Köln und Bremen haben ihn eingeladen, um über die künftige Zusammenarbeit zu sprechen. Garaches Nachfolger, Antonio Lara vom siegreichen Oppositionsbündnis U.N.O., hat sich bislang noch nicht in Bremen gemeldet.

Ramon Garache ist noch bis zum 23. Mai in Bremen. Heute nimmt er um 17 Uhr an einer öffentlichen

Versammlung aller Bremer Nicaragua-Gruppen im „Eine-Welt -Haus“ in der Buchtstraße teil.

taz: Wie hat sich das tägliche Leben Corintos verändert, seit die Sandinisten die Wahl verloren haben?

Ramon Garache: Den Wechsel hat man vor allem an ökonomischen Problemen gemerkt. Es gab eine sehr drastische Abwertung und die Gehälter stiegen nicht. Es herrscht eine allgemeine Unsicherheit und Angst um den Arbeitsplatz. Ansonsten bemerkt

man eigentlich keine Veränderungen.

Und die nordamerikanischen Schiffe mit den versprochenen Hilfssendungen sind noch nicht im Hafen aufgetaucht?

Nein, da ist noch nichts gekommen, nur ein paar Yachten mit US-Touristen. Die sind mal durch den Ort gelaufen und dann wieder verschwunden.

Hatten die Sandinisten Corintos mit ihrer dramatischen Wahlniederlage gerechnet?

Das war ein echter Schock für uns. Wir haben wirklich nicht mit dieser Niederlage gerechnet. Und am Tag nach der Wahl war erstmal großes Durcheinander. Es gab Leute, denen ist es sehr schwer gefallen, das zu akzeptieren.

Inzwischen habt Ihr Euch mit der Oppositionsrolle abgefunden?

Ja, aber die Übergabe der Stadtregierung war erst am 15. Mai. Die U.N.O. hat noch gar nicht angefangen, lokale Entscheidungen zu treffen.

Wie ist denn Dein Verhältnis zu Deinem gewählten Nachfolger?

Er war vor 28 Jahren schon einmal Bürgermeister von Corinto. Innerhalb der U.N.O. hat er eine sehr fortschrittliche Position. Von der Revolution wurde er enteignet - eine Farm und eine Transportfirma. Trotzdem ist die Beziehung zu ihm gut. Ich habe ihm die Amtsgeschäfte völlig normal und friedlich übergeben. Es finden Gespräche und Diskussionen statt, es gibt auf beiden Seiten überhaupt keine Berührungsäng

ste, wir können offen über alles reden.

Was erwartet Ihr nun von der Solidaritätsbewegung in Europa?

Die Bevölkerung wartet jetzt in erster Linie auf die versprochene Hilfe aus den USA. Auch die EG sollte ihren Teil dazu beitragen. Und die Solidaritätsbewegung muß ihre Arbeit unter den veränderten Bedingungen fortsetzen. Die Position der Sandinisten ist dabei Folgende: Wenn die U.N.O. ein sozial nützliches Projekt beginnt, dann unterstützen wir es und rechnen auch mit der Unterstützung der Solidaritätsbewegung. Denn wir wollen zwar der U.N.O nicht nützen, aber wir wollen auch der Bevölkerung nicht schaden.

Also auch direkte Beziehungen der Solidaritätsgruppen mit der neuen Stadtregierung?

Nein, nur über die FSLN oder ihre Massenorganisationen.

Und die offiziellen Beziehungen im Rahmen der Städtepartnerschaft?

Na ja, die Städtepartnerschaft ist ein Verdienst der Revolution, entstanden aus der Zusammenarbeit von FSLN und Solidaritätsbewegung. Zu Somozas Zeiten gab es keine Städtepartnerschaften. Und was jetzt daraus wird, hängt erstmal von der neuen Stadtregierung ab. Sie ist unabhängig und ich glaube, die europäischen Partnerstädte warten auf ein Signal von ihr.

Die Revolution ist abgewählt, die Wahlniederlage ist verkraftet, die Dinge laufen einfach so weiter?

Was sind denn Deine persönlichen Gefühle drei Monate nach der Wahl?

Das tut wirklich weh. Aber wenn man die Dinge kalt analysiert, dann müssen wir es mit Reife nehmen. Es ist eben so, daß die Bevölkerung den Wechsel wollte - in einer Situation der ökonomischen Krise und des Krieges. Und langsam aber sicher werden die Leute merken, daß es ein Fehler war. Wir sind davon überzeugt, und deswegen arbeiten wir jetzt umso mehr an der Stärkung der Sandinistischen Front. Radikalismus hilft uns dabei nichts, denn wir wollen ja bei den nächsten Wahlen Leute von der U.N.O. für die FSLN zurückgewinnen.

Können alle so kalt analysieren?

Nein, vielen Sandinisten ist es schwer gefallen. Es gab einen Moment, in dem die Radikalsten vorgeschlagen haben, wieder die Waffen zu ergreifen. Denn sie fühlten sich plötzlich schutzlos, ausgeliefert. Manche hatten Angst, ihr Haus zu verlassen, und andere haben daran gedacht auszuwandern. Aber nach einer Reihe von Versammlungen der FSLN hat sich das Selbstvertrauen wieder hergestellt. Schließlich hatte die U.N.O noch nichtmal die Kraft, ihren eigenen Sieg zu feiern. Am Tag der Machtübergabe waren die Straßen Corintos leer und die vorherrschende Stimmung war Trauer. Wir Sandinisten haben schon schlimmere Zeiten durchgemacht.

Fragen: Dirk Asendorpf