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Am eindrucksvollsten war das Publikum

■ Durch das 1:0 des AC Mailand gegen Benfica Lissabon geht auch der letzte Europapokal der Saison nach Italien

Berlin (taz) - In Italien wird gern und schnell zum Superlativ gegriffen, und jetzt, da man sie bräuchte, ist kaum noch eine Steigerung möglich. Geradezu enttäuschend deshalb die Reaktion auf den Erfolg des AC Mailand im 35. Europapokal-Finale der Landesmeister: „Historisch: Alle Pokale gehören uns“ ('Gazzetta‘); „Phantastischer dritter Erfolg“ ('Corriere dello Sport‘).

Es ist also mehr der Blick auf die einmalige Statistik, die nach dieser Begegnung im Wiener Praterstadion Entzückung hervorruft, kein Wunder: Nach dem Cup der Pokalsieger (Sampdoria Genua) und dem UEFA-Pokal (Juventus Turin) geht nun auch die letzte im europäischen Fußball zu vergebende Trophäe nach Italien - kein anderes Land hat das jemals geschafft.

Solch globale Sicht dürfte dem AC Mailand ziemlich egal sein, er hatte eher das eigene Wohl im Auge. Monatelang träumten die Fans der Rot-Schwarzen vom „slam“ und waren innerhalb von vier Tagen bös erweckt worden: Zwischen dem 22. und 25. April ging der Pokal verloren (Juventus) und die Meisterschaft (Neapel). Was Silvio Berlusconi bewogen haben mag, noch einmal richtig zuzulangen. 340.000 Mark pro Nase hat er ausgelobt, wenn‘ s mit der letzten Chance klappt, aber der Medienmacher gehört ja nicht zu denen, die jede Lira zweimal umdrehen müssen.

Weshalb er es sich auch leisten konnte, einem wie Ruud Gullit am Dienstag den Vertrag zu verlängern (2,5 Mio. jährlich), noch bevor der den Beweis erbracht hat, soviel auch nur annähernd wert zu sein. Immerhin war am Mittwoch Gullits erster nennenswerter Auftritt nach einem Jahr Verletzungspause, und so recht zufrieden war danach keiner der am Geschäft Beteiligten.

Berlusconi sah trotz des 1:0 „nicht den AC, den wir kennen“, und Gullit sah seinen Auftritt eher als „Examen“. Bestanden hat er schon, zumindest hielt das Knie, nur „wenn die Mannschaft nicht gut spielt, kann man selber auch nicht gut spielen“. Etwas unsicher wirkt er noch, es fehlt, wie er meint, „die Aktion nach der ersten Aktion“, und „die Konzentration“ bei seinen zwei Möglichkeiten, den Ball ins Netz zu befördern.

Nicht einmal Frank Rijkaard war euphorisch, der Torschütze. „Das war nicht unser Abend“ sagte der, den van Basten blitzschnell steil geschickt hatte, wonach er dem letzten Abwehrspieler enteilte und an Torwart Silvino ruhig vorbeischlonzte. Und die Presse aus den nicht beteiligten Ländern schloß sich der Meinung gerne an: „Mailand krönte sich in Wien ohne Glanz“ ('Diario 16‘); „Letztlich weder besonders faszinierend noch besonders hart“ ('Kurier‘); „Das Spiel wird nicht in die Geschichte eingehen“ ('El Mundo‘).

Auf das Konto des AC ging das nicht unbedingt. Benfica Lissabon versuchte sich eher teilnahmslos zum Erfolg zu mogeln, ganz im Stil des RSC Anderlecht, aber was bei den Pokalsiegern schon von Genua bestraft wurde, ließ am Mittwoch das Team von Arrigo Sacchi nicht zu. Ein Stürmer (Magnusson) reichte bei weitem nicht, um Libero Baresi und seinen Abwehrmannen ernsthafte Sorgen zu schaffen, und wäre da nicht im Mittelfeld der Brasilianer Valdo auffällig ballgewandt und mit viel Übersicht am Werk gewesen, Benfica hätte übel ausgesehen.

Doch nicht nur Valdo weckte Aufmerksamkeit, auch seine Landsleute in der Abwehr. Ricardo und Aldair hielten van Basten bis Mitte der zweiten Halbzeit gut unter Kontrolle, und für die WM erhalten die drei namhafte Unterstützung: Alemao, Careca, Jorginho usw.

Auch Leo Beenhakker dürfte sich gefreut haben: Seine drei Nationalspieler scheinen in guter Laune; selbst wie der Titel zu holen sein wird, steht jetzt endlich fest. „Zurück zum Stil von '88“ (Gullit), darauf haben sich alle geeinigt, nur der Rastamann ist für diese laufintensive Taktik noch nicht fit genug. Trostreich immerhin, daß im Turnier nicht wie im Finale am Mittwoch jede Minute zählt: „Da kannst du langsam wachsen.“

Es war letztlich das Publikum, das den Wiener Abend doch noch eindrucksvoll werden ließ. 30.000 Fans aus Italien, halbsoviele aus Portugal, Chöre und bunte Farben lange schon vor dem Anpfiff und am Ende Applaus der Mailänder für das unterlegene Team aus Lissabon, Feiern die ganze Nacht und dann die Meldung: Keine Vorkommnisse.

-thöm

MAILAND: Giovanni Galli - Baresi - Tassotti, Costacurta, Maldini - Ancelotti (75. Massaro), Colombo (89. Filippo Galli), Rijkaard, Evani - van Basten, Gullit

LISSABON: Silvino - Ricardo, Jose Carlos, Aldair, Samuel Hernani, Thern, Paneira (78. Vatan), Pacheco (60. Brito) Valdo, Magnusson

TOR: Rijkaard (68.)

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