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Brasiliens Krieg gegen die Kinder

■ Todesschwadronen töten täglich ein Kind / Killer und Polizisten ziehen an einem Strang / Gewaltstudie im Jugendbereich

Rio de Janeiro (afp) - Jeden Tag wird in Brasilien ein Kind von bezahlten Killern getötet. Die Mörder gehören bewaffneten Banden an, in deren Reihen viele ehemalige Polizisten sind. Häufig stecken die Behörden mit den Verbrechern unter einer Decke. Das ist das Ergebnis einer jetzt veröffentlichten Untersuchung des brasilianischen Journalisten Gilberto Dimenstein mit dem Titel „Der Krieg gegen die Kinder“.

Dimenstein nimmt die tägliche Gewalt in Brasilien - das gezielte Töten von vermeintlich oder tatsächlich kriminellen Kindern - zum Anlaß, dem sozialen Elend auf den Grund zu gehen. Für seine Studie hat der Mitarbeiter der „Folha de Sao Paolo“ zwei Monate lang über 300 Personen befragt. Dimensteins Fazit: „Die Morde sind lediglich der Gipfel der Diskriminierung von Kindern, die straffällig wurden, es werden könnten oder denen dies unterstellt wird.“

Bevor sie getötet werden, werden die Kinder gefoltert, auf Polizeikommissariaten, auf der Straße oder in „Besserungs„ -Anstalten mißhandelt. Allein in Rio de Janeiro sind zwischen Januar und Juli 1989 nach offiziellen Angaben 184 Kinder ermordet worden. Landesweite Zahlen liegen nicht vor.

Der für Sicherheitsfragen zuständige Staatssekretär von Rio, Helio Sabayo, räumt ein, daß in mehreren Bundesstaaten Brasiliens ein regelrechter Feldzug gegen Kinder geführt werde. Der Wahrheit halber müsse er sagen, daß es auch Polizisten gebe, die ihre Hand über die Killer hielten oder sogar selbst töteten. Pernambouc, Almeida Filho.

Eine im ersten Halbjahr 1989 in 15 von insgesamt 23 Bundesstaaten angestellte Regierungsuntersuchung stellte fest, daß von den 245 registrierten Gewaltverbrechen gegen Kinder mit Todesfolge 82 auf das Konto der Todesschwadronen gehen. Die von Dimenstein befragten Erzieher, Sozialarbeiter und Polizisten sprechen durchweg davon, daß die Zahlen etwa mit drei malgenommen werden müssen.

In den vergangenen drei Jahren hat die Jugendkriminalität in den Favelas, den Elendsvierteln der brasilianischen Großstädte, stark zugenommen. 27 Millionen verwahrloste Kinder und Heranwachsende leben auf der Straße, schlagen sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs durch. Nach Angaben von UNICEF, verdienen 77 Prozent der arbeitenden Kinder im Monat weniger als 20 US-Dollar.

Überall in den Industriegebieten von Sao Paolo, Rio, Recife oder Vitoria ist es das gleiche: Händler, Ladenbesitzer oder Privatleute, die befürchten, beraubt zu werden, bezahlen Polizisten oder Killer dafür, sie „von den Kriminellen zu befreien“. Einer dieser Gedungenen berichtet: „Man verdient mehr als ein Polizist. Aber du mußt verdammt auf Zack sein. Da kommt zum Beispiel ein Kind ins Geschäft und klaut. Dem verpaßt du 'ne Ohrfeige. Dann kommt wieder ein Kind, und das klaut auch. Wenn du nichts machst, bist du deinen Job los. Ab und zu muß halt jemand dran glauben.“

Nach Dimensteins Angaben arbeiten Polizei und Todesschwadrone eng zusammen. Er zitiert den Gouverneur des Bundesstaates Amazonas, Amazonino Mendes, der sich genötigt sah, die Zivilpolizei seines Bundesstaats aufzulösen, weil die Verbrechen mehr und mehr um sich griffen. „Wir sollten uns keiner Illusionen hingeben. Die Polizei ist im ganzen Land dabei, zu verkommen. Sie ist eine der am meisten entarteten öffentlichen Einrichtungen in Brasilien.“

Rafael Noboa

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