: „Immerr viel arrbeiten!“
Sergei Charkow verrät anläßlich der Turn-Europameisterschaften in der Schweiz das Erfolgsgeheimnis der sowjetischen Turner / Mogilni gewinnt Sechskampf ■ Aus Lausanne Thomas Schreyer
Endlich mal Erster. Valentin Mogilni, kanpp 25 Jahre, war lange genug der Zweite. Ob bei Welt- oder Europameisterschaften, er mußte sich immer der Konkurrenz aus dem eigenen Lager beugen. Hat er bei den diesjährigen Europameisterschaften am Genfer See wieder nur mit einer Silbermedaille gerechnet? - „Natürlich nicht!“ Es sollte Gold sein, und wurde es auch. Der Vorsprung von 0,15 Punkten zum Zweitplazierten Sergei Charkow ist gar nicht so gering, wie es vielleicht aussehen mag. Charkow seinerseits entschuldigte sich, nicht auf dem ersten Platz gelandet zu sein. Man müsse das eben verstehen, daß er noch nicht so stark sei wie bei den letzten Olympischen Spielen in Seoul. Drei schwere Operationen habe er seitdem über sich ergehen lassen, das werfe einen eben zurück.
So reden die Sowjetturner, während sich andere den Kopf darüber zerbrechen, warum die Talentschmiede UdSSR offensichtlich nie aufhört zu bestehen. „Es sind keine Geheimnisse mehr, warum wir gut sind“, lassen die Athleten über ihre Dolmetscherin wissen. „Wir trainieren viel und tüchtig.“ Charkow kann drei Worte in deutsch hinzufügen: „Immerrr viel arrbeiten!“ Die Zuhörer finden das nett und freuen sich.
Valentin Mogilni läßt ein bißchen tiefer blicken. Immer wieder habe es Probleme zwischen ihm und seinem Trainer gegeben. Da war er immer Zweiter. Jetzt ist er Erster, und seine Trainerin ist Olga Bicherova, früher aktive Turnerin, heute verheiratet mit dem „elegantesten Turner der Welt“, wie Mogilni von seinen Mitstreitern gerne genannt wird. Seit 1988 also hat die kleine, einst zierliche Bicherova ihren Gatten Valentin unter den Fittichen. „Wir kommen da immer auf einen Kompromiß“, versichert Mogilni, der sich im Augenblick keine andere Trainerin vorstellen kann. Und Olga wird diesen Posten wohl auch in Zukunft nicht loswerden, denn der elegante Athlet wird noch länger zu bewundern sein.
Das sollte man schon mal gesehen haben, mit welch eigenartiger Technik sich der Europameister zum Beispiel am Seitpferd bewegt. Das sieht aus, als würde er mit flachen Händen auf das Gerät „patschen“, ganz so als möchte er alle darauf aufmerksam machen, daß hier nicht nur lange Beine schwingen und kreiseln, sonder auch die Hände das ihre tun. Seine Seitpferdkür, für die es keine vorgeschriebene Zeit gibt, ist besonders lang und deshalb kraftzehrend. Doch davon hat Mogilni nicht zu wenig.
Befürchten müßte man dies eher bei den bundesdeutschen Turnern, die kein allzu gutes Bild in Lausanne hinterließen. Der Besten von ihnen, Reiner Lindner, kam auf den 29. Platz, Ralf Kern stürzte und stürzte, bis er auf Rang 35 landete, und für Wolfgang Jöchle war nicht mehr möglich als der 41. von 64 Plätzen. Bei den nächsten Europameisterschaften 1992 müssen die Westdeutschen möglicherweise alle zu Hause bleiben, falls dann nur noch eine deutsche Auswahl am Start ist. Die DDR-Turner, obwohl auch nicht in Bestform, waren Klassen besser.
Andreas Aguilar war wieder einmal vom Pech verfolgt, seine Bizepssehne riß schon am Tag vor den Wettkämpfen. Das waren nicht nur körperliche Schmerzen für den amtierenden Ringeweltmeister. Er mußte die Zähne ganz schön zusammenbeißen. „Ich war total fit. Es wäre diesmal eine Überraschung gewesen, daß ich nicht nur an den Ringen mein Bestes hätte geben können. Ich war an allen Geräten optimal vorbereitet“, versicherte „Agi“. Aufgeben wird er deshalb nicht. Für den Weltmeister stehen noch Schauveranstaltungen auf dem Programm. „Dafür muß ich mich vorbereiten, dann kann ich das auch für den Wettkampf, das ist ein Aufwasch.“ Die nächsten Weltmeisterschaften sind allerdings erst Ende 1991. Bis dahin vergehen immerhin noch eineinhalb Jahre.
Kür-Sechskampf: 1. Valentin Mogilni (UdSSR) 59,45 Punkte; 2. Sergei Charkow (UdSSR) 59,30; 3. Yuri Chechi (Italien) 58,20; 4. Kalofer Hristozow (Bulgarien) 57,90; 5. Vitali Stscherbo (UdSSR) 57,55; 6. Csaba Fajkusz (Ungarn) 57,15; ...29. Rainer Lindner (München) 55,30; 35. Ralf Kern (Leingarten) 54,25; 41. Wolfgang Jöchle (Schwendi) 53,50.
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