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„Freedom Fighters“ unter Kühen und Schweinen

In der „Sicherheitszone1“ warten Nicaraguas Contras auf den Befehl zur Waffenabgabe / Ihre Comandantes haben es nicht eilig / Versprengte Contra-Trupps terrorisieren die Umgebung / Niemand glaubt an die termingerechte Demobilisierung  ■  Aus Esteli Ralf Leonhard

Er nennt sich „Bravo“ und will gern nach Hause. Der heute 20jährige ist vor acht Jahren von daheim weggelaufen. Seither hat er seine Eltern nicht gesehen, er weiß nicht einmal, ob sie noch leben. Denn ihr bescheidenes Grundstück lag mitten in der Kriegszone, in der Gegend von Matiguas, im östlichen Bergland von Matagalpa. Seine älteren Brüder nahmen ihn mit zur Contra: „Vier sind inzwischen gefallen, einer ist verwundet in Honduras“.

Bravos Heimkehr dürfte nur mehr eine Fragen von Wochen sein. Denn am 4.Mai unterzeichnete der Contra-Generalstab mit Violeta Chamorro ein Abkommen, in dem er die Demobilisierung der Truppen bis zum 10.Juni verspricht. Der kriegsmüde Kämpfer weiß allerdings noch nicht, wann er seinen schmucken Karabiner abgeben wird: „Wir warten auf den Befehl der Kommandanten.“ Die Kommandanten haben es nicht eilig. Sie haben schon mehrere Demobilisierungstermine ausgesessen und wollen jetzt auch den 10.Juni verstreichen lassen.

Ihre besten Truppen haben sie in der sogenannten Sicherheitszone1, rund um El Destino konzentriert. Vor wenigen Wochen hatte der Generalstab der Contras noch sein Hauptquartier in diesem gottverlassenen Weiler, rund 200 Kilometer nördlich von Managua. Der wurde jetzt aus logistischen Gründen in den Süden verlegt. Auf den letzten Kilometern der engen Serpentinenstraße macht selbst der vierradgetriebene Jeep schlapp. Im schlammigen Boden sind nur mehr Spuren von Maultieren und Militärstiefeln zu erkennen. Wir sind im Herzen der ersten von sieben Sicherheitszonen, wo die Contras sich gesammelt haben, um sich von der Internationalen Verifizierungskommission (CIAV) ernähren zu lassen und in den nächsten Wochen ihre Waffen abzugeben.

In jedem Bauernhaus am Straßenrand ist ein halbes Dutzend Contras untergebracht. Alle paar hundert Meter kommt eine Gruppe von Bewaffneten entgegen, die gepflegten Gewehre lässig über der Schulter. Hinter der Siedlung Las Colinas verlieren sich die Spuren. El Destino, wo das Gros der Truppen konzentriert sein soll, wirkt völlig menschenleer.

In einem einsamen Bauernhaus sitzt ein jugendlicher Contra in der Hängematte und zupft auf der Gitarre. Er glaubt, mich letztes Jahr in den Contra-Basen in Honduras gesehen zu haben und führt uns bereitwillig in sein Lager. Zwei Bäche sind zu durchwaten, eine Kuhweide zu überqueren und mehrere Stacheldrahtzäune zu überwinden. Das Lager entpuppt sich als ein schlichter Holzbau über gestampftem Erdboden, der von den Hühnern und Schweinen ebenso selbstverständlich als Unterkunft beansprucht wird wie von den Campesinos. Neben der Bauersfrau und ein paar barfüßigen Kindern beherbergt es außerdem den Kern einer Eliteeinheit der Contras, der sogenannten „Comandos de Operaciones Especiales“ (COE). Raul, der 28jährige Anführer der Gruppe will sich zum Stand der Demobilisierung nicht äußern: „Das ist Angelegenheit unserer Vorgesetzten. Wir befolgen nur Befehle.“ Er ist kurz angebunden und sichtlich irritiert darüber, daß überhaupt Fremde in seinem verborgenen Unterschlupf auftauchen.

Auch der 25jährige Dany Emilio Blandon wartet auf Befehle. Er glaubt nicht, daß vor dem 10.Juni, dem Tag, an dem die Demobilisierung abgeschlossen sein soll, viele Kämpfer ihre Waffen abgeben. Der Bataillonskommandant patrouilliert vor der Siedlung Las Colinas, die vor fünf Jahren von Contra -Opfern und zwangsweise umgesiedelten Bauern aus der Kriegszone angelegt wurde. Dany begründet seine abwartende Haltung mit Berichten über entwaffnete Contras, die nach ihrer Heimkehr von Sandinisten ermordet worden sein sollen: „Alle werden sie umgebracht.“ Nachweisen läßt sich ein einziger Fall eines heimgekehrten Contras, der ermordet wurde. Ein gewisser Tirso aus dem Dorf San Antonio bei Pueblo Nuevo wurde Anfang Mai nachts aus dem Bett geholt und exekutiert. Allerdings von den eigenen Leuten. Denn Tirso, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier der Contra, wurde als Deserteur betrachtet. Nicht einmal Frau Elsa Marina Castillo, die streitbare Stadträtin der Regierungsallianz „Uno“ in Pueblo Nuevo, macht die Sandinisten für die Bluttat verantwortlich. Sie bestätigt auch, daß sich unweit von Pueblo Nuevo noch eine Gruppe von Contras herumtreibt, die sich weigert, in die Sicherheitszone einzuziehen. Unter dem Kommando von „Tirofijo“ - „sicherer Schütze“ - verunsichern diese Konterrevolutionäre die umliegenden Gemeinden, stehlen Vieh, und bedrohen sandinistische Aktivisten.

Zwei Wochen vor dem Stichtag 10.Juni hatten sich erst 1.770 der insgesamt rund 16.000 Mann entwaffnet. Davon nur 56 in der Sicherheitszone1, wo fast ein Drittel der Truppen lagern soll. Roberto Ferrey, Direktor des neuen Repatriierungsinstituts und Violeta Chamorros Verbindungsmann zur Contra, hat Verständnis für das Zögern der Comandantes. „Solange sie bewaffnet sind, wollen sie noch möglichst viel an Garantien herausholen.“ Über einen realistischen Termin wollte er nicht spekulieren: „Wenn ich damit anfange, verliere ich meinen Job.“

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