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Gemeinsam Busfahren, aber nicht wählen

Apartheid-Gesetze werden aufgehoben, doch der Eckpfeiler, die „Rassenklassifizierung“, bleibt vorerst bestehen / Auch an der politischen und ökonomischen Machtlosigkeit der Bevölkerungsmehrheit wird nicht gerüttelt / Warum sollen Schwarze in weiße Villenorte fahren?  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

„Das Leben ist viel langweiliger geworden“, meinte diese Woche eine Anti-Apartheid-Aktivistin halb traurig auf die Frage, wie die Reformen der südafrikanischen Regierung sich im Tagtäglichen ausgewirkt hätten. Zwar kann die Anti -Apartheid-Opposition die für diese Tage erwartete Abschaffung der Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen als Sieg feiern. Aber Sieg heißt eben auch die Beendigung der letzten August mit Protesten vor getrennten Krankenhäusern begonnenen, erfolgreichen landesweiten Widerstandskampagnen. Denn die noch bestehende Apartheid wird subtilere Formen haben und nicht so leicht mit Protestaktionen entlarvbar sein.

Rassentrennung in Krankenhäusern wurde schon vor zwei Wochen von Gesundheitsministerin Rina Venter abgeschafft. Die berüchtigten „Whites Only„-Schilder an Bussen und Stränden, Postämtern und Bibliotheken, Schwimmbädern und Zeltplätzen sind endgültig verschwunden. Gemischte, vom Staat finanzierte Schulen sind im Gespräch, und es wird allgemein erwartet, daß die Rassentrennung in Wohngebieten nächstes Jahr abgeschafft werden wird. Sogar die „Reservierung“ von 87 Prozent des Landes für Weiße soll „revidiert“ werden. In Zukunft können Schwarze und Weiße in jedem Krankenhaus behandelt werden. Daß ein Verletzter stirbt, weil der vorbeifahrende Krankenwagen Menschen seiner Hautfarbe nicht transportiert, wird sich nicht wiederholen. Aber die krassen Ungleichheiten werden nicht so schnell verschwinden. Im überfüllten Baragwanath-Krankenhaus in Soweto werden die Patienten weiter auf dem Boden schlafen, während im Johannesburger Krankenhaus für Weiße die Betten zu Hunderten leer stehen. Denn um die Betten wieder zu aktivieren, sind Personal und Geld vonnöten, und daran mangelt es.

Dennoch ist die Abschaffung der Rassentrennung auch eine Sparmaßnahme. Apartheid ist zu teuer. „Es war zwar vorrangig eine politische Entscheidung, die Krankenhäuser zu öffnen“, sagt Peter Joubert, Leiter einer Firma, die private Kliniken betreibt. „Aber sie wurde zum Teil auch durch Rationalisierung verursacht, denn es war klar, daß die Kosten völlig außer Kontrolle gerieten.“ Die Reservierung von Krankenhäusern, Bussen oder Schwimmbädern für einzelne Rassen bedeutet eben, daß alles verdoppelt und verdreifacht werden muß, auch wenn die Einrichtungen für Schwarze in der Regel vollkommen minderwertig sind. In Südafrika gibt es beispielsweise noch immer 14 verschiedene Gesundheitsministerien - jeweils eines in den zehn Homelands, den „Reservaten“ für Schwarze, eines für Mischlinge, für Inder und für Weiße sowie ein übergeordnetes Ministerium, das koordinieren soll.

Die Regierung will mit der Abschaffung diskriminierender Gesetze den Weißen den Übergang zu einem neuen Südafrika erleichtern. Man will nicht auf den Abschluß von Verhandlungen mit der schwarzen Bevölkerungsmehrheit warten. „Wir können nicht an einem Tag das alte System haben, und am nächsten das neue“, meint ein Regierungsvertreter. „Das muß schrittweise geschehen, und wir fangen jetzt an.“ Den Weißen soll damit auch demonstriert werden, daß sie keinen Ansturm Schwarzer auf „ihre“ Einrichtungen zu befürchten haben. Einzige Ausnahme war die Sommersaison an den Stränden des indischen Ozeans in der Hafenstadt Durban zur Weihnachtszeit. Da kamen Tausende erstmals an die Luxusstrände der Weißen, von denen viele schworen, nie wiederzukommen. Zu Ostern waren sie trotzdem wieder da.

Sonst sind die Auswirkungen der Reformen weniger dramatisch. Busse für Weiße fahren weiter in für Weiße reservierte Wohngebiete. Und auch wenn Schwarze jetzt mitfahren können - nur wenige wollen in diese Vorstädte. Um ins Johannesburger Krankenhaus zu kommen, müßte eine Kranke aus Soweto 30 Kilometer fahren. Da geht sie doch lieber ins nahegelegene Baragwanath. In den Metropolen des Landes ist die alltägliche Rassentrennung ohnehin schon seit einigen Jahren fast verschwunden. Heute sind Johannesburg, Kapstadt, Durban und Pretoria vom Stadtbild her schwarze, afrikanische Städte.

Für konservative Weiße in den kleinen Städten und Dörfern auf dem Land wird sich der Lernprozeß viel schwieriger gestalten. Den ultrakonservativen Stadträten von Boksburg und Carletonville, zwei kleineren Orten bei Johannesburg wird nun die gesetzliche Grundlage für die letztes Jahr wiedereingeführte Rassentrennung genommen. Andererseits hat die Bildung von bewaffneten Milizen durch weiße Extremisten in den letzten Monaten gezeigt, daß viele Weiße bereit sind, bis zum Letzten zu gehen.

An der politischen Machtlosigkeit der Bevölkerungsmehrheit hat sich nichts geändert. Nach wie vor können Schwarze in Südafrika nicht wählen, die Homeland-Strukturen sind noch lange nicht abgeschafft. Und auch das Gesetz zur „Rassenklassifizierung“ eines jeden südafrikanischen Menschen besteht weiter. Auch in diesem Jahr wurden im Parlament die absurden Statistiken der „Umklassifizierung“ angekündigt - per Antrag an eine entsprechende Kommission kann man seine „Rassenzugehörigkeit“ überprüfen lassen: per Haar-, Haut- oder auch Nasentest - der andere Nationalsozialismus. Per Dekret und Stempel werden so Schwarze zu Mischlingen, Inder wurden Weiße, Mischlinge zu Malaien.

Dieses Gesetz ist letztlich Grundlage aller anderen Diskriminierungen. Es soll erst im Zuge einer neuen Verfassung für Südafrika, die Schwarze endlich zu vollwertigen SüdafrikanerInnen macht, verschwinden. Aber auch danach wird es noch lange dauern, bis die Fehler von mehr als 40 Jahren gesellschaftlicher Manipulation im Interesse der Apartheid behoben sind. Die meisten Weißen werden weiter reich sein und in den gepflegten Villenvierteln leben. Und noch lange werden die meisten Schwarzen arm bleiben und in den kleinen Häuschen der armseligen Townships wohnen.

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