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Etwas leiser als wir es gewohnt sind

■ Nachruf auf einen unbekannten Journalisten

Der bereits begonnene Prozeß der Wahrheitsfindung, der Selbstverständigung und Aktivierung wurde abrupt unterbrochen. Das schrieb ein DDR-Journalist „angesichts der bundesdeutschen Medieninvasion“ am 18. April auf dieser Seite. Mit den nüchtern klingenden Sätzen verband sich für den Autor eine Last, die ihn erdrückt hat. Hannes Schmidt hat sich Anfang Mai in Ost-Berlin das Leben genommen. Der Artikel über die Schwierigkeiten von DDR-Journalisten, an die allzu abrupten, von der Bundesrepublik aus forcierten Veränderungen Anschluß zu finden, war sein erster und, was damals niemand wissen konnte, auch letzter für die taz.

Freunde berichten, daß ihm seine berufliche Situation in den letzten Monaten immer auswegloser erschien. Wenn dies das Motiv seines verzweifelten Entschlusses war, dann gehört Hannes Schmidt zu den Opfern, die zwischen den Mühlsteinen der angeblich „friedlichen“ Revolution in der DDR zermahlen werden. Die Schikanen der SED-Funktionäre, die ihn 1976 wegen seines Protestes gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus dem Kulturbetrieb der DDR verbannten und die dort heute immer noch sitzen, hat er dreizehn Jahre lang ertragen. Erst den Anforderungen des West-Journalismus, hinter dessen lässiger Fassade sich ein unbarmherziger Konkurrenzkampf verbirgt, fühlte der 48jährige sich nicht gewachsen. Zwischen Kommando- und Marktkultur ist offenbar für sensible Intellektuelle wie Hannes Schmidt kein Platz.

In der ersten Zeit nach 1976 mußte er sich, der vorher im Progress-Filmverleih als kulturpolitischer Mitarbeiter tätig gewesen war, als Abräumer in einer Gaststätte des DEFA -Synchronstudios seinen Unterhalt verdienen. Nach einigen Jahren hatte er sich dann allmählich die Möglichkeit zum Publizieren zurückerkämpft. In der Bundesrepublik veröffentlichte die Zeitschrift 'medium‘ seit Anfang der achtziger Jahre regelmäßig Aufsätze von ihm, vor allem Porträts von DDR-Regisseuren wie Kurt Maetzig, Konrad Wolf, Gerhard Klein oder Rainer Simon.

Diese Texte waren immer verhaltener, leiser als wir im Westen es gewohnt sind. Was in einer kommerziellen Medien -Umwelt etwas umständlich erscheinen mag, war im repressiven Herrschaftssystem der SED, in dem Kritik allenfalls zwischen den Zeilen geäußert werden konnte, eine Überlebensweise. Aber auch nach dem Umsturz blieben diese Texte wichtig. Skepsis ist eher gegenüber DDR-Autoren angebracht, die keine Zeit brauchen, um einen ganz anderen, direkteren Stil zu finden. Und zum bei uns verbreiteten Hauruck -Journalismus ist die langsamere, ausführlichere Schreibweise eines Hannes Schmidt ein wertvoller Kontrast, von dem wir einiges lernen können.

Als mich Hannes Schmidt im Februar nach Ost-Berlin in seine Wohnung einlud und wir in seinem Trabbi über die Grenze fuhren, machte er einen optimistischen Eindruck. Wir sprachen darüber, daß nach der Verdrängung des Nationalsozialismus in den fünfziger Jahren nun nicht noch einmal ein Stück dunkler deutscher Vergangenheit dem Vergessen anheim fallen dürfe. Hannes Schmidt, der diese Vergangenheit leidvoll wie kaum ein anderer erfahren hat und der trotzdem an einer sozialistischen Utopie festhielt, hätte zur Erinnerung an den Irrweg der DDR und zum Lernen aus ihrem Scheitern viel beitragen können. Sein letzter Artikel für 'medium‘, der Anfang Juni erscheinen wird, befaßt sich mit den Hintergründen des berüchtigten „11. Plenums“ des SED-Zentralkomitees, das zum Verbot fast der gesamten DEFA-Spielfilmproduktion des Jahres 1965 führte. Hannes Schmidt war der Meinung, daß die Ulbrichts und Honeckers damit ein schöpferisches Potential vernichtet hatten, das der Sozialismus zum Überleben dringend gebraucht hätte.

In die Trauer um einen Kollegen, den ich nicht vergessen werde, mischt sich Wut über die Ohnmacht, nichts an den Verhältnissen ändern zu können, deren Opfer Hannes Schmidt geworden ist. Die Tat, die er an sich begangen hat, „ist ein Zeichen und eine Warnung vor dem, was uns im schlimmsten Fall widerfahren kann. Unsere Nerven sind seit einem Dreivierteljahr zum Zerreißen gespannt, die Orientierungslosigkeit groß, und unsere Sehnsucht kreist um ein imaginäres Ideal, das zu leben scheinbar unmöglich ist.“ Das steht in einem Brief seiner Frau, die als Regisseurin beim DDR-Fernsehen arbeitet. Nehmen wir die Warnung ernst.

Horst Pöttker

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