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TOO MANY BROTHERS

■ „The Neville Brothers“ in der Neuen Welt

Die Zeit der großen Statements mit kleinem Inhalt kehrt zurück. Jill Sobule, allein mit Gitarre als „Vorgruppe“ der Neville Brothers am Freitag abend in der Neuen Welt angetreten, hat uns Berlinern einen Song über die Mauer mitgebracht. Sie findet es natürlich toll, daß wir jetzt ganz ganz frei werden, aber die Länder im Osten sollen bitte lieber nicht „zu amerikanisch“ werden. „The american dream wakes up in Bukarest“, singt sie uns etwas dünnstimmig vor, egal, was sie damit nun sagen will, es hört eh kaum jemand zu. Dann ist sie noch gegen „disinformation“ und all das Zeug, was aus dem Fernseher ins Wohnzimmer schwappt.

Warten auf die vier Neville Brothers, deren letztes Album Yellow Moon von Daniel Lanois so sauber abgemischt wurde, daß endlich auch der gemeine Popkonsument sich nicht mehr die Finger schmutzig machte am Brodelsound aus New Orleans. Dennoch wurde die Musik der Neville Brothers nicht auf Hitparadenniveau heruntergepegelt, sie entfaltete gerade durch Lanois‘ Behandlungsmethode magnetische Anziehungskräfte, die sie immer wieder wie von Geisterhänden gesteuert auf den Plattenteller wirft.

Diesen magischen Sound allerdings in der überdimensionalen Rollschuhbahn der Neuen Welt zu erzeugen, war weder den Technikern noch den Neville Brothers vergönnt. Trotz aller Bemühungen des Hallenpächters, die Akustik durch unter die Decke gehängte schwarze Stoffbahnen zu verbessern, haftet diesem Saal die Aura einer baßlastigen und schlecht gelüfteten Schulturnhalle an.

Die vier schwarzen Brüder und ihr Anhang wagen sich trotzdem in die Arena. Cyril Neville lächelt unter seiner gelb-grün-rot-schwarzen Rastahäckelmütze hervor, hinter sich eine Conga-Batterie. Die Brüder Charles und Art kümmern sich um Saxophone, Keyboards und diverse Rhythmusgerätschaften. Daneben beschäftigt man noch drei Gastmusiker. Der Heimliche Star der Nevilles aber ist das Stimmwunder mit dem Kreuz eines Möbelpackers - Bruder Aaron. Seine in den höchsten Lagen agierende kehlige Falsettstimme durchbricht den groovenden Rhythmus, gibt dem afrikanisch und karibisch eingefärbten Rhythm & Blues sein herz- und schmerzerweichendes Credo.

Gezwängt in eine nietenbewehrte, über den Muskelpaketen straff sitzende Jeansweste, besingt Aaron Neville, unlängst im Duett mit Linda Ronstadt in die Charts geklettert, den gelben Mond, der sein helles Licht ins Zimmer wirft und ihm sagen soll, ob sich seine Angebetete vielleicht gerade mit einem anderen Mann herumtreibt.

Aber auch ernsthaftere Sorgen treiben die Nevilles um, wenn sie in dem Song My Blood im Chor das Leid ihrer „brothers“ in Südafrika beklagen, die noch immer unter einem Regime leiden, das in den USA inzwischen ein wenig an Popularität verloren hat - Apartheid. Daß es diese als Diskriminierung der Schwarzen auch in ihrer Heimat immer gegeben hat und weiterhin gibt, wissen auch die Nevilles, die in den fünfziger Jahren groß wurden mit getrennten Schulen, Bussen und Stadtvierteln für Schwarze und Weiße. Ihr Lied für die schwarze Sister Rosa (endlich mal kein „brother“), die ihren für Weiße reservierten Bussitzplatz erfolgreich verteidigte, nicht nur vom Text her einer der spannendsten Songs der Platte, gehört leider nicht zum Konzert-Repertoire.

Statt dessen „One World - One Love - One Land - One Nation“ -Gesänge, die das Publikum dankbar zur jubelnden Verbrüderung mit den Akteuren nutzt. Auch ein Teil jenes „positiven“ Rassismus, der so gern an dem Glauben festhält, Schwarze seien die besseren Menschen, weil Tänzer und Rhythmiker.

Statt Fight The Power heißt es bei den Nevilles With God On Our Side oder, mit hochgereckter Faust: Free South Africa. Vielleicht ist es mit der Musik aus New Orleans genauso wie mit der Stadt - schaut man sie sich selber an, erscheinen einem alle Geschichten darüber als geschönte Märchen.

Andreas Becker

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