: Prohibition und Staatsgewalt
■ Mailand und die WM: „Geschlossen wegen Gehirnzirrhose des Präfekten“
Gleich am Tag des Eröffnungsspiels hat die Stadt Mailand deutlich gemacht, wie sie mit der 14. Fußballweltmeisterschaft umzugehen gedenkt. Von einer Fanbetreuung, wie sie etwa bei der Europameisterschaft in Hannover relativ beispielhaft vorgeführt worden ist, mit Konzerten und anderen Veranstaltungen direkt am Stadion, bislang keine Spur, dafür - wie, nach einer Empfehlung des Innenministers, auch in den anderen WM-Städten - ein flächendeckendes Alkoholverbot, das die Stadtverwaltung offenbar für die wirksamste Form der Fan-Arbeit hält. An den Spieltagen darf in ganz Mailand kein Alkohol ausgeschenkt werden, verordnete Präfekt Caruso, eine Maßnahme, die die Bevölkerung an einem ziemlich empfindlichen Nerv trifft, muß sie doch in ihrem Stammrestaurant um die Ecke den „Osso buco“ plötzlich mit Mineralwasser herunterspülen, und die Spaghetti alla Gorgonzola mit Orangensaft. Der Unmut ist erheblich.
Die allenthalben bezweifelte Effektivität der Carabinieri dagegen soll wohl in erster Linie durch eine geballte optische Offensive widerlegt werden. Schon am Morgen des Eröffnungsspieles ging es rund um San Siro zu wie in einer Polizeikaserne bei Feueralarm. Ein wimmelndes Aufgebot von Carabinieri hielt mit hoheitsvollem Gebaren das kleine Häuflein der bereits erschienenen Fußballanhänger in Schach. Ein Wunder, daß nicht, wie vor vier Jahren in Mexiko, eine Division Panzer aufgefahren war. Ein totales Demonstrationsverbot sollte schließlich für vollkommene Friedhofsruhe sorgen. Die in Italien grassierende Verbotsmentalität treibt wahrlich muntere Blüten. Der Altvordere des Fußballs und christdemokratische Parlamentarier Gianni Rivera will mittlerweile sogar die Rolling Stones-Konzerte verbieten, um Drogenkonsum, Unmoral und Sittenverfall aufzuhalten.
Die Gewerkschaft der Metallarbeiter, die die 37-Stunden -Woche und eine Lohnaufbesserung von rund 350 Mark im Monat fordert, mochte jedoch nicht mitspielen. Sie hatte schon seit längerem eine Demonstration für diesen Tag geplant. Die Stadtverwaltung ließ sich zu guter Letzt herab, eine Demoroute von rund 200 Metern zu bewilligen, als die Metaller jedoch losmarschieren wollten, hatte sich die Polizei inzwischen überlegt, den Zug statt um 15 Uhr erst um 18 Uhr, parallel zum Anpfiff des Spieles, zu gestatten.
Die Demonstranten, die wenig Lust verspürten, drei Stunden bei 30 Grad in praller Sonne herumzustehen, versuchten, den Abmarsch zu erzwingen, und die Polizei konnte nun doch noch zeigen, was sie in den letzten Wochen alles geübt hat. Mit Gewehrkolben schlug sie ungehemmt zu, und als eigentlich schon alles vorbei war, nützten 50 Polizisten in Kampfanzügen noch einmal die Gelegenheit, in einer Metrostation die auf dem Heimweg befindlichen ehemaligen Besetzer des Autonomenzentrums „Leoncavallo“ anzufallen. Resultat des für Mailänder Verhältnisse extrem brutalen Polizeieinsatzes: 23 verletzte Demonstranten, davon drei so schwer, daß sie ins Krankenhaus mußten.
Da war es dann besonders fatal, daß die Ereignisse dieses turbulenten Tages nicht einmal gebührend begossen werden konnten. Die meisten Szenekneipen hatten aus Zorn gar nicht erst geöffnet. „Geschlossen wegen Gehirnzirrhose des Präfekten Caruso“ war am „Brutto Anatroccolo“ zu lesen, dazu der Spruch: „Eine Birreria ohne Bier fühlt sich wie ein Bürger ohne Freiheit.“
Matti Lieske
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