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„Bis jetzt ist er ja noch Kandidat“

Noch keine Einigung über die Haltung der SPD zum Staatsvertrag / Am Donnerstag entscheiden die Spitzen der Partei und der Bundestagsfraktion / Die Spekulationen um den Rücktritt Lafontaines von der Kanzlerkandidatur wollen nicht verstummen  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Ob Oskar Lafontaine Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten bleibt, wird immer unsicherer. Zwar gab sich der SPD-Partei und Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel nach einem Gespräch mit Lafontaine und dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm am Sonntag morgen optimistisch. Allerdings wächst, vor allem in der SPD -Bundestagsfraktion, die Kritik der GenossInnen an Lafontaine. Und auch der saarländische Ministerpräsident selbst soll seine weitere Kandidatur immer stärker in Frage stellen.

„Oskar Lafontaine ist einstimmig nominiert als Kanzlerkandidat, und ich verlasse dieses Haus mit dem Eindruck, daß sich daran nichts geändert hat“, sagte Vogel am Sonntag mittag nach seinem Besuch beim Kanzlerkandidaten in Saarbrücken. Der SPD-Vorsitzende sagte, man sei sich einig über die großen Risiken, die der von Kohl mit dem Staatsvertrag eingeschlagene Weg beinhalte. An der ablehnenden Haltung Lafontaines hierzu und der Einschätzung der Risiken habe sich nichts geändert. Zwischen Kandidatur und Abstimmungsverhalten über den Staatsvertrag im Bundestag gebe es „kein Junktim“. Allerdings: Nach Darstellung von Björn Engholm hat der Saarländer seine Kanzlerkandidatur erneut davon abhängig gemacht, wie sich vor allem die SPD -Bundestagsfraktion weiter zum deutsch-deutschen Staatsvertrag verhält. Daß sie immer weniger bereit ist, Lafontaines Bedingungen in dieser Frage zu akzeptieren, zeichnet sich immer deutlicher ab.

Ungefähr zwei Drittel aller SPD-Bundestagsabgeordneten wollen angeblich nächste Woche für den Staatsvertrag stimmen - Lafontaine hatte die Ablehnung im Bundestag gefordert. Anscheinend will die Bundesregierung weder Umstrukturierungshilfen für sanierungsfähige Betriebe in der DDR gewähren noch die Betriebe weitergehend entschulden beides gehört jedoch zu dem „Verhandlungspaket“ von Oskar Lafontaine. Ob andererseits die in den Verhandlungen mit der Bundesregierung durchgesetzten Verbesserungen ausreichen, um Lafontaine bei der Stange zu halten, wird sich wohl erst im Laufe dieser Woche erweisen: Am Dienstag findet das letzte Gespräch zwischen SPD und Bundesregierung statt. Dabei will die SPD eine Revisionsklausel durchsetzen, um den Vertrag bei Bedarf ergänzen zu können. Die Bundesregierung hatte deutlich gemacht, daß sie keine Notwendigkeit für Nachbesserungen oder Änderungen sieht.

Am Donnerstag wollen sich die Spitzen der sozialdemokratischen Partei und Fraktion auf eine endgültige Haltung zum Staatsvertrag einigen. Ob Lafontaine, der am 25.April bei einem Attentat schwer verletzt worden war, an der Beratung der Bundestagsfraktion teilnimmt, ist ungewiß. Dies sei dessen eigene Entscheidung sowie die der Ärzte, erklärten Vogel und der saarländische SPD-Fraktionschef Klimmt.

Im Laufe des Wochenendes verdichteten sich die Spekulationen über einen möglichen Rücktritt Lafontaines als Kanzlerkandidat. Mit „höchstens 50 Prozent“ soll nach Informationen der 'Süddeutschen Zeitung‘ SPD-intern die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt werden, daß Lafontaine seine Kanzlerkandidatur aufrechterhält. Klimmt gegenüber der taz: „Bis jetzt hat Oskar seine Kandidatur ja nicht zurückgenommen.“ Aber auch für den Fall, daß Lafontaine Kanzlerkandidat bleibt, soll nach Informationen aus seinem Umfeld die derzeitige Krise handfeste Auswirkungn haben: Auf einem möglichen Sonderparteitag im Herbst, so munkelt man, werde Lafontaine gegen Vogel für den Parteivorsitz kandidieren. Siehe auch Seite 2

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