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"Euthanasie"- Debatte

■ betr.: "Schlupflöcher der Ethik" (Prof. Ernst Tugendhat), taz vom 6.6.90, "Stellungskrieg" oder Diskussion" (Götz Aly), taz vom 7.6.90

betr.: „Schlupflöcher der Ethik“ (Prof.Ernst Tugendhat), taz vom 6.6.90, „Stellungskrieg oder Diskussion“, (Götz Aly),

taz vom 7.6.90

Wie Götz Aly bin ich der Meinung, daß die Verhinderung von Seminaren und Diskussionen zu Singers Thesen keinen gesellschaftlichen Konsens darüber herbeiführen kann, daß „es kein lebensunwertes Leben gibt und daß niemand das Recht haben darf, darüber zu befinden“. Diese Forderung nach Diskussion sollte jedoch nicht dazu benutzt werden, die aktive Euthanasie gesellschaftsfähig zu machen.

1. Ich arbeite seit drei Jahren auf einer Intensivstation und es gibt für mich einen qualitativen Unterschied zwischen Sterbenlassen durch Nichtstun beziehungsweise korrekter nicht alles tun, was möglich ist, und aktiver Euthanasie. Ich möchte keinesfalls die bei jedem einzelnen, unheilbaren Schwerkranken schwierige und immer mit bleibenden Fragen (war's richtig oder falsch?) belastete Diskussion und die vielleicht daraus folgende Handlung des Sterbenlassens per gesellschaftlichem/gesetzlichem Dekret erleichtern. Ich möchte sie schon gar nicht durch aktive, für mich grausamere und überhebliche Schritte ersetzen.

2. Im Zeitalter der Gentechnologie, deren mögliche Auswirkungen auf die in der Evolution gewachsenen Strukturen nicht ernsthaft und mit möglichst vielen beraten werden, kann eine Diskussion über aktive Euthanasie auch den Eindruck erwecken, als solle der gesellschaftliche Konsens zur Beseitigung nicht einkalkulierter - sprich zum Beispiel schwerer Behinderungen - Ergebnisse geschaffen werden.

3. Diese Gesellschaft, das heißt auch wir, haben es bisher nicht vermocht, die allseits bekannte, zunehmende Umweltvergiftung zu stoppen und deren Auswirkungen auf das genetische Material von Pflanzen, Tieren und Menschen möglichst klein zu halten.

Es ist für mich nicht einzusehen, warum einerseits zum Beispiel in der Frühgeborenenmedizin alles, was machbar ist (immer weniger ausgereifte und immer weniger allein lebensfähige Kinder mit Hilfe der Medizin am Leben zu erhalten), als großartiger Fortschritt gilt und andererseits die aktive Euthanasie plötzlich als wichtige Frage der Praktischen Ethik betrachtet wird.

Friederike Hartmann-Hornberger, Berlin

Es hat mich eiskalt geschaudert: Da bekommt Ernst Tugendhat breiten Raum für sein „philosophisches Interesse an der Euthanasieproblematik“, der ein wichtiges „praktisches Problem zugrunde liegt, das in unserer Gesellschaft schlecht gelöst ist... das Problem der unheilbaren und schwerleidenden Menschen, und hier insbesondere der Säuglinge und anderer Personen, die ihren Willen nicht äußern können... Die Tötung scheint in vielen Fällen das Einzige zu sein, was im Interesse des Kindes ist...“ Tugenhat fragt naiv, warum wir nicht über das Leben von Menschen, die sich selbst nicht äußern können, entscheiden sollen. Daß es nicht ganz abwegig ist, daß die Behinderten sich von dieser Diskussion bedroht fühlen, räumt er auch noch ein. Ganz akademisch wird hier erwogen, daß Sterbenlassen durch Verhungernlassen ein Plus an Grausamkeit bedeutet. Er setzt sich nicht gegen eine solche Praxis der Selektion und des Tötens hart zur Wehr, sondern preist als bessere Alternative das aktive Töten. Und die Diskussion sei zwar „im negativen Interesse der Behinderten, aber im positiven Interesse aller“.

Eine geballte Ladung von Menschenverachtung und Zynismus. Tugendhat würdigt das Leben Behinderter und Sterbender als „lebensunwert“ herab und propagiert deren Tötung als menschlich. Seine Thesen gleichen denen von Binding und Hoche, den Autoren des Buches Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ von 1920. Und die Propaganda im deutschen Faschismus argumentierte, wie Tugendhat, mit dem Unglück des Lebens eines behinderten Säuglings.

Am nächsten Tag dann die hoffentlich knallharte Zurückweisung von Götz Aly. Doch was er liefert, ist noch tausendmal schlimmer. Er behauptet, mensch könnte ja meinen, da bietet ein „linksliberaler Philosoph in der taz (typisch) ein Rezept, mit dem sich Euthanasie ins Gespräch bringen läßt“. Aber die achtbare Person, das Werk Ernst Tugendhats widerlege diesen Verdacht: „Es gibt gute Gründe mit Ernst Tugendhat zu diskutieren.“ Götz Aly macht alles noch furchtbarer. Er behauptet, die gefährlichen Argumente seien gar nicht so gemeint. Er untermauert die Propagierung der Euthanasie, indem er Tugendhats Thesen als harmlos abtut. Was wor Jahren in 'Bild‘ mit Hackethal und seiner Forderung nach „Erlösungstodhilfe“ begann, wird jetzt in der taz perfide fortgesetzt.

Was ist das für eine Zeit, in der Linke, die vor dem gerade neu erstarkenden deutschen Nationalismus und Rassismus warnen, als ewig Gestrige difammiert werden? Und über Mord an Behinderten und Todkranken muß doch wieder diskutiert werden dürfen. Wen wundert es noch? Jenen Initiativen, die in Berlin mit Recht fordern, daß das Lebensrecht nicht diskutierbar ist, wird auf der Debattenseite kein Platz für ihre Argumente eingeräumt. Da reicht klein, klein die Leserbriefseite, nicht wahr?

Irmala Wiemann, Frankfurt

Anmerkung der Redaktion: Zu dieser Debatte sind bereits am 14.6. LeserInnenbriefe erschienen.

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