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Gorbatschow kämpft um Integration der UdSSR in Europa

„In voller Souveränität“, so US-Außenminister Baker am Vortag der zweiten Runde der Zwei-plus-vier-Gespräche der Außenminister, „sollen die Deutschen entscheiden können, zu welchem Bündnissystem sie zukünfig gehören wollen.“ Seine Regierung wolle in dieser Frage den Deutschen keine Vorschriften machen. Bakers vermeintliche Großzügigkeit kann kaum überraschen. Seit Monaten macht die Bundesregierung keinen Hehl daraus, daß auch das künftige „einig Vaterland“ Mitglied der „Atlantischen Allianz“ werden soll verhandelbar seien allenfalls die Modalitäten der Truppenstationierungen auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Dabei ist Bakers Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Sowjetunion, doch nun endlich auch vom Podest des Siegers herabzusteigen, um den Feinden von einst ihr Recht auch auf eine außenpolitische Selbstbestimmung nicht länger vorzuenthalten, eher Stimmungsmache für die internationale Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen ist aus dem anfänglichen kategorischen „Nein“ Gorbatschows zur gesamtdeutschen Nato -Mitgliedschaft längst ein „Ja, aber“ geworden.

Kredite nur

bei Kooperation

Verantwortlich für den scheibchenweisen Rückzug der Sowjets ist ein massiver Druck auf drei Ebenen: Erster und gleichzeitig wichtigster Punkt für Gorbatschows schlechte Verhandlungsposition: die Nato-Staaten, die ihm in geschlossener Phalanx gegenüberstehen, sind zugleich die potentiell wichtigsten Geldgeber für dringend benötigte Kredite zum Umbau der sowjetischen Ökonomie. Es dürfte kein Zufall sein, daß einen Tag vor den gestrigen Gesprächen in Ost-Berlin bekanntgegeben wurde, daß bundesdeutsche Banken mit einer Bundesbürgschaft im Rücken dabei sind, einen Fünf -Milliarden-DM-Kredit für die UdSSR bereitzustellen. Diese fünf Milliarden, immerhin der größte Einzelkredit, den bundesdeutsche Banken je aufgebracht haben, ist gedacht als Überbrückungshilfe, bevor das wirklich große Geld fließen kann. Auf dem kommenden EG-Gipfel in Dublin und dem Anfang Juli anstehenden Weltwirtschaftsgipfel im US-Bundesstaat Texas soll von den westlichen Industrienationen ein Kreditpaket von rund 25 Milliarden US-Dollar geschnürt werden. Zwar vermeiden Bush, Kohl und andere ein öffentliches Junktim zwischen der Kreditgewährung und der sowjetischen Zustimmung zur Gesamtdeutschen Nato -Zugehörigkeit. Tatsächlich aber ist es keine Frage, daß das von den Sowjets dringend benötigte Geld nur fließt, wenn sie die Neuordnung Europas im Sinne der Nato nicht länger blockieren.

Die zweite Ebene, auf der Gorbatschow Konzessionen machen muß, sind die veränderten Interessen seiner Bündnispartner im Warschauer Vertrag. Ungarn, die CSFR und Polen tragen eine harte Auseinandersetzung mit der Nato nicht mehr mit und drohen notfalls mit ihrem Ausstieg aus dem östlichen Militärbündnis. Auch hier kommt die Macht nicht mehr aus den Gewehrläufen, sondern aus den Banktresoren - und die sind bekanntlich auch in diesen drei Ländern gähnend leer.

Nicht zuletzt spielt aber auch für die sowjetische Führung die Überlegung eine Rolle, nicht jetzt mit dem Restbestand an militärischer Macht noch eine Regelung durchzudrücken, die mittelfristig zu einem ständigen Unruheherd in Europa werden könnte. Wenn man nun auf einer Neutralität Gesamtdeutschlands bestehen würde, ist zumindest zweifelhaft, was in zehn Jahren daraus wird. Ein zweites Versailles, so betonen Kohl und Genscher, könne auch Gorbatschow nicht wollen.

Angesichts dieser Ausgangspositionen droht jetzt jedoch viel eher die Gefahr, daß das Versailles dieses Mal der Sowjetunion bereitet wird. Wo scheinbar noch um den Status des zukünftigen Deutschlands verhandelt wird, geht es bereits weit mehr um die Perspektive der Sowjetunion im zukünftigen Europa. Vom derzeitigen US-Botschafter in Bonn, Vernon Walters, stammt der Spruch, die Sowjetunion sei „nichts weiter als Obervolta plus Raketen„; für die amerikanische Rechte ist das Klassenziel des Jahrhunderts erreicht, wenn aus der östlichen Supermacht ein Land mit dem Status eines Dritte-Welt-Landes geworden ist.

Angst vor der Isolation

Entsprechend kämpfen Gorbatschow und sein Außenminister jetzt um Regelungen, die eine verbindliche Einbeziehung der Sowjetunion in das zukünftige Europa und damit den Zugang zum Weltmarkt verbindlich festschreiben. Neben der eher vordergründigen Frage der Veränderung der militärischen Strategie der Nato geht es der Kreml-Führung vor allem um die Schaffung gemeinsamer Gremien, in denen die Sowjetunion langfristig verankert wird. Gemeinsame politische und militärische Ausschüsse auf der Ebene der beiden Bündnissysteme sollen verhindern, daß die UdSSR bei der KSZE -Konferenz im November mit einigen wohlklingenden Formulierungen wie beispielsweise einem gegenseitigen Nichtangriffspakt abgespeist wird - der letztlich ihre Isolierung in Europa nicht verhindern würde.

Für Gorbatschow ist das vereinigte Deutschland das Eintrittsbillett ins vereinigte Europa. Deshalb muß die sowjetische Führung darauf bestehen, daß aus der Vereinigung beider deutscher Staaten eine verbindliche Klammer zwischen Ost und West wird, die nicht nur bis zur polnischen Ostgrenze reicht.

Jürgen Gottschlich

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