: Der scheue Walter Wallmann: Ein Ministerpräsident ohne Profil
Der hessische Ministerpräsident auf Tauchstation / Drei Jahre nach der Machtübernahme in Hessen scheint die CDU/FDP-Regierung in Wiesbaden verschlissen / Wallmann umgeben von karrieristischen Einzelkämpfern / Üble Prognosen für die Landtagswahlen 1991 / Wächst mit Finanzminister Kanther ein Kronprinz heran? ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt (taz) - Die Szene hatte Symbolwert: Während der hessische Landtag um den Staatsvertrag mit der DDR und dessen Auswirkungen auf das CDU/FDP-regierte Bundesland im Herzen der künftigen Republik Deutschland debattierte, ließen sich auf der Regierungsbank lediglich Justizminister Karlheinz Koch und Innenminister Gottfried Milde (beide CDU) blicken. Kabinettchef Walter Wallmann hatte nach den ersten scharfen Attacken des Grünen-Fraktionschefs Joschka Fischer, der in den vergangenen drei Jahren zum eigentlichen Oppositionsführer im Landtag avancierte, seinen Platz verlassen und sich im Plenarsaal neben seinem Generalsekretär Franz Josef Jung niedergelassen - nicht ohne sich beim Aufstehen das dunkelblaue Jackett ordnungsgemäß zugeknöpft zu haben. Haltung ist schließlich alles, wenn die Kameras des Hessischen Rundfunks laufen.
Der Platzwechsel auf die harte Abgeordnetenbank leitete den taktischen Rückzug eines Ministerpräsidenten ein, der im Mai 1987 angetreten war, das seit Kriegsende mehrheitlich sozialdemokratisch regierte Hessenland konservativ zu wenden. Ein blasser Wallmann schlich sich nun aus dem Plenarsaal - und Fischer bellte ihm seine geharnischten Vorwürfe via Hauslautsprecher bis auf den Flur nach.
Die Minister haben
wichtigere Termine
Die Minister Koch und Milde feixten unbeeindruckt vom klammheimlichen Abgang ihres Kabinettchefs weiter. Die Kollegen aus den anderen Ressorts hatten ohnehin wichtigere Termine - trotz Deutschlanddebatte und anstehender Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes. In der Cafeteria des Landtages unterhielt Umweltminister Karlheinz Weimar beispielsweise eine Runde junger Unionsabgeordneter. Die Ministerin für Landwirtschaft und Forsten, Irmgart Reichhard vom Hofgut Ringelshausen, arbeitete fleißig Akten auf. Und Kultusminister Christean Wagner kämpfte zum x-ten Mal an der Schulfront gegen die GEW und den gesamten, noch sozialdemokratisch orientierten Apparat seines Hauses an wie immer vergeblich.
Auch an seinen FDP-Ministern konnte sich Wallmann an diesem Tag nicht festhalten. Sein Stellvertreter, der FDP -Bundesvorständler und Wissenschaftsminister Wolfgang Gerhard, war dort, wo er in den vergangenen drei Jahren am häufigsten gesichtet wurde: in Bonn. Und Wirtschafts- und Verkehrsminister Alfred Schmidt, der vor Wochenfrist den 1987 von ihm selbst gekippten Tempo-100-Erlaß für die Autobahn Frankfurt/Wiesbaden aus der rot-grünen Aera ebenso höchstpersönlich wieder in Kraft setzte, weil die Zahl der Todesopfer rasant angestiegen war, weihte irgendwo in Hessen eine neue Straße ein: Walter Wallmann - der einsamste Mann im Kabinett Wallmann.
Dabei war der erfolgreiche Ex-Oberbürgermeister aus Frankfurt als Helmut Kohls post-Tschernobyl-Geheimwaffe Mitte 1986 gar zu Bundesministerehren gekommen. Doch Wallmann, für den Ökologie bis dato ein Fremdwort aus dem Lexikon des grünen Erzfeindes war, versackte als Umweltminister in Bonn in zigtausend Tonnen Molkepulver. Auf den „Molkemann“, der von SPD und Grünen im hessischen Wahlkampf als Karnevalsfigur auf Motivwagen durch die Städte gekarrt worden war, setzte im April 1987 - bei den Neuwahlen nach dem Bruch der rot-grünen Kolition - kein Mensch auch nur einen roten Heller. Walter Wallmann, der ohne Aufgabe des Ministeramtes in Bonn hessischer Ministerpräsident werden wollte, galt als der „sichere Verlierer“.
Der Wahlsieg hat
alle überrascht
Doch dann kam alles anders: Sozialdemokratische Protestwähler, denen der Eiertanz mit den Grünen den Kamm hatte schwellen lassen, liefen in Scharen zur CDU über. Und die Stimmengewinne der Grünen reichten nicht aus, um eine Resurrektion des sozial-ökologischen Bündnisses realisieren zu können. Wallmann hatte geschafft, was dem Stahlhelmer Alfred Dregger trotz dreier Anläufe immer versagt geblieben war: eine knappe Mehrheit aus CDU- und FDP-Abgeordneten wählte ihn im Mai 1987 zum hessischen Ministerpräsidenten.
Doch der Wahlsieg hatte selbst die Parteistrategen in der Union überrascht. Ohne Regierungserfahrung und vor allem ohne programmatische Plattform für vier Jahre Regierungsverantwortung in Hessen, stürzte sich das hastig zusammengestellte Kabinett Wallmann auf die Regierungsgeschäfte. Wallmann selbst machte bei der ersten Pressekonferenz der neuen CDU/FDP-Landesregierung folgerichtig aus der Not eine Tugend: Eine gute Regierung sei die, die nicht auffalle - und dieser Maxime scheint sich der Ministerpräsident bis heute verschrieben zu haben.
Da wird an der Basis, in den CDU-Ortsverbänden von Unionsmitgliedern schon einmal sarkastisch die Frage in den Raum gestellt: „Wer war eigentlich Walter Wallmann?“ Ganze zwei mickrige Auftritte für den Ministerpräsidenten wies beispielsweise der Terminplan der Landesregierung für die ersten beiden Juniwochen auf. Da bringen es seine Minister leicht auf das Dreifache. Daß Wallmann Profilierungsprobleme hat, ist im hessischen Landtag ein offenens Geheimnis. Während die einen persönliche Probleme des Ministerpräsidenten ins Spiel bringen, machen andere „familiäre Irritationen“ dafür verantwortlich, daß Wallmanns Seelenleben aus den Fugen geraten sei.
Bekannt ist jedenfalls, daß Wallmann schon als Oberbürgermeister von Frankfurt kein blutleerer Technokrat war: Er stand für Gefühl und Härte, wobei die „Härte“ ausschließlich für den politischen Gegner reserviert war. Wallmann weinte, als Juden aus Israel Jahrzehnte nach dem Holocaust in Frankfurt erstmals wieder deutschen Boden betraten. Und Wallmann konnte im Kommunalwahlkampf 1989 eine schäbige Kampagne der CDU gegen den Frankfurter Juden Cohn -Bendit mittragen. Walter Wallmann - eine gespaltene Persönlichkeit?
Mit Blick auf den neuen, sozialdemokratischen Oberbürgermeister der Mainmetropole, den in der Öffentlichkeit stets etwas unbeholfen wirkenden, aber sachbezogenen Volker Hauff, schwingt selbst im Frankfurter Stadtmagazin 'Pflasterstrand‘, dessen Herausgeber noch immer Cohn-Bendit heißt und dessen liebstes Haßsubjekt in den frühen 80er Jahren Walter Wallmann hieß, beim Rückblick auf den Oberbürgermeister Wallmann ein Hauch von Nostalgie mit. Denn Wallmann gehört einer aussterbenden Politikergeneration an - ebenso wie der andere politische Saurier der frühen 80er Jahre, Ex-Ministerpräsident Holger Börner. Dessen Repertoire reichte bei öffentlichen Auftritten vom zornigen Schwingen der Dachlatte bis hin zu den Tränen bei der Verabschiedung von Joschka Fischer aus dem Umweltministeramt.
Auch die „Wende in der
Schulpolitik“ klappte nicht
In Frankfurt war Wallmann der unumstrittene und erfolgreiche Chef eines farblosen Magistrats - in Wiesbaden, als Ministerpräsident, ist er umgeben von karrieresüchtigen Einzelkämpfern einer neuen Politikergeneration. Und die wollen sich gegen ihn profilieren. So bastelt etwa der stellvertretende Ministerpräsident Wolfgang Gerhardt (46) als Mitglied des FDP-Bundesvorstandes in Bonn an einer deutschlandpolitischen Karriere, Umweltminister Karlheinz Weimar (40) sorgte bislang in Permanenz für (Negativ -)Schlagzeilen - von Hanau über Biblis bis Biebesheim -, und der elitäre Kultusminister Christean Wagner, der auf das „ea“ im Vornamen besondern Wert legt, provoziert Lehrer, Eltern und Schüler vierteljährlich mit unsinnigen Erlassen, die dann entweder wieder von den Gerichten gekippt werden oder einfach am Widerstand der Betroffenen scheitern.
Dabei war die „Wende in der Schulpolitik“ 1987 das zentrale Wahlkampfthema der Union. Als Wagner im Alleingang gar behinderte Kinder aus den eingerichteten Integrationsklassen entfernen lassen wollte, um in den Schulen der heranwachsenden neuen Elite Deutschlands eine störungsfreie Entfaltung zu garantieren, schlug Ministerpräsident Wallmann das erste und letzte Mal mit der Faust auf den Kabinettstisch. Die Ausgrenzung Behinderter war in Hessen nicht durchsetzbar. Wagners bislang einziger Erfolg: Die hessischen Schulkinder müssen heute das „Deutschland-Lied“ auswenig lernen - und bei Ministerbesuchen absingen.
Während Kultusminister Wagner innerhalb der Landesregierung als „Provokateur“ nicht nur der Opposition im Landtag gehandelt wird, gilt Landwirtschaftsministerin Reichhardt (44), zumindest für die Grünen, als absolute „Nullnummer“. Für die Landwirtschaftsexpertin der Grünen, Irene Soltwedel, sind die Auftritte von Reichhardt „peinliche Demonstrationen fachlicher Inkompetenz“. Selbst aus dem Ministerium heraus wurde die Ministerin wiederholt düpiert. So mußte Reichhardt erst vor Monatsfrist von allen Seiten Prügel einstecken, als sie die hessischen Maikäfer mit der chemischen Keule ausrotten wollte. Und die fürst- und gräflichen Waldbesitzer liefen Sturm gegen den Erlaß aus prä-ökologischer Vorzeit Ministerin Reichhardt, die selbst ganze Wälder im Grundbuch stehen hat, mußte zurückstecken. Maikäfer, Forstbeamte, Umweltschützer und Waldbesitzer atmeten tief durch.
Der Atem angehalten dagegen wird im hessischen Landtag, wenn Innenminister Gottfried Milde (56) ans Mikrophon tritt. Der Mann, der kaum in der Lage ist, zwei aufeinanderfolgende Sätze aufzusagen, ohne sich dabei im Gestrüpp der deutschen Grammatik zu verfangen, ging im Sommer 1987 wie Rambo auf die Hinterlassenschaften der rot-grünen Koalition los. In einem ersten Verwaltungsakt kippte Milde die liberalen Erlasse der Vorgängerregierung zur Ausländerpolitik, versprach der Polizei mehr Geld und mehr Stellen und kündigte eine „härtere Gangart“ gegen „Randalierer und Störer“ aller Art an.
Dilettantische Offensiven
Doch dann dauerte es fast drei Jahre, ehe Milde ein neues hessisches Polizeigesetz vorlegte, das vom Bundesverfassungsgericht - im Zuge des Volkszählungsurteils
-schon für das vergangene Jahr eingeklagt worden war. In dieses Polizeigesetz hat Milde seine Idee von der Legalisierung der verdeckten Ermittlung kunstvoll eingeflochten und damit die erhoffte breite Zustimmung im Landtag sabotiert. SPD und Grüne lehnten letzte Woche den Entwurf in zweiter Lesung ab. Der Grünen-Abgeordnete Rupert von Plottnitz: „Eine Polizei, die selbst in die Rolle des Ganoven schlüpft, fördert nur das Mißtrauen der Bürger. Auf Ganovenebene läßt sich innere Sicherheit eben nicht bewerkstelligen.“
Regierungschef Wallmann jedenfalls, der sich nach dem Kommunalwahldebakel der Union im März 1989 wochenlang vollkommen aus der Landespolitik zurückgezogen hatte und zu Hause im rot-grünen Frankfurt seine Wunden leckte, hat offenbar nicht mehr die Kraft, seine Minister an die Kandare zu nehmen und die Richtlinien der Landespolitik zu bestimmen.
Mit dilettantisch vorbereiteten Offensiven, die voll auf das Konto seines Beraterstabes unter Staatssekretär Gauland gehen, diskreditierte sich Wallmann zusätzlich selbst. So war sein Vorstoß für eine „Hauptstadt Frankfurt“ ebenso ein Flop wie die großspurige Ankündigung vom Abzug der US -amerikanischen Truppen aus Frankfurt. Eine seriöse Studie von Friedensforschern, die von der SPD in Auftrag gegeben worden ist, kam zu genau gegenteiligen Schlußfolgerungen. Gerade in Frankfurt wollen die Amis unbedingt bleiben - und hier wahrscheinlich noch ein zweites Headquarter für den süddeutschen Raum aufbauen.
Auch der letzte Strohhalm, an den sich der Ministerpräsident nach der Wende in der DDR klammern wollte, trieb schon im Frühsommer die Werra hinab. Einen Ministerpräsidenten Wallmann von Hessen-Thüringen wird es nicht geben, denn Wallmanns Parteifreunde in Bonn haben die neue föderative Republik Deutschland längst anders aufgeteilt.
Seine erfolglosen Vorstöße haben den Ministerpräsidenten innerhalb des Kabinetts, aber auch in der Landtagsfraktion weiter isoliert. Der verunsicherte und scheu gewordene Dilettant Wallmann leidet sichtlich unter Liebesentzug. Seinen als Frankfurter Oberbürgermeister erworbenen Kredit jedenfalls hat Wallmann restlos verspielt, auch und gerade bei den Medien, die der Union bislang immer nahestanden.
Ein bescheidener Minister
Noch hat die hessische Union keinen Kronprinzen aufgebaut, der dem schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten nachfolgen und die Christdemokraten aus dem Tief herausführen könnte. Mit stiller Sacharbeit, die selbst bei der Opposition ab und an mit anerkennendem Kopfnicken kommentiert wird, hat sich allerdings Finanzminister Manfred Kanther (51) auszeichnen können. Der Generalsekretär der hessischen CDU, der vor seinem Amtsantritt als „Stahlhelmer“ galt, genießt innerhalb seines Ministeriums den Ruf des gerechten und umgänglichen Sachverständigen. Und Kanther hat Sinn für Symbolik. Anders als seine Ministerkollegen, die sich in dicken „Senatoren“ von Chauffeuren ins Amt kutschieren lassen, steuert Kanther einen alten VW selbst ins Finanzministerium in der Wiesbadener Luisenstraße. Kanther scheint - ganz im Gegensatz zu Wallmann - auch keine Berührungsängste gegenüber politisch Andersdenkenden zu haben: taz -Mitarbeiter Michael Blum durfte in der Pressestelle des Ministeriums ein mehrwöchiges Praktikum absolvieren.
Noch steht die hessische Union, die am kommenden Wochenende ihren Landesparteitag in Kassel zelebriert, nach außen geschlossen hinter Wallmann. Doch die Angst der Christdemokraten vor einer sich abzeichnenden Wahlniederlage im Frühjahr 1991 wächst, auch wenn die Landes-SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Hans Eichel gleichfalls einen Kandidaten ins Rennen schicken will, dem jedes Charisma abgeht.
Das Ergebnis der Kommunalwahlen vom März 1989 war ein herber Schuß vor den Bug des schwarz-gelben Koalitionsschiffes. Eine Kurskorrektur fand bislang nicht statt. Kapitän Wallmann liegt seekrank in der Koje, und die Offiziere sind betrunken.
Walter Wallmann, der sichere Verlierer der anstehenden Hessenwahl? Das hatten seine Gegner und die Wahlforscher allerdings auch im April 1987 geglaubt.
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