: Diestels Sahne auf Schäubles Kuchen
■ Klammheimliche Vorbereitungen für ein zentrales gesamtdeutsches Polizeirecht?
Es ist immer wieder erstaunlich, wie flexibel Politik zuweilen sein kann. Seit Monaten geht es in der öffentlichen Debatte vorwiegend darum, welche Gesetze, Verordnungen, Richtlinien etc. die noch existierende DDR von der BRD zu übernehmen hat. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Gewiefte Bonner Politprofis sind für Anregungen von der anderen Seite durchaus offen. Insbesondere das Bonner Innenministerium scheint klammheimlich die Parole ausgegeben zu haben: Von der DDR lernen, heißt siegen lernen.
Seit Jahrzehnten leidet jeder bundesdeutsche Innenminister (gleich welcher Couleur) an einem Zustand, den die alliierten Befreier in der Debatte um das Grundgesetz festschreiben ließen: Die Polizeihoheit liegt in der Bundesrepublik bei den Ländern. Die Erfahrungen mit der zentral gesteuerten Nazi-Polizei und der Gestapo noch in frischester Erinnerung stimmten seinerzeit auch die deutschen Innenpolitiker dieser Regelung zu. Seitdem ist viel Wasser den Rhein heruntergeflossen, die Nachkriegsära geht erklärtermaßen zu Ende, das ganze Deutschland soll wieder in Besitz seiner vollen Souveränitätsrechte kommen. Die Gunst der Stunde wollen ja jetzt viele nutzen - auch die Verfechter zentraler Polizeigewalt. Der Weg dahin führt, paradox oder nicht, über die DDR.
Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Bonner Berater bastelt DDR-Innenminister Diestel schon seit Anfang dieses Jahres an einem neuen Polizeirecht - selbstverständlich zentralstaatlich verfaßt, denn die Länder der DDR existieren ja noch nicht. Die Eile hat System: noch kann Diestel - mit Schäuble im Hintergrund - neues Polizeirecht präjudizieren, denn das alte aus der Stasi-Zeit muß ohnehin weg. Ist ein neues DDR-Polizeirecht erst geschaffen, kann Schäuble sich bei der BRDDR-Fusion trefflich darauf berufen. Es könnte sogar heißen, man dürfe die DDR-Kollegen nicht dauernd über den Tisch ziehen...
Dabei liegen die Pläne für eine zentrale Bundespolizei bei Schäuble - wie schon bei seinen Vorgängern - längst in der Schublade. Mit einem Trick geht es bereits los: Die knapp 100 Beamten der Bahnpolizei, die im gesamten Bundesgebiet tätig werden dürfen, sollen in den Bundesgrenzschutz übernommen, ihre Befugnisse auf den gesamten BGS ausgedehnt werden. Da trifft es sich, daß mit dem Verlust der innerdeutschen Grenze - und demnächst der EG-Grenzen - für den BGS dringend ein neues Betätigungsfeld gesucht wird. Eine gesamtdeutsche Bundespolizei als Ergebnis des Vereinigungsprozesses - das wäre für Schäuble die Sahne auf dem Kuchen. Die Bonner Parole dazu lautet: Diestel, geh du man voran!
Jürgen Gottschlich
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