: „Selbstbestimmung wiedergeben“
■ In Kamerun wurde unter Schwierigkeiten eine „Sozialdemokratische Front“ gebildet
INTERVIEW
Kameruns Präsident Paul Biya verkündete kürzlich die Freilassung von politischen Gefangenen und erklärte sich bereit, Vertreter von „amnesty international“ zu empfangen. Dies folgte auf eine Reise des Präsidenten nach Frankreich, wo weitere französische Wirtschaftshilfe von einer Demokratisierung des Einparteienstaates abhängig gemacht wurde. Die neue Oppositionspartei „Social Democratic Front“ (SDF) appellierte daraufhin an die UNO, den Demokratisierungsprozeß in Kamerun zu überwachen. Über die Positionen der SDF informiert eines ihrer Vorstandsmitglieder (Name der Red. bekannt).
taz: Im Mai dieses Jahres wurde in Bamenda, im Nordwesten Kameruns, die Social Democratic Front (SDF) gegründet. Ist damit nach 30 Jahren Einparteienherrschaft durch die UNC (Union Nationale Camerounaise), seit 1985 umbenannt in RDPC (Rassemblement Democratique du Peuple Camerounais), ein Zeichen zur Hinwendung zum Parteienpluralismus gesetzt?
SDF: Es ist wichtig, zunächst herauszustellen, daß Parteienpluralismus für Kamerun keine historische Neuheit ist. Der blutige Unabhängigkeitskampf von 1955-1960 fand in einem Land statt, das unterschiedliche politische Strömungen kannte. Auch nach Verbot der UPC (Union des Populations du Cameroun) im Jahr 1955, der tragenden Kraft des Befreiungskampfes, waren in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Abgeordnete verschiedener Parteien im kamerunischen Parlament vertreten. Das änderte sich 1966, als Staatspräsident Ahmadou Ahidjo ein autokratisches Einparteienregime errichtete und die anderen Parteien zwang, sich mit der UNC zusammenzuschließen. Nach wie vor ist der Parteienpluralismus im Artikel 3 der kamerunischen Verfassung verankert. Weder Ahidjo noch der amtierende Staatspräsident Paul Biya haben gewagt, diesen Artikel anzutasten. Kamerun erlebt also seit 30 Jahren die krasse Verletzung seiner eigenen Verfassung - unter dem paradoxen Vorwand, daß das Land immer noch nicht reif für einen demokratischen Pluralimsus sei. In Übereinstimmung mit den gültigen Gesetzestexten haben wir nun öffentlich und innerhalb des Landes die SDF gegründet. Ihr Ziel ist es, den kamerunischen Bürgern eine Alternative zur RDPC vorzuschlagen.
Worin genau besteht diese Alternative? Gibt es einen Grundkonsens mit den bislang verbotenen Oppositionsparteien?
Es ist für uns nicht leicht, offen mit den illegalen Oppositionsparteien zusammenzuarbeiten, aber insgesamt tragen wir natürlich die grundsätzlichen Forderungen mit, um dem kamerunischen Volk seine Selbstbestimmung wiederzugeben: die sofortige und uneingeschränkte Anwendung des Artikels 3 der Verfassung; die Aufhebung der Ausnahmegesetzgebung von 1962; eine allgemeine Amnestie und die Schließung von Internierungslagern wie Tchollire, Mantoum, Yokadouma u.a.; uneingeschränkte Presse- und Versammlungsfreiheit sowie freie Wahlen. Wichtig ist auch, einen Weg aus der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise zu finden.
Wie hat die Regierung auf die Gründung der SDF reagiert?
Bei unserem Gründungskongreß im Mai hat die Regierung ein ungeheures Kontingent von Soldaten aufgeboten. Sie riegelten den Versammlungesort ab, nachdem das Meeting selbst verboten worden war. Trotz dieser außergewöhnlichen Maßnahmen kamen mehr als 20.000 Menschen aus allen Teilen des Landes und allen sozialen Schichten nach Bamenda. Ausgerechnet in einem Moment, in dem der Wind der Befreiung um die ganze Welt weht, haben die Herrschenden ihren Soldaten Schießbefehl erteilt und vor aller Augen Menschen umgebracht. Parallel zur Demonstration in Bamenda haben Studenten in Yaounde einen Solidaritätsmarsch organisiert. Auch hier hat die Staatsmacht völlig unangemessen reagiert. Viele Studenten wurden gefangengenommen. Interview: Sybille Weingar
(Kamerun-Komitee, Hamburg
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