: Der Druck auf die Treuhandanstalt nimmt zu
■ Konkurskette droht / „Träger Apparat“ / Bundesbank: Düstere Aussichten
Berlin (taz) - Morgen, am 15., ist Zahltag in der DDR für die ArbeitnehmerInnen ebenso wie für die noch überwiegend staatseigenen Arbeitgeber. Die kurzfristigen Liquiditätsanträge der Unternehmen, die notwendig sind, um überhaupt an Lohngelder zu kommen, werden seit Freitag bei der Treuhandanstalt in drei Häufchen sortiert: Je nach den mitgelieferten Eckdaten werden die Betriebe eingeteilt in die Kategorien „wettbewerbsfähig“, „sanierungswürdig“ oder „konkursgefährdet“. Die Behörde mit dem Auftrag, die 8.000 ehemaligen VEBs und Kombinate zu privatisieren, versucht dem Eindruck entgegenzuwirken, sie müsse alle Anträge auf eines der Häufchen schichten und habe nur noch Konkursmasse in den Händen.
Noch gestern beschwerte sich der Vorsitzende des Wirtschaftssachverständigenrats, Schneider, weil die Treuhand „viel zu träge“ sei und unsanierbare Betriebe wirklich stillegen müsse. Die Bundesbank zeichnet in ihrem jüngsten Monatsbericht ein düsteres Konjunkturbild und verweist auf den Rückgang der Industrieproduktion um 9,5 Prozent allein im zweiten Quartal '90.
Dabei sind die Hoffnungen auf Kapitalzuflüsse aus der BRD enttäuscht worden. Die potentiellen Investoren halten sich zurück (siehe nebenstehendes Interview). Und sie warten ab, ob die von den Amtskollegen Haussmann und Pohl geforderten weiteren Investitionszuschüsse beschlossen werden. Eine Konkurslawine droht die DDR-Wirtschaft zu überrollen, und die Administration steht unter dem Druck, mit einem Strukturkonzept zu verhindern, daß auch die als „wettbewerbsfähig“ eingestuften Unternehmen in einer Zahlungskettenreaktion dem „Gesamtvollstreckungsverfahren“, dem Konkurs, anheimfallen.
Im Juli wurden noch die kurzfristigen Kreditanträge der Unternehmen an die Banken zu 41 Prozent erfüllt und voll von der Treuhandanstalt verbürgt. Mit diesen zehn Milliarden DM konnten die meisten Betriebe gerade die Löhne, aber nicht mehr die Rechnungen bezahlen - der Zahlungskreislauf zwischen den Betrieben brach zusammen. Aufträge an Zulieferbetriebe wurden storniert, unbezahlte und unbezahlbare Produkte stauen sich in den Lagerhallen, die Produktion fällt vielfach, und damit gehen auch die Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge zurück. Arbeitsministerin Hildebrandt spricht von 1,1 Millionen De -facto-Arbeitslosen.
„Der Wirtschaftskreislauf ist unterbrochen“, resümiert der Leiter der Grundsatzabteilung des Wirtschaftsministeriums, Rost, und diagnostiziert akuten Geldmangel: Das Verhältnis von Bruttosozialprodukt und Geldmenge liege in der DDR bei 1:0,7 gegenüber 1:2,2 in der BRD.
ewe
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