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Wenn Deutsche gegen Roma mobilmachen

■ In Nordrhein-Westfalen sehen neun Oberstadtdirektoren den sozialen Frieden gefährdet, ein Pastor öffnet seine Kirche den „armen, bedrängten“ Deutschen, und eine Bürgergemeinschaft blockiert eine Straße, um „die Lage zu entzerren“

Von Bettina Markmeyer

„Auf dem Programm“, verkündete der 'Rathaus Report‘ der Stadt Essen, „steht 'Zigeuner-Swing‘ im Stile Django Reinhardts.“ Die Musik war angekündigt für das große Essener Spielefest in der Innenstadt. Die Essener mögen sich bei „Zigeuner-Swing“ und Bratwurst am Wochenende trefflich amüsiert haben. Auf dem Programm der Sozialdezernenten vieler Westfalen-Städte steht unterdessen vor allem eins: Wie werden wir die Roma wieder los? Protestierende Bürger überall dort, wo in den letzten Wochen Roma untergebracht worden sind, haben erreicht, daß sich neun Oberstadtdirektoren aus NRW mit einem Forderungskatalog an die Landesregierung wandten, „weil der soziale Friede in unseren Städten gefährdet ist“. Das Land hatte bereits auf den vorherigen, wochenlangen Druck aus den Kommunen reagiert. Am selben Tag verkündete es erhebliche Erschwernisse für Asylbewerber: kein Bargeld mehr für Flüchtlinge, Sammelverpflegung, ein Landessammellager sowie verschiedene Beschleunigungen des Asylverfahrens und der Abschiebung. Die Initiative der Stadtdirektoren ging von Essen aus.

Die Meldung, daß die örtliche Polizei (übrigens nach drei Monaten immer noch erfolglose) Ermittlungen eingeleitet hat, weil Nachbarn eines Flüchtlingsheims in Essen-Überruhr rechtsradikalen Skins 5.000 Mark gezahlt haben sollen, damit sie die Asylbewerber, überwiegend Roma, terrorisieren, ist jedoch nur die spektakuläre Spitze einer ungeheuren Panik der Deutschen vor den Fremden. Die Stadt Bocholt verteilt seit längerem eine „Information für ausländische Mitbürger“, in der sie den Zugezogenen „wichtige Ratschläge“ für die „Anpassung an die deutschen Gewohnheiten“ erteilt, „damit Sie als Ausländer nicht immer gezwungen sind, am Rande der Gesellschaft zu leben“. Punkt eins „im Zusammenhang mit Anpassung ist der hohe Sauberkeitsanspruch, den die Deutschen haben“. Durch fleißiges Putzen, verspricht das Merkblatt, könne man sich als AusländerIn bei den Deutschen beliebt machen. Befolge man die Putzregeln für Klos, Flure und Höfe der Gemeinschaftsunterkünfte jedoch nicht, werde man ausgewiesen und „in große Auffanglager zurückgeschickt, notfalls mit Hilfe der örtlichen Polizeibehörde“.

„Zu Recht klagen Anwohner“, konstatieren die Stadtdirektoren in ihrem Brief: „Vor allem jugoslawische und rumänische Roma belästigten Einwohner durch ihre Abfälle, durch Lärm, durch aggressives Betteln“ und - nicht erwähnt, aber in jedem Amt zu hören - durch Klauereien. Worüber die Stadtdirektoren nicht schreiben, ist, daß sie gerade Roma überall in den schlechtesten Unterkünften auf zu engem Raum untergebracht haben. In der Erich-Kästner-Schule in Bad Salzufflen-Schötmar leben derzeit über 300 Roma und andere Flüchtlinge aus Rumänien, Jugoslawien und Syrien: 20 bis 75 Menschen in einem Klassenraum. Sozialdezernent Wolfgang Honsdorf: „Etliche Roma kamen in die Schule, ohne zugewiesen zu sein.“ Wo würden sie wohnen, wenn sie sich hätten zuweisen lassen? Honsdorf: „Ich wüßte nicht, wo wir neue Unterbringungen herkriegen sollten.“ Für Roma, das zeigten die letzten Wochen, ist in Salzufflen nirgendwo ein Platz.

Der lippische Kurort liegt an der Autobahn Berlin-Hannover -Ruhrgebiet. Im Juni und Juli kamen hier etwa 400 Roma an, die meisten über die CSFR und DDR aus Rumänien. „Wir werden beschuldigt, daß wir Schmutz machen und unsere natürlichen Bedürfnisse draußen erledigen“, sagt ein Mann, Sprecher einiger Familien. „Wir beide“, und er zeigt auf einen Grauhaarigen neben sich, „haben hier die Verantwortung übernommen, daß das mit der Hygiene klappt. Aber wir können es nicht schaffen. Wir sind zuviele.“ Nur 36 Betten stehen in dem Klassenzimmer, in dem 75 Menschen schlafen, mehr als die Hälfte Kinder. Noch in der Küche, in der vier Herde und vier Spülen stehen, drängen sich hinter einer Trennwand Doppelbetten für drei Familien.

Vor zwei Wochen verhinderte die „Bürgergemeinschaft Ahmsen“, daß die Stadt in Ahmsen, ein anderer Ortsteil von Salzufflen, Zelte für die Roma aufschlug, um „die Lage in Schötmar zu entzerren“. Etwa 600 Bürger - halb Ahmsen waren auf den Beinen. Zwei Stunden lang blockierten sie die Bundesstraße, die Polizei leitete den stockenden Verkehr verständnisvoll an den Demonstranten vorbei. Aufgerufen hatte der Sportverein, CDU- und SPD-Honoratioren unterstützten die Aufgebrachten. Drei Tage später, an einem Montag, öffnete Pastor Wiele von der evangelisch -reformierten Gemeinde in Schötmar seine Kirche den „armen, bedrängten Menschen“, die ihrem Frust über die ungebetenen Gäste in der Erich-Kästner-Schule Luft machten. An der Orgelempore wurde eine Deutschlandfahne entrollt.

Demo und Versammlung hatten Erfolg. Am 8.August entschied der Salzuffler Hauptausschuß: Der „Dringlichkeitsbeschluß“, in Ahmsen Zelte für die Roma aufzuschlagen, wird bekräftigt. Der Beschluß wird ausgesetzt, weil er derzeit nicht umgesetzt werden kann. An diesem Wochenende sind erstmals einige Pfarrer, Grüne und eine Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats mit einer Dolmetscherin in die Erich-Kästner -Schule gekommen. Am Ende eines langen Vormittags wird vereinbart, daß die Roma eine Delegation bilden. „Vielleicht können wir Roma-Vertreter, Nachbarn und die Stadt an einen Tisch bringen“, hofft einer der Pfarrer.

Ob die Schötmarer Verständigungsinitiative Erfolg haben wird, ist zweifelhaft. An Gesprächen besteht wenig Interesse, und, so Sozialdezernent und SPD-Mitglied Honsbach, „es ist sogar fraglich, ob Verbesserungen bei der Unterbringung die Situation erträglicher machen würden“. Wie Honsbach sehen viele Stadtverwaltungen die rumänischen Roma, die in den letzten Wochen verstärkt nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind, längst nicht mehr als Asylbewerber, die Rechte haben. Honsdorf beispielsweise würde sie viel eher als Ausländer mit „einem vielfach selbstgewählten Schicksal“ ansehen, für das sich die Städte nicht länger verantwortlich fühlen wollen. Erkenntnisse über Schlepperorganisationen, die ganze Gruppen rumänischer Roma ins deutsche „Paradies“ lotsen, rücken die politische und religiöse Diskriminierung der Roma in ihrem Herkunftsland, sowie die auch nach dem Umsturz vom Dezember andauernde Verfolgung, fehlende Arbeitsmöglichkeiten, Krankheiten, miserabelste Wohnungen, kurz: ihre Not, in den Hintergrund.

„Soweit hätte es nicht kommen müssen“, empört sich Hildegund Kingreen vom „Arbeitskreis Asyl“ in Hagen. „Die Grenzen nach Osteuropa sind offen, die Stadt hätte sich auf mehr Flüchtlinge einstellen müssen.“ Bereits im März beantragten die Hagener Grünen zusätzliche Unterkünfte. Ein Beschluß wurde gefaßt, „getan“, so Kingreen, „hat sich nichts“. In der Stadt am südlichen Rand des Ruhrgebiets leben derzeit etwa 150 Roma in einem Zeltdorf. Elternproteste verhinderten Anfang dieses Monats aus Angst vor Dreck und Krankheiten die Einschulung von ABC-Schützen in zwei Hagener Grundschulen: In den Turnhallen waren Roma untergebracht. Erst als die Flüchtlinge ins Zeltdorf weitab in einem Gewerbegebiet verfrachtet waren, glätteten sich die Wogen wieder. Mit einer Sondererlaubnis des Vizepräsidenten des Zirndorfer Bundesamtes wurden die Hagener Zeltbewohner im Schnellverfahren von der Zirndorfer Nebenstelle in Dortmund angehört. Die Ablehnung ihrer Asylanträge ist für die Hagener selbstverständlich, „innerhalb von zwei Wochen“, so ein Sprecher der Stadt Hagen, „müssen sie dann ausreisen“.

In Recklinghausen wohnen zirka 150 Roma in Obdachlosenunterkünften neben deutschen Einfamilienhäusern. Deren Bewohner machten schon im Mai durch eine Anti-Roma -Bürgerinitiative von sich reden. Herforder nahmen sich ein Beispiel an ihrer Nachbarstadt Bad Salzufflen und versuchten ebenfalls mit Blockaden, allerdings erfolglos, ein Zelt für Roma zu verhindern. In Herne, wo man die Roma an ein paar Händen abzählen kann, herrscht Erbitterung über „Betteltouren“ in der Stadt. In Gelsenkirchen, wo gut 200 Roma, vorwiegend aus Jugoslawien, in Obdachlosenheimen leben, gibt es bisher erst vereinzelte Beschwerden beim Sozialamt. In Bochum, so ein Sprecher der Stadt, „geht nichts mehr“. Hierher kamen vorletzte Woche täglich etwa 20 Roma aus Rumänien. Die Stadt hat bereits einen Aufnahmestopp für Aus- und Übersiedler, um besonders beengte Quartiere entlasten zu können. Dort ziehen jetzt die Roma ein. Essen sah in den letzten Wochen gleich mehrere Demonstrationen mit Hunderten von Teilnehmern gegen Roma-Quartiere. Die zukünftigen Nachbarn einer neuen Notunterkunft im Stadtteil Kray fühlten sich „als Bürger zweiter Klasse“ diskriminiert.

Die Liste ließe sich fortsetzen, das Bild ist landauf, landab das gleiche, Proteste gegen Dreck, Kriminalität, Lärm, Musik und Feste, Ängste um die eigenen Kinder und wütende Ablehnung. Eigner an Roma-Unterkünfte angrenzender Grundstücke beklagen sich über die „Wertminderung“ ihres Besitzes. Nächtens, live und vor der eigenen Haustür gibt es keinen „Zigeuner-Swing“, sondern nur „Ruhestörung“.

Beamte in den Stadtverwaltungen sind überfordert und inzwischen unwillig, „weil sie“, so Jutta Daniel, Pressesprecherin in Herne, „schon so lange unter Druck sind“. Der Krankenstand beispielsweise bei Sozialarbeitern sei gestiegen. Fragen nach mangelnder Voraussicht und fehlenden Konzepten in der kommunalen Flüchtlingspolitik stellt niemand mehr. Konzepte zur Integration von Roma, wie sie der deutsche Städtetag bereits 1988 den Städten empfahl, wagt außer Asylarbeitskreisen und ein paar Pfarrern niemand vor Ort mehr öffentlich zu diskutieren. Die Frage, wieviele Ausländer in deutscher Städte Mauern geduldet werden, scheint für die Roma in NRW beantwortet. 4.000, die in diesem Jahr neu in das mit 17 Millionen Menschen bevölkerungsreichste Bundesland zogen, sind 4.000 zuviel. An den unangepaßten Roma eskaliert der Konflikt um die Flüchtlinge. So wurde der Ruf der Kommunen nach dem starken Arm der Landesregierung in den letzten Wochen immer lauter.

Und blieb nicht ungehört. Die nächste Verschiebestation für die Flüchtlinge, die niemand haben will, heißt Staumühle. Der umzäunte Barackenkomplex auf dem Nato-Truppenübungsplatz Sennelager bei Paderborn dient normalerweise als Unterkunft für Soldaten im Manöver. Bis Ende Juli lebten in dieser, vom Bund verwalteten Außenstelle des Aufnahmelagers Friedland Aussiedler. Jetzt will das Land NRW die Regie in Staumühle übernehmen, um möglichst bald eine sogenannte „Gemeinschaftsunterkunft“ für Asylbewerber zu schaffen. Noch im Dezember letzten Jahres hatte die Landesregierung Staumühle als Notunterkunft für Aussiedler abgelehnt. Die Bedingungen dort, so Sozialminister Hermann Heinemann (SPD) damals, seien „nicht menschenwürdig“.

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