: Short Stories from America
■ Irak: Cui bono?
VON MARCIA PALLY
Natürlich mache auch ich mir Sorgen über den Nahen Osten. Wenn ich schon in Rauch aufgehen muß, dann möchte ich wissen, warum - vor allem, wenn ich das Würstchen bin, das auf dem Rost liegt. Die Iraker haben chemische Waffen, die Israelis haben Atomwaffen. Wenn es einen Grillabend gibt, dann möchte ich wissen, wer das Steak kriegt. Und ich möchte wissen, wer die Runde schmeißt.
Die Ölgesellschaften sind es nicht, das wäre zu offensichtlich - obwohl Iraks neue Liebe zu Kuwait die Ölpreise hochgetrieben hat und Wörter wie „Valdez“ und „Ölschwemme“ aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Mehr noch: Auch Wörter wie „Steuererhöhung“, die man noch im letzten Monat aus Bushs Mund vernehmen konnte, scheinen die Zeitungen nicht mehr zu interessieren. Welcher patriotische Amerikaner kann sich noch beklagen, wenn es einen Krieg gibt, für den Truppen (und also Geld) benötigt werden? Bush, der im Vergleich zu dem Irren aus Bagdad wie ein Held anmutet, hat nicht schlecht gearbeitet bei diesem Wüstenballett. Das gleiche gilt für die Waffen- und Munitionsfabrikanten, die eine neue Chance brauchten. Ihnen soll es ja nicht so gut gegangen sein, seit der kalte Krieg lau geworden und der Handel mit dem Iran und den Contras auf den Nullpunkt gefallen ist. Jetzt verstehe ich, wo sie nach neuen Kunden gesucht haben.
Noch vor ein paar Wochen stellte die McDonnell Douglas Missile Systems Company ihr neues Business Lines Alternative Strategy Team (BLAST) vor, das „in einer Zeit, wo der Raketenmarkt durch die Ausbreitung des Weltfriedens nachläßt, neue Verdienstmöglichkeiten für das Unternehmen suchen soll“. Der Irak ist mit seiner großen Armee ein Hauptziel für Rüstungslieferanten. Die irakischen Streitkräfte sind nämlich größer als die von Grenada und Panama zusammen, versichert die Presse den Amerikanern Tag für Tag. Der einzige Haken für Waffenverkäufe in den Irak war, daß der Irak - seit er mit seinen offiziellen US-Waffen Irans inoffizielle US-Waffen bekämpfte - keinen Krieg mehr hatte. Kein Krieg, keine Waffenverkäufe. Daher Kuwait.
So wahrscheinlich es ist, daß die Rüstungsfabrikanten dem nahöstlichen Pulverfaß die Lunte reichten: Ich habe auch die Alkohol- und Musikindustrie im Verdacht. Ein Riesen-PR-Coup. Und das geht so. Obwohl Saddam Husseins Pressereferat drei oder vier Tage brauchte, um sich zu erinnern, daß der Irak bei der heftigen Umarmung Kuwaits eine heilige islamische Pflicht erfüllte, dürfte es die Welt inzwischen davon überzeugt haben. Solche vorbildliche Haltung wird den Islam im Kampf gegen die Ungläubigen weiter beflügeln. Die Verteidigung der islamischen Werte wird die Prohibition und das Verbot westlicher Musik nach sich ziehen. Je verbotener aber eine Frucht ist, desto begieriger wird danach gelangt. Mit den Restriktionen kommt der schwarze Markt. Bei christlichen Fundamentalisten hat das schließlich auch funktioniert (man braucht nur an die Schlangen vor den Pornokinos und Mapplethorpe-Ausstellungen zu denken und an das wegen angeblicher Obszönität angegriffene neue Album der 2LiveCrew, das sich inzwischen 2,5millionenfach verkauft hat). So wird der Martini, den bisher nur amerikanische Zahnersatzvertreter im Bagdad-Hilton schlürften, zum Stoff für rebellierende Jungtürken. In den letzten zehn Jahren ist der Alkoholkonsum in den USA zurückgegangen. So kann man den Werbeleuten von Jim Beam und Gorbaciov-Wodka (zu irgendwas muß Glasnost ja gut sein) nur gratulieren.
(A propos PR: Wenn Bush seinen neuerworbenen Heldenruhm halten will, sollte er die Leute von Jim Beam und Gorbaciov engagieren. Oder eben die PR-Mannschaft der Iraker, die schließlich auch einen Slogan für die irakischen Truppen auf „heiliger islamischer Mission“ gefunden haben. Und welche Worte gibt Bush seinen Männern mit? „Öl!“ ist halt keine so vornehme Losung wie „Go west, young man“ oder „Rule Britannia“. Wir können auch schlecht behaupten, daß wir antreten, die saudi-arabische oder kuwaitische Demokratie zu retten - da ist keine Demokratie. Bleibt „Free Fahd!“ - aber Wörter mit F sind in Amerika immer problematisch.)
Nicht nur Republikaner wie die Alkohol- und Waffenfabrikanten profitieren allerdings von der Annexion Kuwaits - auch für die Demokraten hat sie sich ein bißchen gelohnt. Seit 45 Jahren hatten sie keinen Krieg, den sie guten Gewissens unterstützen konnten. Nach soviel Antikriegs -Antiatom-Rettet-die-Wale-Ozon-Regenwald-Demos ist das einfach mal eine erfrischende Aggressionsabfuhr. Die Psychoanalytiker klagen schon.
Vom liberalen Standpunkt aus gesehen fällt mir noch ein anderer Nutznießer ein: die irakische Frauenvereinigung. Experten der National Defense University in Washington berichteten neulich, daß der Einsatz der irakischen Männer im Iran-Irak-Krieg den Frauen unverhoffte Freiheiten in Bildung und Arbeit verschafft hat. 25 Prozent der irakischen Arbeitskraft sind weiblich, damit gehören die Irakerinnen zu den modernsten Frauen der arabischen Welt. Natürlich hat die irakische Frauenorganisation keinen Pfennig Geld und kann also nicht zum Kuwaitfeldzug beigetragen haben - die Unterstützung muß von Industrien gekommen sein, die von modernen, materiell eingestellten Mädchen profitieren: Rock'n'Roll (s.o.) und Jeans. Levi Strauss, Calvin Klein, Ralph Lauren - man weiß ja, wem die gehören...
Es ist nur eine Frage der Zeit, sagte mein Onkel Morris vor ein paar Tagen, bis eine Verschwörung des jüdischen Kapitals verantwortlich gemacht wird. ***
Ich hätte eine Lösung für den Irak. Drauf gekommen bin ich durch die vielen Vergleiche zwischen Hitler und Hussein in der amerikanischen Presse. Die 'New York Times‘ befragte die Amerikaner kürzlich, ob sie diesen Vergleich fair finden. Über die Hälfte der Befragten bejahten die Frage.
Parallel zur Golfkrise machte ein Skandal in der amerikanischen Schauspielergewerkschaft von sich reden, der dem Nahen Osten nützen könnte. Durch einen Quotierungsbeschluß wurde dem Schauspieler Jonathan Pryce, einem Engländer kaukasischer Herkunft, verboten, die Rolle eines Eurasiers in dem Musical Miss Saigon zu spielen, dessen Premiere bevorsteht. In dem Bemühen, auch Minderheiten zu Rollen zu verhelfen, bestand die Gewerkschaft auf dem Engagement eines Asiaten. Miss Saigon hat durch Kartenvorbestellungen schon jetzt 25 Millionen Dollar eingebracht, garantiert dem Hauptdarsteller also internationalen Starruhm.
Angesichts der Proteste gegen umgekehrten Rassisimus und der moralischen Pflicht, Stücke nach Talent, und nicht nach politischen Richtlinien zu besetzen, hat die Schauspielergewerkschaft ihre Meinung doch noch geändert. Mr. Pryce darf in Miss Saigon am Broadway mitspielen. Ich glaube, die Gewerkschaft hat eine Chance auf den Weltfrieden vergeben. Hussein muß seine Kriegsschulden bezahlen (80 Milliarden Dollar und ein paar zerquetschte) und möchte offensichtlich ein asiatischer Hauptdarsteller sein. Die Gewerkschaft hätte ihn engagieren sollen. So wäre das Minderheitenproblem gelöst - und wieviel Ärger wäre der Welt erspart geblieben, wenn die Kunstschule den Adolf damals aufgenommen hätte.
Aus dem Amerikanischen von Thierry Chervel IRAK: CUI BONO?
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