: Stromschläge auf der Bühne
■ Das aber nun wirklich allzu kurze Gastspiel der Pixies im Tempodrom
Es hätte so ein schöner Tag werden können für Black Francis und seine Pixies. Nachmittags war er auf dem Motorrad durch Berlin gefahren und hatte sich auch gleich noch ein Fahrrad gekauft. Man war guter Laune zum Start der Deutschlandtournee.
Doch dann kam das Wasser. Nicht Regenwasser, Schwitzwasser hat den Gig der Pixies am Freitag im Tempodrom zu einem Stromschlagexperiment umfunktioniert. Die über 3.000 Fans transpirierten so stark, daß sich das Kondenswasser unter der neuen Zeltplane, die extra dicht ist, sammelte, zu einem Rinnsal zusammenlief und, dem unerbittlichen Gesetz der Schwerkraft folgend, treffsicher in die Verstärker floß. Über die Kabel verbreiteten sich von dort kleine, doch wirksame Stromstöße in die Finger der Gitarren- und Baßbediener. Das alles hätte verhindert werden können durch die Benutzung kabelloser Verbindungen, die die Pixies aber anscheinend bis jetzt nicht besitzen und auch nicht gebraucht haben. So jedenfalls lautete die Begründung des Veranstalters Loft für den hektischen Konzertabbruch nach knapp einer Stunde.
Auch für das unentschuldbare Fehlen einer Erklärung an das wütende Publikum, dessen Pfeifkonzert fast genauso lange dauerte, wie die Pixies spielten, hat das Loft eine Erklärung parat. Der Besitzer der Beschallungsanlage habe diese aus Angst vor weiteren Kurzschlüssen sofort nach Ende des Konzertes abgeschaltet und sich beharrlich geweigert, sie wieder in Betrieb zu nehmen. So mühte sich denn eine einsame Gestalt ohne Mikro ab, den Sachverhalt des vorzeitigen Konzertabbruchs zu erklären. Das zu Recht erboste Publikum - der Eintritt betrug immerhin 29 DM brüllte den Mann nieder, man verstand kein Wort.
Die entnervten Pixies gaben den Besuchern in ihrem letzten Song noch den wohlgemeinten Rat, morgen doch zum Konzert nach Hamburg zu kommen, dort würden sie doppelt so lang spielen. Ansonsten versprachen sie, auf der nächsten Tour in Berlin zu einem Sonderpreis ein extra langes Konzert mit allen Zugaben zu bringen, sie sie je gespielt haben.
Abgesehen von diesen Widrigkeiten zeichnete sich der Auftritt durch zu große Lautstärke, breiigen Sound und durch eine unvorteilhafte Beleuchtung der Musikkörper ausschließlich von hinten aus. Bei dem dicklichen Black Francis, bürgerlich Charles Thompson, mag das noch gerechtfertigt sein, bei der auch von vorn recht hübschen Bassistin Kim Deal ist dies ein Betrug am Wähler.
Die Pixies sind nicht „The Jesus & Mary Chain oder Sonic Youth, zu deren genialen Gitarrenschleifen dieses Licht passen mag. Und auch nicht Bob Dylan, der sich bei Konzerten aus Angst vor seinem eigenen Konterfei weder be- noch ablichten läßt. Die Pixies sind eine verdammte Popband, und dazu sollten sie sich langsam auch bekennen. Da nützen keine verschrobenen Textbotschaften, die Black Francis der willigen Musikjournaille zur Interpretation vor die Füße wirft. Auch keine intelligente Erklärung für eine Namenskreation wie „Velouria“: „Der Titel kommt aus der Welt der Textilfasern. Ich hatte diesen Song 'Victoria‘, aber es schien mir schwer, mit so einem Titel davonzukommen. Zuviel Kinks. Also dachte ich mir 'Velouria‘ aus, ein Sci-fi-Space -Girl, in weichen Stoff gehüllt“ (Francis in 'Spex‘ 8/90).
Black Francis ist ein Schwätzer, und das weiß er auch. Deshalb sagt er auf der Bühne lieber gar nichts, was ihm einige dann als Arroganz anrechnen. Francis ist nicht mehr der naive Junge, der vor zwei Jahren im Loft den Putz von den Wänden schrie. Er ist der Halberwachsene, der seine Gitarre beiläufig wie eine Plastiktüte trägt. Der dem Volk einen Hit wie Here comes your man als schimmliges Brot verkauft. Der kleine Melodieriffs mit sich herumschleppt, die dann im Konzert, als Songs verdünnt, aus seiner Gitarre quellen, Songs, zu denen man nicht tanzen, sondern nur in sich hinein nicken kann - Kopf runter, Kopf wieder rauf. Der wie sein Publikum unter einem ständigen Überdruck steht, den er nicht zu kanalisieren weiß. Bis die Musik seinem Körper entweicht wie einem Dampfkessel.
Und Black Francis ist auch der kleine Banddiktator, den die anderen Chef spielen lassen, um nicht mit ihm diskutieren zu müssen. Als er von Boston nach Los Angeles zog, zwang er die Band einfach, mitzuziehen. Sagt er.
Die Pixies werden mit jeder Platte und jedem Konzert massenwirksamer. Sie sind immer noch „independent“, was heute weniger denn je aussagt. Wer trendy sein will, sollte sich langsam von ihnen abwenden und seinen Freunden eine Neuentdeckung auftischen. Die anderen bleiben den Pixies noch ein wenig treu.
Andreas Becker
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