: Spike Lee, gezähmt
■ Biennale Venezia: „Mo' Better Blues“ enttäuschend
Spike Lee übertreibt. Wenn es regnet, dann ist es die Sintflut. Bei Schlägereien fließt das Blut in Strömen, in Nahaufnahme und in Zeitlupe. Wenn sich zwei streiten, sind's im Nu zehn, und alle reden immer gleichzeitig und viel zu schnell. So viele Flüche, Four-Letter-Words, Sexismen, Chauvinismen und Rassismen gab's nicht mal in Do the right thing. Als der Protagonist am Ende Ehemann und Vater wird, arbeitet Lee nicht etwa mit dem in solchen Fällen üblichen Insert — „Fünf Jahre später“ — und präsentiert dann die glückliche Familie, sondern zeigt Hochzeit, Geburt, den Säugling, den Einjährigen, den Zweijährigen etc. — bis zum ersten Schultag im Schnelldurchgang. Das Ganze dauert nichtmal einen Jazz-Song lang, und die Geburt ist echt. Selbst die Songtitel sind zu lang: Pop Top 40 R&B Easy Listening Funk Love heißt einer. Wieder ein Film für Rap-Fans.
Aber Mo' Better Blues handelt vom Jazz. Vom Jazz als schwarze Musik, die von Weißen gehört wird, und an der Weiße viel Geld verdienen. Der Soundtrack von Mo' Better Blues ist Miles Davis und John Coltrane und Charles Mingus, die Geschichte ist die des Jazz-Trompeters Bleek Gilliams (Denzel Washington): Ein Genie, das nur an seine Musik denkt und dessen Egoismus ihn in eine private und künstlerische Krise stürzt, bis er am Ende eine seiner beiden Freundinnen — die schwärzere von beiden — heiratet und ein friedliches Familienleben führt.
Er wollte den Jazz entmystifizieren, sagt Spike Lee. Eine Hommage ja, aber kein Märchen. Keine Helden, keine nostalgische Jazz-Club- Atmosphäre. Natürlich steht Lee auf der Seite der Schwarzen, aber sie sind nicht sympathisch. Sie werden zwar ausgebeutet und zusammengeschlagen, aber sie sind keine hilflosen Opfer. Lee selbst spielt Bleeks Manager, der der Spielsucht verfallen ist und wegen seiner Schulden fast zum Krüppel geschlagen wird.
Man hat Lees Film vorgeworfen, er arbeite mit Stereotypen. Lee hält dagegen, er zeige die Verhältnisse so, wie sie waren. Was die Fakten angeht, zum Beispiel die Tatsache, daß die ausbeuterischen Club-Besitzer meist Juden waren, mag er recht haben. Ansonsten ist sein Film alles andere als realistisch. Zwar wurde in Harlem und Brooklyn gedreht, aber Dekors und Kostüme könnten aus den 30er, 50er oder 80er Jahren stammen: ein künstlich zeitloses Ambiente, extrem stilisierte Bilder.
Der Anfang suggeriert Science- Fiction-Atmosphäre: Die Kamera umkreist ein längliches Gebilde, das sich geheimnisvoll im Halbdunkel dreht, mit gigantischen Ausbuchtungen und einem trichterförmigen Ende — die Trompete. Großaufnahmen von den Lippen am Mundstück, von Klappen und Dämpfern in verfremdeten Farben — Lee erzählt die Geschichte des Jazz mit den ästhetischen Mitteln von Werbespot und Videoclip. Ein gewagtes Experiment.
Schade nur, daß das Ergebnis von vornherein feststeht: Der Jazz ist und bleibt schwarze Musik. Am Ende steht wieder ein schwarzer Junge im Wohnzimmer und übt Trompete, obwohl er viel lieber Baseball spielen will. Ein versöhnlerischer Schluß: Schwarze bleiben am besten unter sich. Das Ende von Do the right Thing zeigte das Scheitern jeglicher Versöhnung zwischen Schwarzen und Weißen und plädierte dennoch dafür. Hat Spike Lee resigniert? Chp
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