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'Spiegel'-Chef soll im RAF-Prozeß aussagen

■ Die Verteidiger im Prozeß gegen Luitgard Hornstein stellen ein Dutzend neuer Beweisanträge/ „RAF-nahes Schriftmaterial“ im Visier

Stuttgart (taz) — Daß der „militärisch-industrielle Komplex“ (MIK) und die „militärische Forschung“ Mitte der 80er Jahre Themen einer breiten Diskussion in linken, alternativen aber auch in bürgerlichen Kreisen war, soll unter anderem mit einem von einem Dutzend neuer Beweisanträgen nachgewiesen werden, das die Verteidigung am vergangenen Verhandlungstag im Stammheimer Prozeß gegen Luitgard Hornstein vorlegte. Die von den Behörden in den Düsseldorfer Wohnungen von Christian Kluth und Luitgard Hornstein gefundenen Flugblätter und Broschüren hatte schon der fünfte Strafsenat in seinem Urteil im Juni 1988 als „RAF- nahes Schriftmaterial“ eingestuft. Verteidiger Martin Heiming hält dem entgegen, daß MIK, Eureka und militärische Forschung „nicht fiktive anschlagsrelevante Themen waren, sondern zentrale Punkte der damaligen breiten Diskussion „jenseits der 'Bild‘-Zeitung“ darstellten. Um dies zu beweisen, haben die Verteidiger verschiedene Gutachten und die Zeugeneinvernahme renommierter Sozialwissenschaftler und Publizisten beantragt. Bekannte Namen wie Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein, Prof. Normann Paiech von der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik und Dr. Peter Lock, der Geschäftsführer der Berghoff-Forschungsstelle für Konfliktforschung finden sich darunter.

In einem weiteren Antragskomplex sollen die Widersprüche in den Aussagen von Zeugen geklärt werden, die Andrea Sievering wenige Tage vor und Luitgard Hornstein fünf Tage nach dem Sprengstoffanschlag am Bodensee gesehen haben wollen. Daß die Zeugen sich von Prozeß zu Prozeß, von Aussage zu Aussage immer facettenreicher an Details erinnern, könnte, so vermuten die Hornsten-Anwälte, daran liegen, daß sie unter dem Erfolgsdruck einer früher ausbezahlten Belohnung gestanden haben könnten. Um aufzuklären, ob und wann den Zeugen für ihre sachdienlichen Hinweise eine „Entschädigung“ zeugesprochen wurde, soll das Gericht den Sitzungsvertreter der Bundesanwaltschaft (BAW) Curil in den Zeugenstand rufen. Der hatte nach einer der stereotypen Erklärung, den jeweiligen Beweisantrag der Verteidigung als „sachlich und rechtlich für das Verfahren ohne Bedeutung“ zurückzuweisen, erklärt, daß die RAF an ihrer Auffassung festhalte, Luitgard Hornstein sei Teil einer kämpfenden Einheit der RAF. Daß zwei andere Mitglieder dieser vorgeblichen kämpfenden Einheit, Andrea Sievering und Erik Prauss — beide inzwischen rechtskräftig zu jeweils neun Jahren wegen RAF-Mitgliedschaft verurteilt —, seit der Verhaftung von Luitgard Hornstein und Christian Kluth am 2. August 1986 bis zu ihrer eigenen Festnahme unter ständiger Beobachtung des Verfassungsschutzes standen, sollen die Präsidenten des Bundesamtes und des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Verfassungsschutz bezeugen. Sollten die Herren des Morgengrauens in dieser Zeit keine Hinweise auf RAF-Mitgliedschaft oder -unterstützung festgestellt haben, so hatten sich Prauss und Sievering — folgt man der Anklage — für ganze zwei Wochen der RAF angeschlossen. Daß dies ganz im Widerspruch zu allen sonstigen Erkenntnissen der Behörden über die Arbeitsweise der RAF steht, hatte auch Eva Haule, erklärtes Mitglied der RAF, als Zeugin klargemacht. Es gäbe keine Teilzeitmitglieder in der Illegalität, so Eva Haule. Und: eine Entscheidung für die Guerilla sei endgültig.

Edgar Neumann

Nächster Prozeßtermin: Donnerstag, 20. September, 9.00 Uhr.

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