: Fiktion und Weltnachrichten: Der Fall Rumänien
■ Auszüge aus einer Diskussion über Robert Dornhelms Rumänien-Spielfilm „Requiem für Dominic“ mit Journalisten, Filmkritikern und Mitgliedern von amnesty international
Requiem für Dominic ist der erste Film über die Ereignisse im Dezember in Rumänien. Der Österreicher Robert Dornhelm hat ihn im Mai in Temeswar gedreht — ein Schnellschuß: kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm. Dominic Paraschiv ist jedoch keine fiktive Person. Die Zeitungen nannten ihn den „Schlächter von Temeswar“, er galt als Securitate-Mann, der in der Fabrik, wo er arbeitete, achtzig Kollegen erschossen haben soll. Paraschiv lag verletzt im Krankenhaus, nackt mit einem Netz ans Bett gefesselt, keiner durfte zu ihm, nur Journalisten. Der französische Reporter Alain Michel filmte ihn am 27. Dezember, wenige Stunden vor seinem Tod. Das Video ist in Dornhelms Film zu sehen. Paraschiv quillt Blut aus dem Mund, und er sagt auf französisch: „Die Wahrheit kann man nicht unterdrücken.“ Ein halbes Jahr später wird er offiziell rehabilitiert: Dominic Paraschiv war nie bei der Securitate, er hat nie jemanden getötet. Er war unschuldig zum Sündenbock gemacht worden; die internationale Presse wollte Täter sehen, also hat man ihr welche präsentiert.
Requiem für Dominic flicht in seine dilettantisch erzählte Spielfilmhandlung — ein alter Freund Paraschivs kommt nach Temeswar und will herausfinden, was tatsächlich geschehen ist — Dokumentarszenen aus Temeswar ein. Das Video im Krankenhaus, Schußwechsel auf der Straße, Demonstrationen, die Verfolgung und Ermordung von vermeintlichen oder wirklichen Securitate-Männern, die verstümmelten Leichen von Männern, Frauen und Kindern. Entsetzliche Bilder, die hier keine Fernsehanstalt gezeigt hat. Bilder, von denen man oft nicht weiß, ob sie manipuliert sind. Dornhelm geht fahrlässig mit ihnen um. Nicht, weil er sie zeigt, sondern weil er sich offenbar nicht im klaren ist über die Brisanz seiner Mischung aus Fiktion und Dokument. Eben noch zwanzig Leichen, und dann ein paar schlechte Schauspieler, die Straßenkampf simulieren. Die authentischen Bilder geben seinem Film den nötigen Nervenkitzel, aber der Wahrheitsfindung dienen sie nicht. Man erfährt nur, daß die Lage unklar ist in Rumänien, und selbst das erfährt man auf unklare Weise. Die im Film fehlende Auseinandersetzung mit der Macht der Bilder wurde während der Biennale in einer Diskussion nachgeholt.
Ruggero Orlando (Filmkritiker): Wir haben im Film ein Massaker gesehen, wir haben gesehen, wie ein Unschuldiger zum Monster gemacht wurde. Was mir gefehlt hat, war die Frage nach den wirklich Verantwortlichen für das Massaker. Wurden sie bestraft?
Robert Menard (Präsident der französischen Organisation „Reporter ohne Grenzen“): Die Frage ist nicht, wer für das Massaker verantwortlich war, diese 80 Toten hat es nie gegeben. Es hat in Rumänien keine 60.000 Toten gegeben. Die offizielle Bilanz sind 689 Tote.
Wie war es möglich, daß diese Lügen verbreitet werden konnten? Das hat zum einen zu tun mit der Art, wie Journalismus funktioniert. Die ausländischen Journalisten, die in Rumänien waren, sahen, was sie sehen wollten: eine gewaltfreie Revolution, keinen gewaltsamen Regierungssturz. Der zweite Grund waren die rumänischen Journalisten: Sie waren nicht daran gewöhnt, auf die Wahrheit Wert zu legen. Kollaboration und Feigheit waren in Rumänien besonders verbreitet. Um die Mitschuld an dieser 40jährigen Unterdrückung wiedergutzumachen, wurde die Schuld der anderen übertrieben.
Den westlichen Journalisten muß man aber in jedem Fall vorwerfen, daß sie ihre Quellen nicht verifiziert haben. Der Wunsch nach Sensationen und der Wettbewerb zwischen den Fernsehanstalten, der zur Schnelligkeit zwingt, verhindert das. Sie wollen nur lebende Bilder, Direktübertragungen, sie analysieren nicht die Situation. Der Fall Rumänien zeigte die Grenzen des Mediums.
Chantal de Casabianca (Pressesprecherin von amnesty international, Frankreich): Die Tatsache, daß wir nicht wissen, auf welche Information wir uns verlassen können, erschwert unsere Arbeit ungeheuer. Ein andere Methode der Manipulation ist das Zurückhalten von Nachrichten. Zum Beispiel Panama. Die Invasion der amerikanischen Truppen war ja zur gleichen Zeit wie der Umsturz in Rumänien. Aber anders als von Rumänien sahen wir keine Bilder von den Kämpfen in Panama. Die Amerikaner haben offenbar aus ihren Erfahrungen mit Vietnam gelernt, von der Tatsache, daß sie diesen Krieg nicht in den Reisfeldern Vietnams verloren haben, sondern auf den amerikanischen und europäischen Fernsehbildschirmen.
Antonia Rados (österreichische Journalistin, sie spielt im Film sich selbst): Ich habe Angst, daß das Pendel jetzt zur anderen Seite ausschlägt. Erst haben alle von Revolution in Rumänien geredet, jetzt soll auf einmal nichts gewesen sein. Ich stimme nicht darin überein, daß Journalisten über Kämpfe berichtet haben sollen, die es nicht gegeben hat. Die Fakten sind doch: Es gab viele Tote in Rumänien, Dominic Paraschiv war nur einer von ihnen, und es waren in jedem Fall mehr als 689. Jetzt zu sagen, alle Nachrichten über die ersten zwei Wochen des Umsturzes seien Lüge, ist außerdem gefährlich. Ich denke auch, es war ein Staatsstreich, aber Temeswar war keine Medienshow, sondern blutige Realität. Und weil es keine Revolution war, geht die Manipulation ja weiter. Das Problem ist heute dasselbe wie im Dezember.
Gideon Bachmann (Filmkritiker): Kommen wir zum zweiten Teil der Diskussion, zur Frage nach Filmen, die sich mit Weltnachrichten befassen. Bernardo Bertolucci hat einmal gesagt: Jede Fiktion ist dokumentarisch. Humphrey Bogart ist die authentische Verkörperung seiner Epoche. Man sollte hinzufügen: Und jede Dokumentation ist Fiktion.
Callisto Cosulich (Filmkritiker): Ich stimme Bertolucci zu. Man könnte sogar sagen, daß der Dokumentarfilm mehr Fiktion enthält als der Spielfilm. Man denke nur an den Nationalsozialismus und an den Film, der dem Internationalen Roten Kreuz über Theresienstadt gezeigt wurde: Der Führer schenkt den Juden eine Stadt. Die Häuser wurden frisch gestrichen, die Juden schön angezogen. Und der Regisseur des Films kam später, wie die andern, nach Auschwitz.
Aber auch Spielfilm manipuliert. Zum Beispiel während des Kalten Krieges. Wer erzählte da über wen größeren Unsinn: die Amerikaner über die Russen oder die Russen über die Amerikaner? Umgekehrt gibt es inzwischen Spielfilme über den Kalten Krieg, es gibt amerikanische Filme über den Vietnamkrieg, und es gibt deutsche Filme über die Nazizeit.
Gideon Bachmann: Kino ist das ideale Medium für Lügen. Kein Film entkommt dieser Zwickmühle. Es ist eine exzeptionelle Versuchung. Film, auch die Fernsehreportage, konfrontiert nie direkt mit den betroffenen Personen. Die Kommunikation ist immer indirekt, vermittelt. Aber das Medium suggeriert die Direktheit. Man wird zum Propheten, spricht als einzelner zu den Massen. Und der Regisseur ist der, der der Versuchung am meisten ausgesetzt ist.
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