Sex, Crime, Kohl

■ Ex-SED-Verlag gründet weiter

Ich bitte Sie um Nachsicht und entsprechendes Wohlwollen« — mit diesem Herzensanliegen begrüßte Günter Fiebig die Anwesenden. Schließlich habe er keinerlei Erfahrungen mit Pressekonferenzen. Und vermutlich hat er auch zum ersten Mal einen Verlag gegründet. Denn genau darum ging es Ende letzter Woche im Literaturhaus Pankow: Ungeachtet der miesen Situation für Verlage zumal im Osten hat eine neugegründete GmbH ein Ei gelegt, aus dem dereinst ein prächtiger Reiher heranwachsen soll. Weil Reiher als besonnen gelten, die aufgehende Sonne, Glück und Gedeihen symbolisieren und obendrein gerecht sind, sah man im Familiennamen eines der fünf Gesellschafter ein gutes Omen und erhob ihn zum Verlagsnamen und Emblem. Immer wieder betonen die fünf Privatpersonen ihren Wagemut, mit dem sie scheinbar jeglicher marktwirtschaftlicher Vernunft trotzen. In Wirklichkeit aber ist zu 70 Prozent der Dietz-Verlag, neulich noch SED-Ideologie-Verbreitungseinrichtung, mit im Geschäft. Aber für Geschäftsführer Fiebig sei weniger ausschlaggebend gewesen, mit dem Reiher- den Altlasten des Dietz- Verlags zu entfliegen, als mit dem Unterhaltungsprogramm des neuen die Abgrenzung zum alten inhaltlich zu verdeutlichen. Auf anderem Gebiet ist die Abgrenzung bislang nicht möglich, schon gar nicht gewünscht: In der Verwaltung, der Technik, dem Vertrieb, der Logistik, der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit kommt der Reiher-Verlag mit seinen drei Lektoren und insgesamt acht Mitarbeitern noch nicht ohne die Hilfestellung des Altverlags aus.

Erstes, schon gedrucktes, Buch ist ein Reisebericht über eine sechswöchige Jerusalemreise. Folgen werden bis zum Jahresende noch weitere 23 Titel. Hervorgehoben wird die Buchserie über die DDR-Gerichtsbarkeit des Gerichtsreporters Rudolf Hirsch, wohl weniger in Sachen Geschichtsaufarbeitung, sondern wegen der Aussicht auf gute Verkaufsergebnisse. Ansonsten gibt es nämlich eine eigene Abteilung »Bewältigungsliteratur«. Geplant ist hier, DDR-Autoren Gelegenheit zu bieten, ihre Erfahrungen mit der DDR-(Kultur-)Politik zu schildern. Ferner gibt es die Bereiche »Länder und Sitten«, »Kids« und »Satire/Humor/ Cartoons«. Unter dem Arbeitstitel »Protokoll« findet sich auch ein Band mit Eigenberichten von Lesben in der DDR, eine Reihe mit Berichten und Reportagen über das, was der Verlag als »Randgruppen« bezeichnet. Geplant ist auch ein Buch über Suizidgefährdete. Tragende Säule in diesem Programm der »pragmatischen Vielfalt« wird die Kriminalliteratur werden. Nebst der Brücke, die zwischen Ost- und Westkrimi geschlagen werden soll, bietet das viermal jährlich erscheinende Krimimagazin 'Underground‘ einen Überblick über die internationale literarische Delinquenz.

Verschämt geschwiegen wurde allerdings über das kleine Büchlein, das in so dezent-bescheidenem Braun neben den Vorentwürfen für die Ausgaben mit Kohl- und DDR- Witzen liegt. Kleiner Auszug aus der Pressemappe: »Als sie neugierig mit einem Auge hinüberschielte, erschrak sie nicht wenig über das kampfgewaltige Rüstzeug, das sich an seiner Leibesmitte kerzengerade emporreckte, und wohlige Schauer rieselten ihr über den Rücken. ‘Nein, so etwas!‚ murmelt sie vor sich hin. ‘Ich hätte nicht gedacht, daß dieser junge Kerl ein solch prächtiges Kapital besitzt!‚ Als sie seine regelmäßigen Schnarchtöne vernahm, wollte sie wieder fortgehen, doch dann verhielt sie den Schritt und überlegte: Was macht der hier wohl so alleine in diesem Aufzug?« Sex, Crime und Kohl — was will man mehr. Petra Brändle