: „Wir sind und bleiben eine Oppositionspartei“
Auf die Übertritte zur Linken Liste/PDS reagieren die Grünen nicht mit praktizierter Kriseneindämmung und mit Wahlkampfpragmatismus/ Auf dem bevorstehenden Parteitag wird ein „Mitleidseffekt“ für die Linke erwartet ■ Aus Bonn Gerd Novakowski
Parteiaustritte treiben die Grünen um. Für den bevorstehenden Parteitag, der dieses Wochenende in Bayreuth stattfinden wird, steht dazu kein Wort. Unausgesprochen stehen „Befriedung“ und „Stillhalten“ auf dem Programm. Zu den Austritten und dem unverholenen Flirt einzelner Funktionäre mit der Linken Liste/PDS gebe es keinen „Diskussionsstoff“, versichert Vorstandssprecherin Heide Rühle. Zur Auseinandersetzung mit der Konkurrenz aus Linker Liste/PDS sieht die Parteiführung sich nicht genötigt, auch wenn die Mitglieder mit bundesweit entstehenden Ortsgruppen konfrontiert wird, grüne Funktionäre zur Wahl der Gysi-Truppe aufrufen, die Öko-Partei verlassen oder direkt bei der Linken Liste/PDS mitarbeiten. In Nordrhein-Westfalen konnte die PDS-Werbung in der Mitgliederzeitschrift der Grünen nur mit Hilfe der vorrübergehenden Einstellung des Organs unterbunden werden. Debattiert wird auf dem Pareitag lediglich über die in der Partei weithin verurteilten Äußerungen der Aufbruch- Sprecherin Antje Vollmer und der beiden Fraktionsmitarbeiter Bernd Ulrich und Udo Knapp zur künftigen Weltmachtrolle Deutschlands. Diese Äußerungen kamen den Dissidenten zupaß, um sich mit Hinweis auf den Rechtsruck zu verabschieden oder doch wenigstens in den Schmollwinkel zurückzuziehen.
Burgfrieden oder inhaltliche Zuspitzung
Die Parteitagsregie zielt nun darauf, die Herausforderung, die durch die Existenz der Linken Liste/PDS entstanden ist, mit Geschlossenheit zu beantworten und angesichts der bevorstehenden Wahl jede innerparteiliche Auseinandersetzung zu vermeiden. Nur einige wenige bedauern hinter vorgehaltener Hand, daß zu wenig Linke gegangen seien. In fast allen Lagern wird dagegen betont, die Austritte hätten keine Bedeutung für die Kräftsverhältnisse der Partei.
Diese Ansicht teilt auch der ins Aufbruch-Lager gewechselte Realo Udo Knapp, wegen seiner Äußerungen zum Einsatz deutscher Truppen am Golf derzeit im Zentrum der Kritik. Die Partei bleibe trotz der Austritte fest in der Hand der Linken. Den Grünen gibt er als linke Partei neben PDS und SPD keine Chance — einer von ihm gewünschten Wandlung der Grünen zu einer ökologischen Bürgerrechtspartei, die als „offene grüne Volkspartei“ die Erfahrung der osteuropäischen Bewegungen mit den Problemstellungen einer nachindustriellen Gesellschaft verbinden müsse, gesteht er deshalb auch selbst nur geringe Durchsetzungsmöglichkeiten innerhalb der Grünen zu. Knapp argwöhnt eine „Arbeitsteilung“ zwischen Dissidenten und Zurückbleibenden, welche die Grünen mit einer „Schamfrist“ doch noch zu einem „Oppositionsbündnis“ mit der Linken Liste/PDS treiben wollen. Der Mitarbeiter der Bundestagsfraktion fordert deshalb, die Konflikte „inhaltlich offensiv zuzuspitzen“ und wirft insbesondere den hessischen Realos vor, sie betreiben eine fatale „Befriedungspolitik“ gegenüber der Linken. Knapp formuliert den Zwang, die grüne Partei — in Anbetracht der Niederlage des realen Sozialismus — zu verändern, am deutlichsten. Doch seit der schweren Niederlage des Aufbruchs, der einstigen Mittelströmung der Grünen, auf dem Dortmunder Parteitag im Juni findet diese Gruppierung zusehends weniger Unterstützung. Zu viele argwöhnen, bei der „ökologischen Bürgerrechtspartei“ bleibe die soziale Komponente der Grünen außen vor. Es hat freilich den Anschein, als ob auch Antje Vollmer inzwischen bedauert, durch die von ihren Mitdenkern Knapp und Ulrich zugespitzten Überlegungen zur Weltmachtrolle Deutschlands jeden Bewegungsspielraum eingebüßt zu haben.
Die Bereitschaft der Grünen, die Herausforderung der zumindest kurzfristig bestehenden Attraktivität der Linken Liste/PDS als einer paradoxen Folge des Zusammenbruchs der DDRlismus zu begreifen, ist in der Partei gering ausgeprägt. Undiskutiert bleibt auch, daß einige der Abgewanderten, wie der Hamburger Michael Stamm und das ehemalige Mitglied des Bundesvorstands Jürgen Reents, im Frühjahr nur knapp damit gescheitert waren, die Grünen in ein Oppositionsbündnis mit der PDS zu drängen. Stattdessen beherrscht der Wunsch nach einer Eindämmung des Problems die Parteimehrheit, bei der sich neue Koalitionen bewähren. So sieht Hubert Kleinert, hessischer Realo-Vorsprecher, auf Dauer keine Bedrohung durch die neue Konkurrenz, fürchtet aber kurzfristig schmerzhafte Stimmenverluste, die sich fatal auswirken könnten. Er bekennt deshalb, „schnöder Pragmatiker“ zu sein. Die Grünen hätten sicher einen Nachholbedarf, das Scheitern des Sozialismus aufzuarbeiten, aber kurz vor der Wahl habe man „besseres zu tun“. Der für eine dritten Bundestagsperiode nominierte Kleinert wendet sich klar gegen einen Kurs, die Linken herauszudrängen oder das Profil zu verändern und plädiert für eine unveränderte „Gemengelage“ der Strömungen. Entsprechend dieser Linie organisiert er die Konflikteindämmung in engem Kontakt mit dem Sprecher des „Linken Forum“, Ludger Volmer. Der nennt die Parteiaustritte „schmerzlich“ und „menschlich enttäuschend“, zugleich aber auch „irrational und menschlich absurd“, weil weder die Ziele noch die Gründe „triftig“ seien.
Die Einschätzung der Dissidenten und auch des Bundesvorstandes, die Partei hätte einen Rechtsruck vollzogen, nennt er „grundfalsch“; es gebe lediglich um die Vorstandssprecher der Bundestagsfraktion, Antje Vollmer und Willi Hoss eine „neokonservative Strömung“, aufgewertet durch deren Amt. Die Sorge, daß erst die Sogwirkung des Geredes vom Rechtsruck tatsächlich zu diesem Ergebnis führt, bestimmt offenkundig Ludger Volmer. In der Tat haben die letzten Parteitage linke Positionen festgeschrieben und sind zwei der drei SprecherInnen des Bundesvorstands zu den Linken zu zählen. Und auch in der nächsten Bundestagsfraktion werden die Linken voraussichtlich die Mehrheit stellen.
„Falsche linke Politik hat keine Chance“, entgegnet Volmer deshalb auf den Vorwurf der Dissidenten, die Grünen seien nicht mehr der Ort für Linke. „Die halten objektiv den linken Betrieb auf“, urteilt Volmer über jene, die sich vor kurzem noch zum „Linken Forum“ rechneten. „Dämme einziehen“ gegen die PDS und die „Arena des innerparteiischen Streits eingrenzen“, sieht Volmer deshalb — mit Blick auf den 2. Dezember — als vordringliche Aufgabe.
Die irgendwelcher Anfälligkeiten für die gewendeten Realsozialisten der PDS unverdächtige Jutta Ditfurth kann die Austritte verstehen, findet sie aber dennoch falsch. Sie wertet die Übertritte zudem als unverständlichen Wechsel vom „realpolitischen Regen in die sozialdemokratische Traufe“. Als Gastrednerin auf dem PDS-Parteitag begrüßte Jutta Ditfurth deshalb zwar die Konkurrenz, die die Grünen „von links unter Druck setzen“ kann, kritisierte aber zugleich eine fehlende „eindeutige antikapitalistische Position“ und jedes Fehlen von „sozialistischer ökologischer Utopie“. Anders als Ludger Volmer geht sie von einem längs vollzogenen Rechtsruck aus, bei dem nur die Weltmacht-Phantasien der entscheidende Tropfen für die Austretenden gewesen seien. „Die notwendigen Auseinandersetzungen sind noch nicht zu Ende“, beschreibt die bayerische Kandidatin für den Bundestag damit zugleich ihre eigene Perspektive.
Die alten Konflikte über die Rolle der Grünen sind weiterhin spürbar, aber daran rührt niemand. Zwischen dem ausgetretenen baden-württembergischen Vorstandssprecher Dieter Hummel, der den Grünen zum Abschied vorwarf, sie wollten „Gestalter der künftigen Welt statt radikaler Opposition sein“ und der jetzt geäußerten Meinung des bleibenden Bundesgeschäftsführers Eberhard Walde zu den Übertritten, die Grünen „sind und bleiben eine Oppositionspartei“, liegt wenig. Hätte vor kurzem diese Position, die die eigene Marginalisierung festschreibt, zu heftigen Auseinandersetzungen geführt, so bleibt es nun ruhig. Der Bundesvorstand berücksichtigt die labile Gleichgewichtslage und reagiert deshalb fast ausschließlich formal. Die jetzt festgestellte Unvereinbarkeit einer Doppelmitgliedschaft findet deshalb nicht nur Jutta Ditfurth „banal und überflüssig“, weil seit 1980 in der Satzung verankert. Jutta Ditfurth klagt über den „ängstlichen“ Vorstand, der bürokratisch agiere und vor der Rechtsentwicklung die „Hand vor die Augen hält“.
Stärkung der Linken aus schlechtem Gewissen
Lediglich die angebliche „Scheckbuch-Abwerbung“ der PDS zu verurteilen, könne eine politische Antwort nicht ersetzen, befand der Bundesvorstand erst nach eingehender Diskussion. Doch was dem „der-Boden-bricht-uns-weg“-Gefühl (Vorstandsbeisitzerin Maria Haider) in der Partei entgegengesetzt werden kann, bleibt offen. Die Vorstandssprecherin Renate Damus will klarmachen, daß die PDS eine ideologische Partei des 19. Jahrhunderts ohne Bewältigung ihrer stalinistischen Vergangenheit ist; Sprecher- Kollege Christian Ströbele empfielt die verstärkte Debatte mit Dissidenten. Vorstandssprecherin Heide Rühle schwant dagegen, daß durch die verbissene Auseinandersetzung mit der Linken Liste/PDS Wählerstimmen verloren gehen könnten, aber Abtrünnige doch nicht zurückgehalten werden.
Wie sich die Grünen abgrenzen wollen von einer PDS, welche die Grünen zum Zielpunkt eines selbstgezimmerten Sammlungsbündnisses machen möchte und in grüner Programmatik wildert, wird den Flügeln zur Beantwortung überlassen. Im Bundesvorstand wie bei Jutta Ditfurth spielt wohl ein Rolle, daß man trotz der Kritik an der Linken Liste/PDS nicht unfroh ist über die linke Konkurrenz. Renate Damus wünscht sich beispielsweise die PDS ins Parlament, um durch Konkurrenz eine „zu schnelle Verparlamentarisierung“ der Grünen zu verhindern.
Ditfurth hält es für falsch, die PDS zu stigmatisieren und zu verteufeln, weil dies die SED-Nachfolger umso attraktiver mache.
Stattdessen sollten die Grünen mit dem „programmatischen Vorsprung von zehn Jahren“ offensiv mit der PDS um die Führungsrolle als linke Kraft streiten. Und Realo Hubert Kleinert und Ludger Volmer vom „Linken Forum“ glauben, daß das in Bayreuth vorliegende Umbauprogramm die Grünen programmtisch gegenüber PDS als auch SPD „in Führung“ bringe. Innerparteilisch wird deshalb an diesem Wochenende die Debatte über die deutsche Weltmachtrolle zur Konsensbildung übrigbleiben, mit dem der Rechtsruckvorwurf begegnet wird. Vorstandssprecher Christian Ströbele erwartet als Kenner und Bestandteil der grünen Seele, daß die Linken innerparteiisch in die Vorhand kommen werden. Das schlechte Gewissen der Delegierten bezüglich der Austritte lasse Beschlüsse möglich werden, die man vorher nicht geschafft hätte, prognostiziert Ströbele.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen