: Die Abrißbirne als Deoroller
■ Zum Vorschlag eines CDU-Politikers, das Stadtschloß in Mitte wiederaufzubauen QUERSPALTE
Berlin. Ein »großes Loch im Herzen unserer Stadt« habe die Sprengung des Stadtschlosses der einstigen preußischen Herrscher hinterlassen, jammert der Berliner Bundestagsabgeordnete Jochen Feilcke (CDU). »Stadtschloß statt Asbestpalast«, fordert unser kleiner Kaisertreuer deshalb in einer Presseerklärung. Wenn die Sanierung des verseuchten Palastes der Republik, der an die Stelle des Kaiserschlosses gebaut worden war, tatsächlich 400 Millionen Mark kosten werde, so solle doch lieber das Schloß wiederaufgebaut werden, bitte, bitte, wenigstens teilweise. Denn: »Ich kann mir [...] das Schloß auch als Sitz des Deutschen Historischen Museums vorstellen.«
»Das Berliner Stadtschloß fiel dem Haß der Kommunisten zum Opfer«, wettert der eifrige Abgeordnete Feilcke in der CDU-Zeitung 'Berliner Rundschau‘. Und weiter: »In diesem Akt der Barbarei spiegelte sich die Ulbrichtsche Version von der ‘Überwindung der Geschichte‚ wider.« Ein höchst dialektisches Verhältnis zur Historie beweist unser feinsinniger Volksvertreter hier. Denn die Überwindung der Geschichte wird nach seiner Argumentation ihrerseits erst dann überwunden, wenn der Abriß abgerissen wird. Der Palast der Republik muß weichen, da er sensible Gemüter doch immer daran erinnern könnte, daß es mal Kommunisten gab und eine SED. Denn die stammen ja aus der schlechten deutschen Geschichte. Kurfürsten, Könige und Kaiser jedoch, Kriege, Kolonien und Kohl, die stammen aus der guten.
Und deshalb findet die taz Feilckes einsamen Kampf höchst unterstützenswert. Was könnten wir nicht alles abreißen, um die unangenehm transpirierenden Seiten unserer Geschichte loszuwerden! Welch Betätigungsfeld: die Abrißbirne als Deoroller. Mein Bac, dein Bac, mein Bagger, dein Bagger.
Die beiden Rathäuser zum Beispiel haben in unseren Augen zu verschwinden, erinnern sie uns doch nur in unziemlicher Weise an die langen Leiden der Teilung. Das Märkische Viertel, die Gropiusstadt, Marzahn und Hellersdorf — sie wären ohne die mauerbedingte Randlage doch nie entstanden — weg! Das Netz der Stadtautobahnen hat als Wurmfortsatz der Transitstrecken gedient, mit denen sich das rote Pack im Politbüro eine goldene Nase verdient hat — ab dafür! Die Gedächtniskirche, das Europa-Center, das Café Kranzler, alles Relikte des Kalten Krieges — fort! Die Karl-Marx-Allee — bei dem Namen wird uns schon schlecht — zuschütten! Unter den Linden ist auch schon Erich Honecker spazierengegangen — absägen! Der Fernsehturm half doch nur, deutsche Wohnzimmer mit kommunistischen Propagandalügen zu durchseuchen — umstürzen, kleinhacken, von Mielke aufessen lassen! Oh, das Betätigungsfeld ist unendlich, und Tausende von deutschen Arbeitslosen werden für diese neue Beschäftigung dankbar unsere Hände küssen. Wiederaufbau des märkischen Dorfes Berlin, das soll die Parole für unsere Zukunft sein.
Ute Scheub
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