: „In Wirklichkeit ist es natürlich die Hölle“
■ Der von Chomeini für „vogelfrei“ erklärte Salman Rushdie über seine Befindlichkeit in der Abgeschiedenheit INTERVIEW
Berlin (taz) Das eigentliche Problem seiner inzwischen 18 Monate währenden Isolation wähnt der verteufelte Autor der „Satanischen Verse“ und Schöpfer schwindeliger Helden, die stets vom Rande der Welt zu rutschen drohen oder bereits „geflogen sind“, in seinem Innern. Doch trotz der Wiederherstellung der britisch-iranischen Beziehungen, ist Rushdie noch immer um seine Sicherheit besorgt. Die britische Regierung solle öffentlich machen, welche Sicherheitsgarantien Teheran gegeben habe, sagte der Autor gestern im 'Independent'. Das hier in Auszügen abgedruckte Interview, gab der Autor der britischen Fernsehanstalt ITV. In seiner Länge von 30 Minuten wird es am 5.10. um 23.15 in der ARD ausgestrahlt.
Salman Rushdie: Es ist schwierig, im Fernsehen über Leiden zu sprechen. Meist klingt das ziemlich schrecklich. Man kann es sich einfach machen, indem man sagt, mir geht es gut. Und so antworte ich fast immer. Auch mir selber gegenüber sage ich das, weil es mir hilft. Aber in Wirklichkeit ist es natürlich die Hölle. Ich bin ein ausgesprochen geselliger Mensch. Nicht ausgehen zu können, ist für mich daher eine ziemliche Einschränkung. Doch die äußerlichen Bedingungen sind natürlich nicht das Schlimme — man kann sich sagen, es hat schon schlimmere Zeiten gegeben, obwohl die Belastungen oft doch recht alarmierend sind. Das eigentliche Problem liegt natürlich in meinem Innern: Was ich erlebe, ist eine Situation, in der mir alles, was ich bisher fühlte und dachte, unter den Füßen weggezogen wurde. Als Herausforderung an den Schriftsteller in mir ist das gar nicht so schlecht — aber die Art und Weise bleibt doch etwas extrem.
Hat die Erfahrung der letzten 18 Monate Ihre politischen Anschauungen geändert?
Was in diesen 18 Monaten geschah, hat wohl bei uns allen Veränderungen im politischen Urteil bewirkt, jedenfalls bin ich ein anderer als vorher. Aber ich kann dazu eigentlich nichts sagen, da ich zu abgeschieden von der Welt leben muß. Es fällt schwer, ein politisches Urteil über das, was in der Welt geschieht, zu fällen, wenn man nicht mal durch die Stadt gehen und sich mit Menschen auf der Straße unterhalten kann. Politik tritt damit in den Hintergrund — von der Zeitungslektüre einmal abgesehen und der Meinung, die ich mir auf diese Weise über Ereignisse wie die Veränderungen im Ostblock bilde.
Die „Satanischen Verse“ sind zu einem weltweiten Streitobjekt geworden. Dabei ging es nicht mehr um Literatur. Wie sehen Sie das?
Ich habe immer wieder gesagt, daß mein Buch nichts mit dem zu tun hat, wofür man es anklagte, nämlich Verletzung religiöser Gefühle. Wenn die Leute das aus ihm herausgelesen haben — die meisten allerdings haben es ja gar nicht erst gelesen —, dann muß ich das akzeptieren. Und wenn sie darüber verärgert waren, tut es mir leid — denn es war wirklich nicht meine Absicht. Und ich bin traurig darüber. Der Wunsch dieser Leute, mich bestraft zu sehen, ist inzwischen in Erfüllung gegangen.
Einer der schmerzlichsten Verluste besteht darin, von den Menschen, über die ich schreibe, getrennt leben zu müssen, abgeschieden zu sein, von all dem, was der Motor meines Schreibens war. Niemals habe ich die Welt verraten, aus der ich komme, im Gegenteil, ich habe die Welt meiner Herkunft versucht in die Umgebung zu integrieren, in der ich heute lebe. Von den eigenen Leuten zurückgestoßen zu werden, darin besteht im Augenblick mein größter Schmerz. Und ich hoffe, man versteht, daß dieses Ausgestoßensein schlimmer ist als äußerliche Einschränkungen.
Es ist kein Zufall, daß mein neues Buch an einem sehr traurigen Ort beginnt; denn an einem solchen Ort war ich. Wenn etwas, das man liebt, angegriffen und bedroht wird wie in dem Buch und natürlich auch im wirklichen Leben, dann ist es das beste, nicht zurückzuschlagen, nicht anzugreifen, sondern, um die Bedrohung abzuwenden, zu versuchen, die Liebe wiederzugewinnen — einfach zu sagen, warum man liebt. So handelt dieses neue Buch von der Liebe, von der Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn und von jener seltenen Gabe, die nur wir Menschen besitzen: Geschichten erzählen zu können.
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