Schon wieder neues aus dem Sandkasten

■ Das Theater-Spektakel »Die Riesin« nach Texten von Konrad Bayer im Forum Kreuzberg

Vor dreißig Jahren sorgten »Happenings« — das Wort kam ihren Veranstaltern noch kaum von der Zunge —, die Konrad Bayer, H.C. Artmann, Oswald Wiener und Gerhard Rühm aufführten, für einige Unruhe im Wiener Kulturleben. Etwas Ähnliches hat sich die Frankfurter Schauspielgruppe Ensemble Voilà jetzt für Berlin vorgenommen. Ginge es nach den Zuschauern, die der Premiere des Stücks begeistert applaudierten, wäre ihr dies auch trefflich gelungen. Wer aber mit den Texten Bayers und ihrer theatralischen Umsetzung auch nur ein wenig vertraut ist, konnte über die Inszenierung seiner Szenen die pfandleihe, die boxer sowie idiot und des Sketches napoleon oder wer weiss? nur verärgert sein.

Die Regisseure Boris Koneczny und Ludger Pistor hatten sich vorgenommen, in drei gespielten Geschichten »die Unmöglichkeit einer sprachlichen Verständigung und die Nutzlosigkeit des Denkens angesichts einer zunehmenden körperlichen Brutalität« zu erzählen. Diese grobe Denkschablone bezeichnet ihr Nichtverstehen Bayers, der für die beschriebene Gewalt Denken und Sprache selbst verantwortlich sah. Ihrer unterhaltenden, literarischen Verwendung hoffte er sich dadurch zu widersetzen. Die Aufführung der Riesin aber schafft es, seine Sätze im Amüsement eines bunten Abends zu verschlucken, an dem Wiener Liedgut, illustre Kostüme und eine elektronische Klanginstallation von Ma- Lou Bangerter ein Szenenspiel auf mehreren kleinen Bühnen untermalen. All dies stellt Sprache und die Regieanweisungen Bayers auf den Kopf. Einige Beispiele: In Text und Szenenbeschreibung für die pfandleihe heißt es: »das meer hat unsre stadt erreicht! sechs sonnen erhitzen die szene. die strasse vor ihrem laden ist mit klippen gewürzt! (läuft zur tür und reisst sie weit auf)«. Die Sätze sprechen für sich selbst, in Handlung und Bild umgesetzt, soll bei Bayer lediglich ein zappelnder Fisch auf die Bühne geschleudert werden. Damit kann das Ensemble Voilà nichts mehr anfangen und kreiert eine spektakuläre Geräuschimitation der apokalyptischen Vision. Dazu wird ein Papierfisch auf einem Seilzug durch den Raum gezogen, und der Schauspieler springt, als Meertier kostümiert, wie an den Strand geworfen, in einen Sandkasten, der den Mittelpunkt des Bühnenraumes bildet. Die Sätze des Stückes gehen in solchen Kindergartenkapriolen unter. Auch daß die Handlungsabfolge immer wieder zwischen den verschiedenen Schauplätzen wechselt, führt zu keiner Brechung der Inhalte, sondern verstrickt die Gedanken in falsche Assoziationszusammenhänge. Häufig genug zu hören, scheint es das Ziel des Autors gewesen zu sein, ein Video für den Schlager Für einen Moment voller Seligkeit herzustellen.

Trägt man einmal die Sprache Bayers ohne Beiwerk vor, so wirkt sie in diesem Kontext wie billige Sprachskepsis, die anscheinend längst durch andere Ausdrucksformen überwunden ist, oder die Szenen vermitteln eine monströs aufgeblasene Kritik an allem und jedem: »bleiben ist ein scheissdreck / hören ist ein scheissdreck / sehen ist ein scheissdreck«. Die minutenlange Beschimpfung umrahmt ein Getöse, in dem jeder auf jeden einschlägt, ein Aktivismus, der in Bayers boxern erneut ganz in Sprache umgesetzt werden sollte: »sie wanken deutlich, wenn sie die entsprechenden sätze bekommen haben. jeder satz ist ein schlag. nicht jeder satz trifft. manche sätze können abgedeckt werden.« Das Ensemble Voilà aber möchte auf jedem Spruch und Tritt einen Treffer landen: So riesig ist nur der Titel des Programms. Thomas Schröder

Das Programm ist im Forum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21, Berlin 36 noch vom 11. bis zum 14.10. und vom 18. bis zum 21.10. jeweils um 21 Uhr zu sehen.