: Das Instrument für den Weltmarkt
Kleine GATT-Serie, Teil 1: Zur Geschichte des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens/ Welthandel wird von Weltmächten so betrieben, wie es ihnen am besten zugute kommt/ Explosionsartige Zunahme neuer Beschränkungen vor allem durch die USA und die EG ■ Von Tatjana Chahoud
Als es noch die Meere dominierte, hatte das britische Empire den Freihandel auf seine Fahnen geschrieben. Nicht anders war es mit den Vereinigten Staaten, als sie im Verlauf der Vierziger Jahre zur Weltmacht Nummer 1 aufgestiegen waren. Vergessen die Zeiten des Protektionismus, mit denen die heimischen Märkte gegen die Warenflut aus dem Ausland abgeschottet wurden. Noch waren die letzten Bomben im Pazifik und in Europa nicht gefallen, da ging Washington bereits daran, diese Vormachtstellung weiter zu festigen.
Auf der ganzen Welt war faktisch keine Konkurrenz zu fürchten. Das von den USA initiierte General Agreement on Tariffs and Trade (GATT), das „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“, übernahm die wesentlichen Normen und Prinzipien des freihändlerischen US Trade Acts von 1934 und wurde im Jahre 1947 von 23 Staaten unterzeichnet. Soeben ist Costa Rica als 100. Land dem GATT beigetreten.
Rund zwanzig Staaten verfolgen die Arbeit des GATT mit Beobachterstatus, und zwei Dutzend weitere wenden die GATT-Artikel de facto an.
Für eine beiderseitige Abneigung sorgte noch bis vor kurzem die Ost- West-Konfrontation; für die RGW- Länder und die Volksrepublik China war es ausgeschlossen, das marktwirtschaftliche Regelwerk zu unterschreiben. Umgekehrt machten aber auch die tonangebenden GATT-Mitglieder, allen voran die USA, bis in die jüngste Zeit keinen Hehl aus ihrer ablehnenen Haltung gegenüber dieser Staatengruppe. In erster Linie sollten — wirtschaftlich wie politisch — die eigenen Bündnispartner gestärkt werden und den möglicherweise subventionierten Billigexporten aus den Staatshandelsländern der Riegel vorgeschoben werden. Inzwischen allerdings sind Polen, Rumänien, die CSFR und Ungarn dabei. China ist seit 1986 wegen der Mitgliedschaft vorstellig, desgleichen mittlerweile auch die Sowjetunion und Bulgarien.
US-Kongreß läßt die ITO platzen
Ursprünglich waren die Pläne sehr viel ehrgeiziger. Als in Kuba noch niemand von Fidel Castro wußte, rangen dort die Diplomaten gleich um die Errichtung einer Internationalen Handelsorganisation (International Trade Organization, ITO), eine Art Parallel-Einrichtung zum kurz vorher geschaffenen Internationalen Währungsfonds und zur Weltbank. Das Paragraphenwerk des GATT, das die exportorientierte USA deutlich begünstigte, war als Kapitel der Havanna-Charta gedacht, auf der die ITO beruhen sollte, und wurde quasi im Voraus provisorisch unterzeichnet.
Daß die ITO nicht zustandekam, lag an der ablehnenden Haltung des US-Kongresses. Abgeordnete, Wirtschaftsverbände und andere Lobbyisten wollten sich vom Weißen Haus nichts vorschrieben lassen: Sie fürchteten um Macht, Einfluß und letztliche Unterordnung ihrer jeweiligen Wirtschaftsinteressen unter die allgemeinpolitischen und strategisch orientierten Kalküle der US-Regierung. Im Resultat ist das GATT daher bis heute ein Provisorium ohne eigene Rechtspersönlichkeit geblieben.
Die Ziele des GATT
Die Ziele des GATT konzentrieren sich auf den Abbau von Zöllen und andere Handelsrestriktionen — gemeint sind die sogenannten nicht-tarifären Handelshemnisse, die also nicht auf Zöllen oder anderen Tarifen beruhen. Weiter sollen diskriminierende Eingriffe in die internationale Arbeitsteilung beseitigt werden, also etwa Kontingentierungen, die festlegen, welches Land mit welchen Mengen welche Märkte beliefern darf. Der Präambellyrik folgend soll dies zugleich zu einer Erhöhung des Lebensstandards und zur Vollbeschäftigung beitragen und nicht zuletzt auch die Absicherung eines hohen und ständig steigenden Einkommensniveau bei den Mitgliedern unterstützen.
Ähnlich wie das Währungssystem von Bretton Woods (IWF und Weltbank) ursprünglich auf festen Wechselkursen basierte und somit eindeutig reguliert war, war auch das GATT mit festen Regeln ausgestattet worden, die für alle Vertragspartner gleichermaßen gelten sollten. Die Gleichbehandlung der Handelspartner untereinander — unterstrichen durch die Meistbegünstigungsklausel, wonach jeder Handelsvorteil, der einem Handelspartner zugestanden wird, automatisch auch für alle übrigen gilt — zählt zum Credo des GATT, soll Diskriminierung und Willkür verhindern und allgemeine Transparenz gewährleisten.
Abweichungen von diesen Grundprinzipien sollten zwar unter besonderen Umständen durch den Rückgriff auf eine Schutzklausel möglich sein. Entsprechende Interventionen sollten jedoch nur in Ausnahmefällen beziehungsweise zeitlich befristet vorgenommen werden können.
GATT-Runden unter US-Leadership
Kaum überraschend gingen die Initiativen für die ersten fünf Handelsrunden zur Reduzierung der Zölle fast ausschließlich von den USA aus. Die Verwirklichung liberaler Handelssprinzipien konnte sich nicht nur auf die ökonomische Überlegenheit bei fast allen Produktlinien stützen, sie diente ebenso der Wahrnehmung eigener Absatzinteressen, um die Umstellung von der Kriegs- auf Friedensproduktion beschleunigen und möglichst reibungslos abwickeln zu können. Zum anderen ging es um die ökonomische und politische Stärkung der westlichen Bündnispartner im Zuge des heraufziehenden Kalten Krieges. In diesem Kontext fanden sich die westeuropäischen Länder ebenfalls zu Zollsenkungen bereit. Tatsächlich wirksam werden konnten diese jedoch erst gegen Ende der 50er Jahre mit der Einführung der Konvertibilität ihrer Währungen.
Die 6. GATT-Runde, bekannt als „Kennedy-Runde“ der Jahre 1964-68, wurde nicht nur mit Blick auf die sich formierende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eingeleitet. Sie gilt insbesondere als die erfolgreichste GATT-Runde der Nachkriegszeit. Von den vormals zeitraubenden Verhandlungen auf Produktenbasis war es jetzt gelungen, zu einer allgemeinen Zollsenkung überzugehen. Nach vierjährigen Verhandlungen fielen die Zölle schließlich um 50 Prozent.
Allerdings warf die Kennedy- Runde deutliche Schatten voraus. Bereits die Aufnahme der Handelsgespräche im Rahmen dieser Runde hatten die USA an den Abschluß von Handelsbeschränkungen im Textil- und Bekleidungsektor gekoppelt. Angefangen als „langfristiges Textilabkommen“ von 1962, seit 1974 zum „Multifaserabkommen“ (MFA) noch ausgedehnt und seither immer wieder verlängert, wurden für diesen Bereich Sonderregelungen unter Umgehung der GATT- Norm geschaffen, mit dessen Hilfe die überlegene Konkurrenz der ostasiatischen Staaten (ursprünglich v.a. Japan) und anderer Schwellenländer abgewehrt werden sollte.
Neuer Protektionismus und „managed trade“
Die folgende Tokio-Runde (1973-79) stand bereits deutlich im Zeichen neuer weltwirtschaftlicher Turbulenzen. Erstmalig in diesem Jahrhundert wies die US-Handelbilanz ein deutliches Defizit auf und beschleunigte damit den Zerfall des Weltfinanzsystems von Bretton Woods. Mit der Schwächung des Dollars setzten die OPEC-Staten gleichzeitig drastische Preissteigerungen durch, und die einhergehende Weltwirtschaftskrise von 1974/75 führte zu einer anhaltenden Stagflation. Ebenso veränderte sie die bisherigen Handelsbeziehungen; Japan, aber auch die Schwellenländer verbuchten deutliche weitere wirtschaftliche Erfolge.
Zwar konnten während dieser Verhandlungsrunde weitere Zollreduzierungen um ein Drittel beschlossen werden, andererseits zeichnet sich seither ein rasantes Anwachsen neuartiger Handelshemmnissse und die Ausweitung der nicht-tarifären Handelsrestriktionen ab. Dazu zählen vor allem „freiwillige“ Exportbeschränkungen und die Verhängung von Ausgleichszöllen wegen Dumping oder Subventionen. Allein zwischen 1966 und 1986 schnellte der Anteil der verarbeiteten Produkte, der von nichttarifären Handelsrestriktionen betroffen ist, von 5 auf 51 Prozent empor.
An der Spitze rangieren hier die USA und die EG. Je nach Opportunität werden die unterschiedlichen Instrumente gezielt gegen überlegene Handelspartner eingesetzt und die eigenen Konzerne und Unternehmen vor allem aus der Stahl-, Automobil- und Textilbranche vor der ansonsten so beschworenen Markteffizienz abgeschottet. Der Fingerzeig auf die soziale Marktwirtschaft erweist sich dabei als plumpe Heuchelei: Zum einen werden diese Handelshemmnisse regelmäßig als Verschnaufspausen für Rationalisierungsmaßnahmen genutzt, andererseits richtet sich diese Waffe unter Umgehung der möglichen GATT-Schutzklausel gezielt gegen einzelne Konkurrenten.
Zentrale Zielscheibe dieses „managed trade“, von ihren Initiatoren in der Regel als Wegbereiter für faire Handelspraktiken verbrämt, sind allen voran Japan und die südostasiatischen Schwellenländer. Die selbst aufgestellten Spielregeln des GATT, seine multilateralen und auf Nichtdiskriminierung orientierten Grundprinzipien werden zur Seite geschoben und gegebenenfalls mit den harten Bandagen eines simplen Diktats vertauscht. So ist es z.B. den USA seit Mitte der 80er Jahre wiederholt mit Erfolg gelungen, Südkorea zum Import US-amerikanischer Agrarerzeugnisse und High-tech-Produkte zu veranlassen, während die bisherigen Lieferanten aus Japan ebenso wie aus Argentinien oder China hier das Feld zu räumen hatten.
Gleichwohl sollten diese handelsprotektionistischen Tendenzen nicht überschätzt werden. Zum einen ist das internationale Handelsregime von Beginn an durch zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen gekennzeichnet. Andererseits kann kaum bezweifelt werden, daß sowohl die multinationalen Konzerne wie auch die transnationalen Banken äußerst gewichtige Akteure des Globalisierungsprozesses sind und bleiben werden.
Das GATT und die Dritte Welt
In den Augen der Dritten Welt wird das GATT überwiegend als „rich man's club“ eingestuft. Die Ignoranz und fehlende Bereitschaft seitens der tonangebenden GATT-Mitglieder gegenüber den Belangen der Dritten Welt waren ein wichtiger Motor für die Gründung der UN-Sonderorganisation UNCTAD, der United Nations Conference on Trade and Development. Hier wurden die großen Konzepte für eine „Neue Weltwirtschaftsordnung“ geschmiedet, die auf gerechtere Handelsbeziehungen und neue Ressourcenverteilung zwischen Nord und Süd zielten. Die in der OECD zusammengefaßten Industrieländer, unter tiefer Schockeinwirkung aufgrund des massiven Vorpreschens der OPEC stehend, stimmten diesem Forderungskatalog auf der UN-Sondervollversammlung von 1974 ursprünglich zu. Doch mit einer gezielten Obstruktionspolitik und durch die schließlich vollständige Verwässerung des „integrierten Rohstoffprogramms“ blieb hier inzwischen kaum mehr als ein Scherbenhaufen übrig.
Seit den Zollreduzierungen aus der Tokioter GATT-Runde waren die Vorteile der Dritte-Welt-Länder aus den Sonderpräferenzen geschrumpft, während die nicht-tarifären Handelsrestriktionen schlagartig expandierten. Tatsächlich sind sogar die Importbeschränkungen auf einige Dritt-Welt-Exporte, v.a. verarbeitete landwirtchaftliche Produkte sowie Textilien und Bekleidung, in den OECD-Ländern oftmals höher als der übliche Durchschnittszoll auf Fertigwaren.
Seit Mitte der 8Oer Jahre spitzten sich hier die Kontroversen weiter zu. Forciert durch das eigene Handelsbilanzdefizit plädierten die USA für eine neue Handelsrunde, die allerdings vorrangig Themen und Produktsektoren auf die Tagesordnung setzen sollte, die den eigenen Interessen entsprachen. Zu Recht sahen die meisten Dritte-Welt-Länder hier einen Vorstoß, der ihre durch die Verschuldungskrise zugespitzte Lage völlig außer Acht ließ. Als gewichtige Wortführer betonten Brasilien und Indien die Gefahren, die sich aus der Durchdringung von multinationalen Konzernen im sensiblen Dienstleistungssektor ergeben würde — sie mahnten speziell die Überwindung alter, andauernder Handelsrestriktionen gegenüber der Dritten Welt an. Fast vier Jahre vergingen, ehe ein Kompromiß über die Eröffnung der „Uruguay-Runde“ gefunden wurde. Der Agrarbereich schließt demnach insbesondere auch die Verhandlung über tropische Produkte ein, der Themenkomplex „Dienstleistungen“ wird mit Hilfe eines verfahrenstechnischen Tricks „parallel“ zum GATT-Rahmen verhandelt, und für das Multifaserabkommen sagte man Verhandlungen zu.
Im Oktober 1986 wurde die 8. GATT-Runde in Uruguay mit der Punta del Este-Erklärung feierlich eröffnet. Der planmäßige Abschluß ist für Dezember 1990 in Brüssel vorgesehen. Eine erste Zwischenbilanz wurde auf der Halbzeitkonferenz im Dezember 1988 in Montreal gezogen. Das Ergebnis der zweijährigen Verhandlungen war nicht nur mager, die Konferenz mußte die bisherigen Bemühungen de facto als gescheitert erklären. Zentraler Grund war der ungelöste Konflikt zwischen den USA und der EG über den Abbau landwirtschaftlicher Subventionen sowie die fehlende Bereitschaft der OECD-Länder, den Sektor Textil und Bekleidung wieder ins GATT zu integrieren und somit die Märkte für Dritte-Welt-Produzenten weiter zu öffnen.
Ob innerhalb der noch ausstehenden Frist von zwei Monaten die anhaltend diametral entgegengesetzten Positionen überwunden werden können, scheint fraglich. Während der jüngsten Jahrestagung von IWF und Weltbank hat Präsident Bush den Kollaps des GATT keineswegs ausgeschlossen. Sollte die laufende Uruguay-Runde im Dezember tatsächlich scheitern, so wäre dies auf jeden Fall ein weiterer Sargnagel für die „pax americana“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen