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Nicaragua vertreibt Internationalisten

„Ausgewiesen wegen politischer Aktivität“/ Die Regierung Chamorro statuiert ein Exempel  ■ Aus Managua Ralf Leonhard

Die zwei deutschen Entwicklungsarbeiter Otmar Jung und Harald Schöngart, die bereits vorgestern aus Nicaragua ausgewiesen werden sollten, haben eine Gnadenfrist erhalten: sie wurden aus der Haft entlassen mit der Auflage, binnen zehn Tagen das Land zu verlassen.

Mit den Maßnahmen und den bereits erfolgten Abschiebungen — ohne Verfahren und ohne Anspruch auf ein Rechtsmittel — will die nicaraguanische Regierung offensichtlich ein Exempel statuieren. Der 36ährige Tischler und Sozialpädagoge Harald Schöngart wurde Montag vormittag gemeinsam mit Otmar Jung, 38, nach viereinhalb Tagen aus der Polizeihaft entlassen. Otmar Jung, der Verantwortliche für die mit deutschen Spendengeldern aufgebaute Kartonfabrik in Granada, ist noch gar nicht ansprechbar. Er mußte nach einem physischen und psychischen Zusammenbruch die letzten Tage im Militärspital verbringen. Abgemagert auf Haut und Knochen, hängt der Darmstädter im Hause eines Freundes am Tropf. Im Wohnzimmer tagt der Krisenstab der deutschen Internationalisten. Die beiden Deutschen haben nämlich zehn Tage Zeit, über ein Gnadengesuch an den Innenminister die Abschiebung zu verhindern. Ihre Aufenthaltsgenehmigung wurde eingezogen, in den Pässen prangen seitenfüllende Stempel: „Ausweisung wegen politischer Aktivität“. Seit Samstag wußten sie, daß ihnen die Abschiebung droht. Damals wurden die niederländische Journalistin Marietta Vervest und die deutsche Urlauberin Dorothea Schulze aus ihren Zellen geholt, direkt zum Flughafen transportiert und in die erste Maschine nach Panama gesetzt — ohne Geld oder Reisegepäck.

Turbulente Einheitsfeierlichkeiten

Dorothea Schulze war bei der großen Wiedervereinigungsfeier in der deutschen Botschaft am 3. Oktober nach der Ansprache des Botschafters auf das Podest gesprungen und hatte versucht, eine Protestbotschaft ins Mikrophon zu brüllen. Die Niederländerin, die im Pressezentrum der Regierung in aller Form akkreditiert ist, hatte die turbulenten Szenen fotografiert, Otmar Jung hatte im Saal Flugblätter verteilt, Harald Schöngart hatte sich lediglich im Umkreis einer Gruppe von Demonstranten aufgehalten, die vor dem Eingang mit Transparenten Aufstellung genommen hatte. Beide waren bereits auf dem Heimweg, als der nicht verabredete Zwischenfall sich ereignete. Sie wurden zusammen mit der 25ährigen Nicaraguanerin Enriqueta Jiron von der Polizei aufgegriffen. Innenminister Hurtado ließ die polizeiliche Untersuchung der Vorgänge abbrechen und erklärte die Ruhestörung zur Staatsangelegenheit.

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