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Drucken statt Abschreiben

■ Bremer Presseforscher entdeckt „Geburtsurkunde“ der ältesten Zeitung Europas

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die Urkunden

Geburtsurkunden der ersten europ.

Als die Straßburger Honoratioren und Kaufleute ihre wöchentlichen „Avisen“ Anfang Oktober des Jahres 1605 nicht mehr handgeschrieben, sondern gedruckt ins Haus geliefert bekamen, ahnten sie nicht, daß sie Teil hatten an einer Revolutionierung des Nachrichtenwesens.

Ihr Zeitungsschreiber Johann Carolus hatte kurz zuvor eine „truckerey“ erworben und befunden, daß sich seine Nachrichtensammlung „Relation“ durch Druck viel schneller vervielfältigen ließ als durch Abschreiben von Hand.

Bislang war die Presseforschung davon ausgegangen, daß die ältesten Zeitungen 1609 gedruckt wurden. Dr. Johannes Weber von der Deutschen Presseforschung an der Universität Bremen gelang jetzt der Nachweis, daß Johann Carolus in Straßburg schon 1605 Nachrichten gedruckt hat. Bei seiner Suche nach Zeitungen aus dem 17. Jahrhundert stieß er auf ein Dokument, daß das bisher vermutete Geburtsjahr der Printmedien in Europa vier Jahres vorverlegt. Als „Geburtsurkunde der europäischen gedruckten Zeitungen“ bezeichnet Weber eine Bittschrift, die Johann Carolus im Dezember 1605 an den Magistrat der Stadt Straßburg rich

Zeitung, Straßburg 1605

tete. Darin ersucht er die „Gestreng, Edell, Ehrnfest, Fürsichtig, Ehrsam, Weiß, Gnedig gepiethendt Herren“ um ein Presseprivileg.

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den dunkelhaarigen

Brillen-Mann

Dr.Johannes Weber, „Entdecker“

Zur Begründung gibt er an: „dieweil es aber mit dem abschreiben langsam zugangen, unnd vil Zeit darmit zugebracht werden müßen, unnd ich aber vor der Zeit weylandt Thobiae Jobins selige Truckerey hoch und theuer an mich erkaufft,..., als hab ich nun etliche wochen her, unnd jetzt das zwölffte mahl...in meiner Truckerey dieselbigen setzen, ufflegen und trucken laßen,...“.

Foto: Jörg Oberheide

Die Ablehnung seines Ansinnens durch die ehrfesten, gnädig gebietenden Herren datiert vom 21. Dezember 1605. Etwa zwölf Wochen zuvor muß die erste „Relation“ erschienen sein. Ein Exemplar davon ist bisher leider noch nicht aufgetaucht.

Mit unseren heutigen Zeitungen hatten die frühen Druckwerke noch wenig gemein. Johann Carolus, von dessen Jahrgang 1609 noch zahlreiche Exemplare erhalten sind, druckte in der Regel vier Seiten im Quartformat. Die Nachrichten kaufte er von Vorgängern heutiger Presseagenturen, die in vielen großen Städten saßen.

Die Meldungen über Kriege, juristische Auseinandersetzungen, neue Gesetze und das Leben bei Hof wurden wortgetreu vervielfältigt, ohne jede Form von Layout, allenfalls mit einer Schmuckvignette.

Voraussetzung für die Übermittlung aktueller Nachrichten war die Entwicklung des Postdienstes. „Die Laufzeit einer Nachricht zwischen Wien und Hamburg betrug damals etwa zehn Tage“, schätzt Weber. Den Hofleuten, Honoratioren und Handelsherren wurde das Neueste aus Rom, Wien, Venedig oder Den Haag per Jahresabo zu drei Gulden, was etwa dem Jahreslohn einer Magd und dem Wochenlohn eines Gesellen entsprach, ins Haus geliefert. Was vor der eigenen Haustür passierte, erfuhren sie kurioserweise nicht, jedenfalls nicht aus der Zeitung. Das lag laut Weber an der Zensur, die eine Beunruhigung der Untertanen verhindern wollte.

Rapiden Aufschwung nahm das Zeitungswesen durch den 30jährigen Krieg. Berichte über Truppenverschiebungen oder den Zustand von Wegen waren für die Kaufleute damals so wichtig wie heute der Börsenbericht. Deshalb gab es einen regelrechten Zeitungsboom.

Aber die „Relation“ 1605 in Straßburg war die erste — falls nicht noch aus irgendeinem Archiv eine ältere auftaucht.

Annemarie Struß-von Poellnitz

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