: Rächt sich Moro aus dem Grab?
■ Die neu aufgefundenen Dokumente und Aufzeichnungen des 1978 entführten und ermordeten italienischen Spitzenpolitikers Aldo Moro zeigen nicht nur seine Aversion gegen Parteikollegen, sondern auch, wie gut Italiens Politiker damals über angeblich bis heute nicht geklärte Skandale Bescheid wußten DOKUMENTATION
Die Angst vor Aldo Moro begann, als der fünfmalige Ministerpräsident Italiens und langjährige Präsident der Christdemokratischen Partei (DC) kurze Zeit nach seiner Entführung am 16. März 1978 mit einer Flut von Briefen seine Parteifreunde, Mandatsträger und Kirchenobere zu traktieren begann — mit (vergeblichen) Bitten um lebensrettende Verhandlungen mit den Roten Brigaden und vor allem mit Vorwürfen, aber auch feinen Anspielungen auf das, was er von ihnen wußte. Ein gutes Dutzend Schreiben wurde schon während der 55 Tage seiner Gefangenschaft im „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden öffentlich bekannt, zwei weitere Dutzend kamen nach seiner Ermordung (am 9. Mai 1978) während parlamentarischer und gerichtlicher Untersuchungen ans Licht, dazu eine maschinengetippte Abschrift seines „Memoriale“, vermutlich eine Übertragung des „Verhörs“, dessen ihn seine Entführer unterzogen haben. Die gebeutelten Politiker — der damalige und heute wieder amtierende Regierungschef Giulio Andreotti, der damalige Innenminister und heutige Parteipräsident Francesco Cossiga und der mittlerweile verstorbene damalige Parteisekretär Benigno Zaccagnini — haben nun im Laufe der Jahre gelernt, mit den Vorwürfen zu leben und sie wie Andreotti als „Frucht eines gefolterten, nicht mehr klar sehenden Geistes“ abzutun, oder wie Cossiga durch Psychoanalyse oder wie Zaccagnini durch eifriges Beten zu bewältigen. Doch nun sind die neuen Dokumente aufgetaucht — darunter zahlreiche in ihrer Authentizität unanfechtbare handschriftliche Notizen (wenn auch nur in Fotokopie) und Briefe, zwanzig davon bisher unbekannt und wohl auch nicht abgesandt, aus unbekannten Gründen zurückgehalten.
Die folgende Auswahl bezieht sich vor allem auf Moros — aus den vorher bekannten Dokumenten nicht hervorgehendes — Wissen um den Beitrag von Staatsorganen und Parteikollegen zur „Strategie der Spannung“, mit der rechte Kreise mit Bombenattentaten seit 1969 eine mögliche Regierungsbeteiligung der Kommunisten verhindern wollten, sowie die Kungeleien mit Dunkelmännern wie dem Mafia-Finanzier Michele Sindona, ein Kumpel Licio Gellis, des Chefs der kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“.
Am Tag des Attentats auf die Mailänder Landwirtschaftsbank (der erste rechtsterroristische Anschlag, 1969, mit 16 Toten, war der Beginn der „Strategie der Spannung“, W.R.) war ich in Paris. Unsere Ermittler berichteten mir, daß es sich um eine Tat der Linksextremisten handle. Daran habe ich keine Sekunde geglaubt — alles deutete nach rechts. [...] Der Abgeordnete Salvi, ein Antifaschist und überaus aufrechter Mann, berichtete mir [...], daß man in Justizkreisen in Brescia (wo es 1974 bei einem Dynamitanschlag während einer Gewerkschaftsversammlung sechs Tote gegeben hatte, W.R.) von unerträglichen Vergünstigungen und Nachsicht dem Terror gegenüber spreche, und hat dabei auch den Namen Fanfani genannt (fünfmaliger Ministerpräsident, W.R.). [...]
Über Andreotti kann man berichten, daß er länger als alle anderen die Geheimdienste geführt hat, sei es als Verteidigungsminister, sei es als Ministerpräsident. Er hatte ausgezeichnete Beziehungen zu den Kollegen von der CIA (über die diplomatischen Beziehungen hinaus) — derart, daß er auch vertrauliche Berichte der italienischen Dienststellen für die Amerikaner einsehen konnte. Die „Strategie der Spannung“, soviel steht fest, stellte eine Zeit höchster Gefahr dar, mit dem Risiko einer Entartung der Verfassung; das hat die Aufmerksamkeit der Massen jedoch glücklicherweise nicht zugelassen.
Es gibt noch eine weitere interessante Begebenheit: die Reise Andreottis in die USA 1971. Er war damals Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus. Der wichtigste Programmpunkt seines Besuches war ein Treffen mit dem Bankier Sindona, der für unseren Abgeordneten das offizielle Bankett ausrichten wollte. Da hatte ich nun kräftige Bedenken, andere hatten die auch, und so schalteten wir unseren Botschafter ein, Egidio Ortona, der mit seinen 17 Jahren USA besonders kompetent war. Der geriet nun sogleich in höchste Erregung, kaum hatte er den Namen Sindona gehört, und selbst bei seiner für einen Diplomaten notwendigen Mäßigung zeigte seine Schilderung die völlige Inopportunität eines derartigen Besuches. Andreotti jedoch teilte weder die kluge Einschätzung unseres Botschafters, noch hielt er sich an meinen freundschaftlichen Rat, wies jeglichen Einwand zurück und führte den Besuch genauso durch, wie er ihn geplant hatte. [...] Andreotti ist ein sehr geschickter, skrupelloser Mann, der in seiner langen Karriere das gesamte Arcanum der Politik durchgemacht hat, von der (dann nicht nutzbaren) Sympathie für das Movimento Sociale (die Neofaschisten, W.R.) bis zum Pakt mit der Kommunistischen Partei.
Mit dem folgenden Brief an den christdemokratischen Parteisekretär Zaccagnini erklärt Moro seine totale Abwendung von seiner Partei, die mit ihrer (in Übereinstimmung mit den Hardlinern der Kommunistischen Partei) erklärten Absage an jegliche Verhandlung mit den Roten Brigaden das Todesurteil über Moro besiegelt hatte:
Lieber Zaccagnini,
ich teile Dir meinen Entschluß mit, zu dem ich im Verlauf dieses langen, schrecklichen Erlebnisses gekommen bin: Ich verlasse unwiderruflich die Christdemokratische Partei. Entsprechend trete ich vom Amt des Parteipräsidenten und der Mitgliedschaft im Nationalkongreß und in der Zentraldirektion der Partei zurück. Ich schließe jegliche Kandidatur jedwelcher Art für die Zukunft aus. Ich habe mich entschlossen, beim Parlamentspräsidenten sobald ich kann das Überwechseln in die gemischte Fraktion (aus parteiungebundenen Abgeordneten, W.R.) zu beantragen. [...]
So habe ich niemals eure harte Entscheidung verstanden, keinerlei Verhandlungen mit den Roten Brigaden zu führen, auch nicht unter humanitärem Aspekt. Ich habe euch schon hundertmal gesagt, und ich sage es nochmal, daß ich nicht unter dem Zwang der Roten Brigaden schreibe. [...] Ihr seid unmenschlich gewesen, seid hartherzig, ihr seid weder aufmerksam noch klug gewesen, sondern schlichtweg blind. Gerade ihr Christen habt euch vom größten Teil aller Länder der Welt abgespalten (tatsächlich hatten, bis hin zu den Vereinten Nationen, nahezu alle Regierungen eine Verhandlungslösung favorisiert — mit Ausnahme der deutschen unter Helmut Schmidt, die im Jahr zuvor den Fall Schleyer nur blutig abgeschlossen hatte, W.R.). Wahrscheinlich habt ihr euch eingebildet, daß Ganze sei leichter, sei weniger politisch. Ihr habt mit eurem Zynismus meine Person beleidigt, meine Familie. Mit dem Unterlassen aller legalen Entscheidungen der Parteiorgane (Moro hatte, in seiner Eigenschaft als Parteipräsident, aus dem „Volksgefängnis“ heraus einen Kongreß zur Abstimmung über Verhandlungen einberufen, den Andreotti und Zaccagnini jedoch verhindert haben, W.R.) habt ihr überdies die Demokratie manipuliert und die DC auf höchst obszöne Weise unterdrückt, um den dort vorhandenen Widerspruch unmöglich zu machen. [...] Du, Zaccagnini, bist der schwächste Parteisekretär, den die DC jemals hatte, unfähig, die Partei verantwortungsvoll zu führen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen