: Im Schöneberger Rathaus werden 341 Räume frei
■ Das Rathaus Schöneberg auf dem Weg von der Repräsentantin Berlins zum Bürgerhaus/ Die Stadt feiert heute eine 40 Jahre alte »Wahlberlinerin«
Schöneberg. Heute vor 40 Jahren läutete die Freiheitsglocke das erste Mal für die BerlinerInnen. General Lucius D. Clay, Initiator des Nationalen Komitees für ein freies Europa, hatte sie um präzise 11 Uhr im Turm des Schöneberger Rathauses zum Klingen gebracht. Die Zukunft der Glocke ist klar, sie bleibt in ihrem Schöneberger Turm. Aber die Funktion des Rathauses wird sich verändern. »Die Zukunft des Rathauses Schöneberg beginnt mit der Neuwahl eines Regierenden Bürgermeisters«, sagt Bezirksbürgermeister Michael Barthel. Er rechnet mit einer symbolischen Rückgabe der Räume seiner Untermieter Senat und Abgeordnetenhaus nach dem 3. Dezember. Zumindest Walter Momper, so Barthel, wolle nach einer Wiederwahl so handeln, bevor er die neuen Räume im Roten Rathaus — dem eigentlichen Berliner Rathaus — bezieht. Aus der Senatskanzlei hieß es gestern, daß der künftige Regierende mit einem Teil des Senats bereits im Januar 1991 umziehen wolle. Das Abgeordnetenhaus werde bis 1993 im Rathaus Schöneberg bleiben.
In die 341 Räume, die im Rathaus Schöneberg mit dem Auszug von Regierung und Abgeordnetenhaus frei werden, können die bisher versprengten Schöneberger Dienststellen einziehen. Ausreichen werden die vielen Räume trotzdem nicht. Hausherr Barthel möchte den Senat dazu bewegen, das angrenzende Nordsternhaus zu verlassen. Aber der Justizsenat habe ebenfalls ein Auge auf das gesamte Gebäude geworfen, das derzeit von Bezirk und Senat gemeinsam genutzt wird.
Wenn die Regierung raus ist, soll das Rathaus wieder ein richtiges Bürgerhaus werden. »Wir werden mehr Leben reinbringen«, sagt Barthel. Der große Sitzungsaal im Erdgeschoß biete sich für Bürgerversammlungen geradezu an. Auch den Jubiläumsball eines Vereins könnte sich der Bürgermeister im Rathaus vorstellen. Das Gebäude würde wesentlich bürgernäher werden als es in den letzten Jahrzehnten war.
Das Rathaus Schöneberg stand für Berlin. Das hätte eine Menge Belastungen mit sich gebracht, aber »unterm Strich«, resümiert Barthel, »haben wir davon profitiert«. Für ein normales Bezirksrathaus hätten die Schöneberger nie so viele Mittel zur Renovierung und Sanierung erhalten. Der Abschied von den Untermietern fällt nicht ganz leicht: »Natürlich ist es auch ein Stück Wehmut und ein Abschied von der Repräsentation des Landes Berlin.«
Ein bißchen Repräsentatives bleibt ihm aber erhalten. Die Freiheitsglocke wird auch weiter jeden Mittag läuten. Heute wird die Wahlberlinerin gleich zweimal, einmal zur historischen und einmal zur normalen Zeit um 12 Uhr, läuten. Daß die Gabe der AmerikanerInnen jetzt von den BerlinerInnen weiterverschenkt werden könnte, kann sich Barthel nicht vorstellen.
17 Millionen AmerikanerInnen spendeten in den 40er Jahren für das Geschenk an Berlin und unterzeichneten einen Schwur, der mit allen Unterschriften im Turm des Rathauses Schöneberg aufbewahrt wird: »Ich schwöre«, heißt es unter anderem, »der Aggression und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo immer sie auf Erden auftreten werden.«
Eine Ausstellung über »das Rathaus Schöneberg im Wandel der Zeiten« wird heute im Turmbereich des Gebäudes eröffnet. Dort soll sie ihren festen Standort finden, nachdem sie zuvor durch die fünf Partnerstädte des Bezirks — von Penzberg in Oberbayern bis Braunschweig in Norddeutschland — gewandert ist. Den Turm stellt sich Barthel als Museumsbereich vor. Ansonsten möchte er aber nicht, daß das Rathaus »zu einer Art Nachkriegsmuseum wird«. Er wäre zum Beispiel nicht sehr angetan davon, wenn jemand auf die Idee käme, den Plenarsaal zu erhalten. Den Platz möchte der Bürgermeister für seine Verwaltung haben. Christel Blanke
Der Turm des Rathauses mit Glocke und Ausstellung ist mittwochs und sonntags von 10 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet. Der Eintritt ist frei.
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