CSUler im „Wackersdorfer Wunder“

Als wäre nichts gewesen: Überraschende Stimmenzuwächse der CSU nach acht Jahren WAA-Widerstand/ Aktivisten ratlos/ CSU schlachtet Schaffung der Arbeitsplätze aus  ■ Aus Schwandorf Bernd Siegler

„Mir ist das ein Rätsel, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen.“ Irmgard Gietl, 60jährige Rentnerin und jahrelang in der ersten Reihe des Widerstandes gegen die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) bei Wackersdorf, ist noch immer sprachlos. Sie kann es nicht fassen, daß bei den bayerischen Landtagswahlen am 14. Oktober die CSU ausgerechnet im Wahlkreis Schwandorf den höchsten Stimmenzuwachs im Freistaat verzeichnen konnte und nahezu wieder auf dem Stand von 1982 angelangt ist — so als wäre nichts gewesen. „Die Leute vergessen zu schnell“, meint sie kopfschüttelnd, „dabei haben die doch mit der Demokratie Schindluder getrieben“.

Mit „die“ meint die Rentnerin die Christlich-Sozialen und erinnert an die vergangenen acht Jahre in der Oberpfalz. Hunderttausende demonstrierten gegen das „WAAhnsinnsprojekt“, in der ganzen Region herrschte permanenter Ausnahmezustand. Knüppelorgien am Bauzaun, CS-Gasgranaten aus Hubschraubern, Grenzsperren für WAA-GegnerInnen aus Österreich, Massenverhaftungen, knapp 4.000 Gerichtsverfahren, ständige Polizeipräsenz, Wasserwerfer auf dem Marktplatz von Burglengenfeld — eine endlose Liste staatlicher Repressionen gegen den örtlichen WAA-Widerstand. „CSU-Demokratur“ bezeichnete damals der SPD- Landrat Hans Schuierer die Verhältnisse in und um Schwandorf. CSU- Parlamentarier und —Minister wurden in der Regel mit „Haut ab,ihr Verbrecher!“ begrüßt oder, wie kurz nach Tschernobyl, mit radioaktiv verseuchtem Gras und Gemüse beworfen.

Bei den Wahlen am 12.10.86 erlebte die CSU in der Oberpfalz den erwartet starken Einbruch. Im Wahlkreis Schwandorf eroberte der SPD- Landtagsabgeordnete Zierer sensationell das Direktmandat. In der gesamten Oberpfalz ging die CSU von 61,9 auf 54,3 Prozent zurück, bei den Bundestagswahlen 1987 büßte sie in Schwandorf 11,1 Prozent ein. „Die CSU vernichtend geschlagen — das war deutlich“, kommentierte damals der örtliche 'Neue Tag‘. Umgedrehte Verhältnisse 1990. Die CSU gewann in Schwandorf satte 10,3 Prozent, im benachbarten Nabburg erzielte der CSU-Kandidat mit 62,4 Prozent ein neues Rekordergebnis. Die SPD dagegen verlor ihr Direktmandat und in manchen Gemeinden um Schwandorf bis zu 24 Prozent. Die Grünen stürzten von 6,3 auf 3,8 Prozent ab. „Die Zeiten der WAA sind endgültig vorbei, der Blick ist nun in die Zukunft der Region gerichtet“, kommentierte nun der 'Neue Tag‘ das Ergebnis.

Eineinhalb Jahre nach dem Aus für die WAA ist von den Auseinandersetzungen in der Oberpfalz nichts mehr zu sehen. Das Wackersdorfer Rathaus ist frisch getüncht, dahinter prunkt das von der WAA-Betreiberfirma DWK gestiftete neue Feuerwehrgerätehaus. Der hartumkämpfte Sicherheitszaun um das Baugelände ist einem einfachen Maschendrahtzaun gewichen. Auf dem Gelände wird eifrig gebaut, schließlich wollen dort die Firmen BMW, Sennebogen, Wilden und Stahl in den nächsten Jahren knapp 4.000 Arbleitsplätze schaffen — großzügig gefördert durch Bund, Land und die deutsche Energiewirtschaft als Entschädigung für den nicht zustande gekommenen Bau der WAA.

Die CSUler haben das so hingedreht, als hätten sie die WAA verhindert, um dort Arbeitsplätze zu schaffen , empört sich Josef Fischer aus Kölbldorf. Der Landwirt, in dessen Scheunen auswärtige WAA-GegnerInnen immer Platz zum Schlafen gefunden hatten, erinnert daran, daß ja schließlich die CSU damals alle Betriebsansiedlungen verhindert und das Aus für die Maxhütte forciert hatte, um die Akzeptanz für die WAA in der Region zu erhöhen. Auguste Hauser aus Altenschwand hat so manche Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen müssen, da in ihrem Haus das autonome „Info-Büro“ untergebracht war. Für sie war das Wahlergebnis ein „Schock und Resultat vieler Wendehälse“. Nach dem Aus der WAA waren alle plötzlich WAA-Gegner, jetzt wählen alle CSU. Ihr Ehemann Heinz versteht die Welt nicht mehr. Für ihn sind die CSUler nach wie vor „die größten Staatsverbrecher und Lumpen“. Das einzige, was ihn freut, ist, daß „den Strauß endlich der Teufel geholt hat“.

Geschickt hatte die siegreiche CSU-Kandidatin Marianne Deml im Wahlkampf immer wieder die „enorme Unterstützung der Staatsregierung“ bei den Betriebsansiedlungen herausgekehrt und vom „Wirtschaftswunder Wackersdorf“ gesprochen. Man solle doch das „leidige Thema WAA“ endlich ruhen lassen, hatte der CSU-Bezirkstagskandidat Scharf landauf landab gefordert. „Die Wähler haben die Betriebsansiedlungen als Erfolg der Staatsregierung honoriert, freute sich der CSU-Wirtschaftsminister und Oberpfälzer Spitzenkandidat August Lang. SPD-Landrat Schuierer führt das auf eine „unvergleichliche Materialschlacht“ der CSU zurück. Publikumswirksam eröffnete Ministerpräsident Streibl Ende September das BMW-Werk und schwärmte vom „Wackersdorfer Wunder“. Zuvor wurde mit viel Prominenz die kontinentale Tiefbohrung in Windisch-Eschenbach und die Solar-Wasserstoff-Anlage in Neunburg vorgestellt.

„Wir wählen hier doch nicht gegen die Arbeitsplätze“, stellt denn auch ein Schwandorfer Rentner fest, der ungenannt bleiben will. So recht will sich in und um Schwandorf niemand zur Wahl der CSU bekennen. Angst, schlechtes Gewissen? Irmgard Gietl hat trotz intensiver Suche noch keinen CSU-Wähler gefunden. Die trauen sich nicht, das zuzugeben. Das sind „die heimlichen Schwarzen“.

„Die Oberpfalz nähert sich wieder der politischen Normalität wie zu Zeiten vor der WAA“, meint der unterlegene SPD-Kandidat Franz Schindler enttäuscht. „Der Wähler hat die WAA offenbar schneller vergessen als wir“, lautet seine Wahlanalyse. Der Schwandorfer Allgemeinarzt Dr. Walter Angebrand, zu WAA-Zeiten immer auf Seiten der Demo-Sanitäter zu finden, glaubt nicht an die vielzitierte Theorie des Vergessens. Die WAA-Gegner hier vor Ort seien „hauptsächlich rein ökologisch ausgerichtet gewesen und nicht links“, deswegen seien viele Wähler mangels Alternative zu Hause geblieben. Er erinnert an die Wackelpolitik der SPD in Sachen Müll, an ihren unpopulären Spitzenkandidaten Hiersemann und an den beliebten SPD-Direktkandidaten Dietmar Zierer, den die Partei wegen angeblichem sexuellem Mißbrauch von Jugendlichen im Vollrausch in die Wüste geschickt hatte.

SPD-Landrat Schuierer, zweiter Vorstand des Müll-Zweckverbands, will davon nichts wissen. „Es ist nicht gelungen, das wirkliche Ausmaß der Schandtaten der CSU ins Bewußtsein der Bürger zu bringen“, behauptet er. Auch für die grüne Irene Sturm ist die Hoffnung auf eine Bewußtseinsänderung bei den Bürgern „wie eine Seifenblase zerplatzt“. Für Auguste Hauser ist der Fall jedoch ganz klar: „Wer nach dem Geschehenen noch CSU wählt, dem ist nicht mehr zu helfen.“