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UNTERM STRICH

Neue Taschenbücher auf dem freien Markt: Max Horkeimers Gesammelte Schriften werden beim Fischer Verlag parallel im Hardcover wie als Taschenbuch verlegt (eine zu beherzigende Geste für viele Editoren); neu erschienen ist nun der Band 10, nachgelassene Schriften aus den Jahren 1914 bis 1931. Enthalten sind Vorlesungen aus den Jahren 1925 und 26, in denen der junge Dozent mit Verve eine Konzeption vertritt, die erst viel später salonfähig werden sollte (und bis heute leider noch nicht durchweg hörsaalfähig scheint): die Ideengeschichte. Ihre eigentliche Methode, die mit dem Begriff des Relativismus eher denunziert als charakterisiert worden ist, zeigt sich da am Gegenstand — die kenntnisreiche Darstellung historischen Denkens, das eben nicht als vergangenes abgewehrt, sondern als zeitliches verstanden werden muß. Sehr zu empfehlen, für unkonzentrierte, aber willige Gemüter, auch aufgrund der sprachlichen Durchlässigkeit der Vorlesungen. 428 Seiten, DM 34,80.

Jenem Max gewidmet sind Adornos Studien Zur Metakritik der Erkenntnistheorie, die nun als Einzelausgabe bei Suhrkamp erschienen sind (textidentisch mit Band 5 der Gesammelten Schriften). „Husserls Philosophie ist Anlaß, nicht Ziel. (...) Die Tendenz des Buches ist sachlich-philosophisch; die Kritik an Husserl meint, durch sein Werk hindurch, den Ansatz, um den er so nachdrücklich sich bemühte und den nach ihm das Philosophieren in Deutschland weit gründlicher sich zueignete, als heute ausgesprochen wird.“ 245 Seiten, 18 DM.

Ebenfalls bei Suhrkamp erschienen nun Leo Löwenthals Schriften (5 Bde., je 24 DM). Unter anderem wird die in den Feuilletons schwelende Frage behandelt, „wie zu entscheiden sei, ob ein bestimmtes literarisches Werk seinem Wesen nach konformistisch oder nonkonformistisch ist. Es ist völlig unmöglich“, so Löwenthal, der morgen 90 Jahre alt wird, „die Frage allein durch eine immanente Werkanalyse zu entscheiden; wir müssen immer zuerst die Wechselbeziehung zwischen dem Werk eines Schriftstellers und seiner Rezeption untersuchen.“

Die Klagenfurt-Preisträgerin Birgit Vanderbeke hat unter dem Titel Fresse schon meine Fingerspitzen wie Spargelköpfe Bettel- und Brandbriefe von Schriftstellern herausgegeben. „Als ich mit dem Sammeln der Bittbriefe anfing, war ich erschlagen von der gewaltigen Menge und Vielfalt des Materials. ... Es ist mir schwer geworden, auf Baudelaires Briefe (serienweise, lebenslänglich) an seine Mutter zu verzichten und statt dessen die sicher unbekanntere Pump- und Bettelkorrespondenz Detlev von Liliencrons vorzustellen, in der allerdings die ganze Klaviatur des Genres ausgeschöpft ist: von dumpf depressiver Verzweiflung über die komische Pose derselben bis zum derben oder subtilen Spott des Vogelfreien, der lieber verhungert, als mit den verhaßten Spießern den Stammtisch zu teilen“.

Das Buch ist eine Fundgrube der gemeinsten Überraschungen, denn auch Hagestolze wie Kleist, Musil und Joyce werden von der bucklichten Seite gezeigt, so daß jenseits des Mitleidens durchaus auch Freude aufkommt. Insgesamt bitten die Frauen selbstbewußter, anmutiger auch (und war es nicht eine Frau, die den großartigsten Bettelbrief aller Zeiten schrieb, in dieser Ausgabe leider nicht enthalten?: „Sie wollen wissen, wie sie mir helfen können? Geld Geld Geld Geld Geld Geld Geld.“). Gemeinsam ist den Geschlechtern aber die Genauigkeit der Abrechnungen, obwohl sie selbst Verräterisches über den Lebensstandard durchaus zeigen: „Der Gegenstand dieses Briefes ist finanzieller Natur. Es ist Donnerstagmorgen, der 16., und ich habe noch 25 Lire. In meiner Liste vergaß ich ein Häubchen für Georgie, 3 Lire (...). Nora sieht allmählich viel wohler aus. So sieht ihre Mahlzeit gewöhnlich aus — zwei Scheiben Roastbeef, zwei Polpetti, eine mit Reis gefüllte Tomate, etwas Salat, dazu einen halben Liter Wein.“ SoJoyce aus Rom im Jahre 1906. Der bescheidene Robert Walser 1918: „Wenn Sie ein wenig Thee hätten, so würde ich gelegentlich sehr gern Empfänger davon sein. Eine dünne oder dicke Käsescheibe verachtet der Schreiber dieser Zeilen niemals...“ Luchterhand, 167 S., DM 14,80.

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