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Little Big Bands

■ In der Philharmonie und im Delphi begann das diesjährige JazzFest

Das JazzFest lebt! Es lebe das JazzFest? — Im letzten Jahr schien es fast, als gelte es, langsam Abschied zu nehmen von dem Festival, das einmal als eines der renommiertesten in Deutschland, wenn nicht sogar in Europa galt. Das Bundesinnenministerium verweigerte die weitere finanzielle Förderung über die »Berliner Festspiele Gesellschaft«. Inzwischen sind die Geldbeschaffungsprobleme in den Hintergrund getreten. Den Anteil der Festspiele, immerhin eine halbe Million DM, hat die Senatskulturverwaltung übernommen. Von diesen 500.000 DM gehen 100.000 DM ans Total Music Meeting im Quartier. Hörfunk und Fernsehen buttern 300.000 DM dazu. Etwa ein Viertel des Gesamtetats von einer Million sollen die Kartenverkäufe decken. Der Sponsorenanteil der Schwarzbierhersteller aus Irland liegt nicht, wie der 'Tagespiegel‘ fälschlich meldete, bei 300.000 DM, sondern »irgendwo zwischen 10.000 und 90.000 DM«, wie es der Produktionsleiter des JazzFestes, Ihno von Hasselt, diplomatisch ausdrückt. Ein nicht gerade hoher Preis, um sich als finanzieller Rettungsanker des JazzFestes feiern zu lassen und den Markennamen auf jedem Plakat zu verewigen. Eine einzige Werbeseite in einer großen Illustrierten ist jedenfalls teurer.

Ob mit der fiskalischen Konsolidierung allerdings eine programmatische einhergeht, darf bezweifelt werden. George Gruntz als künstlerischer Leiter setzt weiterhin lieber auf Altbewährtes als auf Experimentierfreudigkeit. Allein acht Big Bands an vier Abenden sind in der Philharmonie zu verkraften. Warum der künstlerische Leiter auf seinem heiligen Stuhl bis ans Lebensende verharren muß, ist unklar.

Sogar die normalerweise nicht eben revolutionär gestimmten Herrschaften der ARD, die in jedem Jahr die Programmvorschläge von Gruntz absegnen müssen, sollen schon beim letzten JazzFest erfolglos mit einer Intervention in Form einer Nichtgenehmigung des Programms gedroht haben. Immerhin versorgt sich die ARD beim Berliner JazzFest mit Fernsehmaterial, dessen Ausstrahlung auf ein ganzes Jahr gestreckt wird, um den Eindruck einer Jazzpräsenz wenigstens im Nachtprogramm des Dritten aufrechtzuerhalten.

Das diesjährige Festival wurde am Mittwoch eröffnet mit dem neuen Spike-Lee-Film Mo Better Blues. Dieser im Jazzmilieu New Yorks angesiedelte Streifen erreicht weder die spielerische Leichtigkeit des Erstlings She's Got To Have It (nicht einmal mehr Brustwarzen traut sich Lee bei Vögelszenen zu zeigen), noch jongliert er treffsicher zwischen alltäglichem Rassismus und großer Pizzeriapolitik wie Do The Right Thing. Spike Lee ist bei Public Enemy wesentlich besser aufgehoben als bei Filmjazzern ohne Seele. Das Konzertprogramm selbst begann am Donnerstag abend in der Philharmonie mit einem Gastspiel der Very Big Carla Bley Band. Die Band ist immerhin so »big«, daß sie auch für die mittlerweile über eine eigene Band verfügende Tochter Carla Bleys, Karen Mantler, noch Platz bietet. Die Mutter nimmt links am Flügel Platz, Karen begrenzt das Bühnenfeld nach rechts. Im Partnerlook mit identischer Haarprachtgestaltung sind die beiden nur am Grad ihrer Ausmergelung zu unterscheiden. Musikalisch aber hat Carla Bley, nach wenig ergiebigen sphärischen Ausflügen in den Achtzigern, zurück zum Beginn ihrer Karriere gefunden. Die sehr große Carla Bley Band versetzt zwar keine Rolltreppen mehr über Berge (Escalator Over The Hill hieß das epochale Album von 1971); es gelingt der Band aber mit kräftigen Bläsersätzen, dem durchdringenden E-Baß-Spiel Steve Swallows, der mit seinem fünfseitigen Instrument vom Gitarrensound bis fast zum Kontrabaß reicht, und der Rhythmusgruppe mit Percussion und Schlagzeug, ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen. Diese Band ist genau keine Big Band, sondern eine »Very Big Band«, der es gelingt, das traditionelle Big-Band-Konzept auf den Kopf zu stellen — wenn auch nicht mit der beißenden Ironie und dem Zitiersarkasmus einer Carla Bley der Siebziger und frühen Achtziger. Auch wenn Drummer Victor Lewis beim Solo mit Plastikhämmerchen und -äxten auf die Felle eintrommelt und dafür den obligat stürmischen Originalitätsbeifall erntet, scheinen die Zeiten der großen Späße in Carla- Bley-Orchestern endgültig passé.

Seinen Spaß hat man dagegen an der zweiten Big Band des Abends, diesmal einer »richtigen«, nämlich der Peter Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass. Und damit sind wir, nach einem soliden Auftritt des Quartetts von Enrico Rava, der wundervoll trompetete, beim ersten Flop des Festivals. Herbolzheimers Truppe, die größer ist als eine Fußballmannschaft mit Ersatzspielern, hielt sich vornehmlich an das sture Konzept des Solovortrags, zu dem der jeweilige Instrumentalist vorzutreten hat, um überhaupt sichtbar zu sein, und des Großgruppenarrangements. Eine Reihe Trompeter, eine mit Saxophonen und in der Abwehr die Posaunisten, das sieht gut aus, macht optisch und fanfarenmäßig was her, klingt aber im Endeffekt nicht viel besser als glatter Fernseh- Big-Band-Sound (was ja eigentlich völlig richtig ist, denn man befindet sich in der Philharmonie im ausgelagerten Fernsehstudio). Die »Special guest«, Sängerin Chaka Khan, die nach den ersten Zwischenrufen, die endlich nach ihr verlangen, im zweiten Teil auf die Bühne tänzelt, läßt das Konzert endgültig zur Las-Vegas-Nummer verkommen. Die im lila Glitzerkleid und unter lila Haaren agierenden ehemalige Diskomutti, die nun Jazzsängerin werden möchte, ruft Assoziationen an das böse Wort von der Turbokuh hervor, das in dieser Zeitung eigentlich nur, wenn überhaupt, für Whitney Houston Verwendung finden darf. Eine »very big« Enttäuschung, diese Frau Khan, die inzwischen in Mannheim wohnen soll. Andreas Becker

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