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U-Bahn im Abendrot

■ Die juryfreie Ausstellung »Querschnitt 3« im Statthaus Böcklerpark

Am »Querschnitt 3«, der dritten juryfreien Ausstellung, die der Querformat-b e.V. einrichtete, nehmen 160 in Kreuzberg wohnende und arbeitende Künstler teil: Jeder, der sich bei dem Verein bewarb, kann dort eine Arbeit zeigen und zum Verkauf anbieten. Der Anspruch der Veranstalter ist es, Laien, Kunststudenten, jungen oder vergessenen Künstlern, die keinen Kontakt zu ausstellungswilligen Galerien haben, ein Forum zu bieten.

Daß der Mann mit dem Sack über der Schulter, der kurz vor der Ausstellungseröffnung aus dem dunklen Park in das Statthaus Böcklerpark stürzte, kein verfrühter Nikolaus, sondern ein verspäteter Künstler war, ahnte ich gleich. Vor den Augen des mit Oma, Kind und Hund erschienenen Publikums streute Harun Wolf-Trepte sein Sandjuwel aus. Was wie eine reduzierte, archaisierende Arbeit begann, wurde zunehmend zum niedlichen Ornament. Je mehr sein Mosaik aus Sand, Pigmenten und Holzwolle an Farbe gewann, desto schneller reifte in einigen Kinderherzen die Erkenntnis, daß es nichts Besseres gäbe, als Künstler zu sein und mit einem Blumensprüher blaues Zauberpulver auf durstiger Holzwolle zum Blühen zu bringen.

Wie jeder Großauftrieb der Kunst entgeht auch diese Schau nicht dem FBK-Effekt, der die Werke im dichtgehängten Gewühl zum allgemeinen Farbrauschen verschmilzt. Allein der Ausstellungsort, das Statthaus Böcklerpark, sorgt durch sein lärmiges Getriebe in allen Berliner Sprachen zwischen Jugendgruppen und Seniorentreffen für eine ständige Wiederbelebung der kunstmüden Betrachterin. Vor einem Publikum, das die bildende Kunst in puncto Unterhaltungswert eher als Versager einstuft, muß sie ein bißchen mit ihren reißerischen Qualitäten kokettieren. So hängt einer der Theken im Statthaus die Verführung am Nachmittag von Ute Moritz gegenüber, eine große Leinwand mit zwei hektischen gelben und roten Flecken, in denen grinsende Münder, verrutschte Gesichter und nach einer Vagina grapschende Hände für Aufregung sorgen.

Zwei Künstler sind dabei, Statthaus-Besucher von Kindesbeinen an, die durch die erste Querschnitt- Ausstellung vor zwei Jahren zum Kunstmachen angeregt wurden. Die Anbindung der Kunst an die Banalität des Alltags drückt Carsten Wiegel dabei in einer mehr symbolischen Absichtserklärung als schon in gelungener Umsetzung aus: Sein Klodeckel à la Magritte, auf Klopapierfetzen dekoriert, ist eher mit Fantasy-Kitsch als mit surrealistischen Zitaten bemalt.

Es fehlt nicht an gutgemeinten und rührseligen Botschaften: Michaela Rothe hat im Bild Der gefesselte Traum einen Taubenflügel mit dicken roten Fäden auf die Leinwand genäht. Herbert Orlik übt sich in parteipolitischer Kritik und läßt unter dem Titel Die Luft ist raus den alterszerknitterten Willi Brandt auf einem großen erschlaffenden roten Luftballon sitzen.

Zu den Lieblingsbildern von Statthaus-Besuchern und -Bediensteten gehört Roland Seidels Hallesches Tor, starkhimmelnde realistische Ansicht des Hochbahnhofes, in der die anrollende gelbe U-Bahn die untergehende Sonne ersetzt.

Zwischen den Bildern behaupten sich kleine Skulpturen und Installationen mit Pfiffigkeit und Poesie: Ulrich Seiger umnagelte einen Stuhl mit Weißblechen zum Stuhl in Dosen. Thomas Schröder baute eine spielerische Nonsensmaschine, Fahrgenhimmel, aus Holz, wippenden Drähten und rotierenden Scheiben. Susanne Thäsler dokumentiert mit Fotografien und Texten ihre Metamorphose zum Zebra in der Sonnenbank. Zum Blättern und Stöbern lädt das Augenbuch von Julio Fernandez ein, ein intim unordentliches Ensemble aus übermalten Briefen, Büchern und Manuskripten. An das Kindererlebnis vom Zirkusbesuch knüpft Jeanette Doberstein in ihrem Schirmbild an: In einen aufgespannten Regenschirm hat sie einen traurigen dünnen Mann gemalt, über den eine niedliche Seiltänzerin mit Eisschirmchen auf einer Schnur zwischen Schirmgriff und Rippe balanciert. Der ironische Umgang mit dem Kunstwollen darf sich eher gefühlvolle Anleihen bei trivialen Klischees erlauben, ohne gleich peinlich zu wirken, als der ernstmeinende Dilettantismus.

Versteht man den Querschnitt als Repräsentation einer Kreuzberger Szene, dann fällt im Unterschied zum Image des Bezirks die Zahmheit der Kunst auf, die kaum als Instrument des Kampfes oder der Provokation gebraucht wird. Lassen sich die Künstler auf aktuelle Probleme ein, geschieht dies eher in ungelenker Form. Ihre Stärken liegen dort, wo es um die Reflexion der Rolle vom Künstler und der Brechung der Funktion von Kunst selbst geht. Experimentelle Verstöße gegen die anerkannten Regeln in diesem Spiel finden sich hier sowenig wie anderswo. Katrin Bettina Müller

Querschnitt 3 im Statthaus Böcklerpark, Prinzenstraße, Berlin 61; Mo. bis Fr. von 15 bis 21 Uhr, Sa. und So. von 13 bis 21 Uhr; bis zum 15. November.

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