: Die Demokratie, die sie meinen
■ betr.: "Deutschland vor der Wahl - Wirtschaft und Finanzen", ARD 8.11.90, 20.15 Uhr
betr.: „Deutschland vor der Wahl — Wirtschaft und Finanzen“, 'ARD‘ 8.11.90, 20.15 Uhr
Harte Zeiten allenthalben. Daß fast alle westdeutschen Zeitungsverleger sogar bezahlte (!) Anzeigen der PDS ablehnen — ein zutiefst undemokratischer Sachverhalt, der sogar in den USA ein Skandal wäre —, illustriert die reaktionäre Geschlossenheit der medialen Öffentlichkeit gegen die PDS. Daß das Fernsehen hier nicht zurückzustehen gedenkt, wurde am 8.11. mal wieder vorgeführt.
Zum Thema der Wahldiskussion „Wirtschaft und Soziales“, wurde der Vertreter der PDS, Klaus Steinitz, systematisch daran gehindert, die inhaltlichen Vorstellungen der Partei zum Thema vorzutragen. Die Herren Waigel, Krause, Haussmann und Frau Matthäus-Maier leiteten aus dem Millionendeal (erfolgreich) ihr Recht ab, Steinitz faktisch das Wort zu entziehen.
Überhaupt hat sich die „Demokratie“ auch inhaltlich wieder einmal selbst vorgeführt. Ein offenkundig handverlesenes Publikum, aus dem (mit einer Ausnahme) nur Unternehmern das Wort erteilt wurde, dozierte über die Bedürfnisse der westdeutschen Firmen. Was sie sagten, wurde natürlich nicht auf ihre Interessenlage zurückgeführt und mit den Bedürfnissen der Masse der Menschen konfrontiert, sondern automatisch als „sachkompetent“ klassifiziert und zum Maßstab aller Dinge erkoren. Nicht einem einzigen Unternehmer wurde auch nur ansatzweise widersprochen. Die Vertreter der etablierten Parteien überboten sich in ihrem — mit Verlaub — nur noch als ekelerregend zu bezeichnenden Buhlen um die Gunst des anwesenden personifizierten Kapitals. Waigel forderte, unter dem Beifall der Anwesenden, Opfer nicht in Form von Steuern, sondern beim Subventionsabbau. Er sei für jeden Vorschlag zur Privatisierung offen. Hausmann will das auch, private Autobahnen und Telekommunikation. Niedrigsteuer- und Niedriglohngebiet in der Ex- DDR, Krause dackelt sowieso hinterher und zitiert mal wieder in jedem zweiten Satz den „Einigungsvertrag“. Einzig ultra-liberale Wirtschaftsvorstellungen à la Milton Friedman, ausschließlich an den Interessen der westdeutschen Kapitalvertreter orientiert, sind in diesem Land diskutabel. Was zum Beispiel Subventionsabbau in der Ex-DDR heißt, wird selbstredend gar nicht erst angesprochen.
Auch Frau Matthäus-Maier von der SPD reiht sich ein. Sie zitiert die Bundesbank, für sie der „Hort der Stabilität“ — für mich eine Stabilität, die für Millionen Menschen stabile Arbeitslosigkeit bedeutet —, um ihre Argumentation aus Verlautbarungen dieser Institutionen abzuleiten. Sie fordert — als Sozialdemokratin! — zugleich die Enteignung der Gewerkschaften im Osten der Republik.
Wohl selten war die Untertänigkeit der Politik gegenüber den Wünschen des Kapitals so eindeutig wie in dieser „Debatte“: Es ist kein bloßer Frieden mit dem Kapital, sondern schlichte Kriecherei, wenn sogar zarte Ansätze zur Investitionslenkung rigoros abgebügelt werden. Die Bildstörung während eines Waigel-Beitrags war für mich denn auch der Höhepunkt einer Wahlshow, die nicht nur perfekt inszeniert war, sondern auch die absolute Hegemonie der Kapitalvertreter im geklatschten Deutschland veranschaulichte. Pogromstimmung gegen Linke und Lippenlesen des Kapitals: Das ist die Demokratie, die sie meinen. Damit dem in den bevorstehenden harten Zeiten etwas entgegengesetzt wird, braucht dieses Land dringend eine linke, kapitalismuskritische Opposition: Ich wähle PDS. Albert Scharenberg, Berlin
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