: „Was wir mitgemacht haben, glaubt uns kein Schwein“
■ Seit drei Monaten im Wohnwagen hinter dem Bremer Innovations-Zentrum / Wohnungsnot ohne Aussicht auf Hilfe
„Ich habe schon sieben Mal versucht mir das Leben zu nehmen“, sagt sie und schaut vor sich hin, „wenn ich nicht bald zur Ruhe komme, weiß ich nicht was passiert.“ Ursula Beier, 38 Jahre alt, durch ein angeborenes Hüftleiden zeitlebens an den Rollstuhl gefesselt, ist nervlich am Ende. Seit etwa drei Monaten lebt sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hans Joachim Knakowski in einem verrußten, heruntergekommenen Wohnwagen am Rande einer Baustelle. Schräg gegenüber liegt das Bremer Innovations- und Technologiezentrum (BITZ). Dort, so erzählen die beiden, oder aus der Uni holen sie sich Wasser und dort benutzen sie auch die Toilette.
Beißender Qualm aus dem Allesbrenner
Als ich den schrottreifen Verschlag betrete, schlägt mir beißender Qualm entgegen. In der Mitte der Behausung steht ein alter Allesbrenner, der die sechs Quadratmeter notdürftig erwärmt und gleichzeitig als Kochgelegenheit dient — daneben ein abgenutzter Rollstuhl. „Bis vor einigen Tagen hatten wir nur einen Grill, da war der Gestank noch schlimmer“, sagt Knakowski. „Den Allesbrenner hat uns ein Bekannter geschenkt“. Während er von seinem Leben auf der Straße erzählt, legt er immer wieder Holz nach, „in der Umgebung gesammelt“.
Joachim Knakowski, 35 Jahre alt, ist gelernter Maurer, zur Zeit arbeitslos. Nach dem Tod seiner Mutter verlor er vollständig den Halt, wurde straffällig und landete schließlich auf der Straße. Dort hat ihn Ursula Beier aufgelesen, und versucht ihn vom Trinken abzuhalten. Als er seine 12monatige Strafe absaß, besuchte sie ihn jeden Tag. „Auch jetzt würde ich ihn trotz des ganzen Streß nicht im Stich lassen und barfuß durch die Hölle gehen“, sagt sie entschlossen.
Zehn Jahre lang als Packerin im Maschinenbau
Ursula Beier sitzt in Trainingshose und Pulli auf dem schmuddligen Bett. Zehn Jahre, so erzählt sie, hat sie als Packerin bei der Bremer Werkzeug und Maschinenbau GmbH gearbeitet. Das geht inzwischen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. Mit langsamen Bewegungen dreht sie eine Zigarette aus Zeitungspapier. „Wir kriegen erst morgen wieder Geld.“ Wenn sie ihre „Mäuse zusammenschmeißen“ kommen sie gerade so über die Runden. Knakowski erhält Arbeitslosenunterstützung, seine Partnerin Erwerbslosenrente. Mit den 1.900 Mark können sie weder Makler noch übliche Kautionen zahlen. Aber die Zeit drängt: „In zwei bis drei Jahren bin ich warscheinlich gelähmt, bis dahin muß ich eine feste Bleibe haben“, sagt Beier. In ein Heim für Behinderte will sie auf keinen Fall.
Rechts neben dem Bett steht ein kleiner Kassettenrecorder, auf ihm ein Öllämpchen. „Das erste, was ich seit Jahren von meiner Mutter bekommen habe“, erzählt sie traurig. „Sonst will sie nichts mehr mit mir zutun haben, weil ich ja ein Krüppel bin“. Sie schaut geradeaus, auf die rußgeschwärzte Wohnwagenwand. Dort hängen gewaschene Unterhosen, schmutzige Handtücher an Nägeln. Einige Apfelsinenkästen sind zu Tischchen und Sitzgelegenheiten umfunktioniert worden. Daneben stehen alte Flaschen. Durch das klein Fenster, das notdüftig abgedeckt ist, zieht es.
Immer wieder haben die beiden in den letzten zweieinhalb Jahren versucht, eine Wohnung zu finden. „Das einzige konkrete Angebot, das wir bekamen, war eine alte Turnhalle“, sagt Knakowski resigniert. Er will erst dann wieder arbeiten wenn „meine Verlobte ein Dach über dem Kopf hat“.
Niemand fühlt sich für uns zuständig
Ursula Beier und Hans Joachim Knakowski sind zwei von vielen, die durch das soziale Raster fallen. Weder Sozialamt noch die evangelische Gemeinde Horn 2, zu der auch das Gelände gehört, auf dem sie sich befinden, fühlen sich zuständig. „Wenn hier nicht der Staat eingreift, kann man das vergessen“, meint die Rechtanwältin Antje Berghaus. Sie kennt und betreut Ursula Beier seit etwa fünf Jahren. „Sie bräuchten jemanden, der sie an die Hand nimmt und betreut.“ Dies, so die Auffassung von Pastor Bode, könnte durch eine Gemeinde geleistet werden. Sein Vorschlag: Der „intakte Bauwagen“ auf dem Gemeindegelände könnte hergerichtet und vorübergehend für das Paar zur Verfügung gestellt werden.
Richard Ossenkop vom Vorstand hält diese Lösung jedoch für „dummes Zeug“ und verweist auf das Sozialamt. Ursula Beier glaubt schon nicht mehr an eine schnelle Hilfe bevor der Frost einsetzt.
Ihr einziger Wunsch: Sie möchte mit dem Wohnwagen an einem ruhigen Ort stehen, wo es Wasser gibt und „man nicht ständig von den Bullen angemacht“ wird. „Was wir schon alles mitgemacht haben, das glaubt uns doch sowieso kein Schwein.“ Birgit Ziegenhagen
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